Bauer im Bundestag: Albert Stegemann will Respekt für die Landwirtschaft

Mensch, Albert!
Foto von Albert Stegemann, Landwirt und MdB, am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit der Spiegellung vom Reichstagsgebäude

Gordon Welters

Albert Stegemann während einer Sitzungswoche des Bundestages in Berlin.

Albert Stegemann während einer Sitzungswoche des Bundestages in Berlin.

Albert Stegemann ist Landwirt und Bundestagsabgeordneter. Das ist selten geworden. In seinem Wahlkreis und in Berlin kämpft er für mehr Respekt den Bauern gegenüber – und immer häufiger auch für die Demokratie.

Vor den großen Ställen in der Grafschaft Bentheim, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu den Niederlanden, mischt sich ein Hauch von Weltpolitik in die Landluft. Eine ­Gruppe von Jugendlichen aus der Ukraine ist an diesem Dienstagmorgen im August mit Albert Stegemann über den Hof gelaufen. Sie haben Kälbchen angeschaut und sich von dem großen, stämmigen Mann das Futtermonster erklären lassen, das Silage, Soja und Maismehl zu den Rindern fährt. Ein älterer Herr hat ­alles übersetzt. Albert Stegemann hält eine kurze Ansprache. "Die Welt steht an eurer Seite!", sagt er zum Schluss. "Und wollen wir noch ein Foto machen?"

Stegemann, 47 Jahre alt, hat zwei Berufe. Er ist Bauer und Politiker, seit 2013 sitzt er für die CDU im Bundestag. Außer Stegemann sind fünf weitere Landwirte im Parlament vertreten. Sechs von 736. Drei von der Union, eine von der FDP und einer von der AfD. Als Stegemann in den Bundestag einzog, waren es 19 – und 1990 sogar noch 24.

Nils Husmann

Auch Nils ­Husmann ist auf einem Bauernhof aufgewachsen: 24 Hektar groß, die Rinder waren nach dem HSV-Kader von 1983 benannt: Hrubesch, Kaltz, Magath . . .
Lena Uphoffchrismon Redakteur Nils Husmann, September 2017

Gordon Welters

Gordon Welters, Fotograf, fragte sich: Macht es einen Unterschied, ob Abgeordnete ­neben ihrer ­politischen ­Arbeit einen anderen ­Beruf ausüben? Sind sie damit näher an den Themen dran?
Gordon Welters/laif

Im Hohen Haus spiegelt sich eine Entwicklung wider: Es gibt immer weniger Bauern in Deutschland. 1960 gab es allein in Westdeutschland 1,5 Millionen Höfe, vor drei Jahren waren es im gesamten Bundesgebiet etwas mehr als 250 000. Warum sollten viele Bauern im Parlament sitzen, wenn es immer weniger von ihnen gibt? Andererseits: Ohne Ernten, ohne Essen geht nichts. Das verdient doch mehr Repräsentanz im Bundestag! Lebenserfahrung kann in der Politik nie schaden, findet Albert Stegemann. "Und mit der Landwirtschaft ist es wie mit der Fußballnationalmannschaft: Du hast mehr als 80 Millionen Trainer und alle wissen, wie es funktioniert."

 Doppelte Kollegen: Albert Stegemann mit Artur Auernhammer (li) im Bundestag, auch er ist Landwirt.
Auf seinem Hof zeigt Stegemann seinen Gästen aus der Ukraine die Kälbchen
Gordon Welters

Die Gäste aus der Ukraine sind weg, Albert Stegemann hat sich zu einigen seiner Leute gesetzt, die gerade Pause machen. Der Aufenthaltsraum ist mit Spanholz ­verkleidet, durch ein Fenster kann man in den Stall blicken. Kühe laufen herum, sie gehen zum Melkkarussell, wenn sie ­merken, dass es dafür Zeit ist. Zur Seite ist der Stall ­offen wie ein Festzelt, bei dem man die Plane hochgerollt hat. Auf die Weide kommen die Tiere nicht. "Wir sind kein Nostalgiebetrieb, aber den Kühen geht es gut", sagt ­Stegemann. Die Eltern hatten 80 Milchkühe, als sie ihrem Sohn vor gut 20 Jahren den Betrieb übergaben. Heute sind es 670. Aufhören oder wachsen? Vor dieser Frage stand auch ­Albert Stegemann.

Landwirtschaft oder Politik, das war eigentlich keine Frage. Beides! Schon als Kind half er mit auf dem Hof. "Und mein Vater war Bürgermeister, Politik war bei jedem Frühstück ein Thema." 2002 machte Stegemann seinen Landwirtschaftsmeister, im selben Jahr trat er in die CDU ein, wurde bald Bezirksvorsitzender der Jungen Union und hatte Leute an seiner Seite, die ihm was zutrauten, gerade weil er einen Hof führte. "Mensch, Albert, vielleicht brauchen wir einen wie dich, der im Wahlkreis kandidiert." Den Wahlkreis 31, Mittelems, hat immer die CDU gewonnen.

"Es wird hektischer auf den Getreidemärkten"

Stegemann ist meistens als Abgeordneter unter­wegs, pro Jahr gibt es mindestens 20 Sitzungswochen. An einem Mittwochmorgen im Juni zum Beispiel, da tagt im Berliner Paul-Löbe-Haus der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, für Stegemann ein Pflichttermin. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Ernährung und Landwirtschaft in seiner Fraktion. Stegemann sieht nicht anders aus als auf dem Hof, ist in Jeans und Hemd unterwegs, einen Schlips trägt er selten. Cem Özdemir ist in die Sitzung gekommen, Landwirtschaftsminister in der Ampelkoalition.

Özdemir ist froh, dass die demokratischen Parteien nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zusammenstanden, auch in der Landwirtschaftspolitik. Dafür will er sich heute bedanken. Dann sind die Abgeordneten an der Reihe. Stegemann fängt an. "Es wird hektischer auf den Getreidemärkten, aber Sie extensivieren die Landwirtschaft. Ist das der richtige Weg?"

Extensivierung, das Wort umreißt einen Kernkonflikt in der Landwirtschaftspolitik. Denn Extensivieren be­deutet, dass Landwirte weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel einsetzen, dafür aber auch weniger Erträge in Kauf nehmen. Viele Parteien wollen das, vor allem die Grünen.
Reihum können die Abgeordneten Fragen stellen. Die Atmosphäre im Ausschuss ist konzentriert, nicht so hitzig wie bei Bundestagsdebatten. Aber ein AfD-Abgeordneter greift den Minister scharf an, fragt ihn: "Sprechen Sie noch mit den Menschen und Bauern – oder macht Ihnen das Angst?" Der Minister kontert. Man solle nicht denen glauben, die erzählten, den Bauern werde es mit Pestizidreduktionen schlechter gehen – das Gegenteil sei der Fall, sagt Cem Özdemir, nimmt seinen Fahrradhelm und entschuldigt sich, dass er früher gehen muss.

Die Ausschussmitglieder arbeiten sich durch die Tagesordnung, es geht ums Weingesetz und um Flächenstill­legungen. Ab und zu blitzen Gegensätze auf, die ­Grünen-Abgeordnete Anne Monika Spallek sagt: "Jeder Kuhfladen hat was mit Biodiversität zu tun. Kühe gehören auf die Weide." Nach mehr als drei Stunden ist Schluss. Stegemann muss auch noch an seiner Rede zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz arbeiten, aber wann? Übermorgen ist die Abstimmung im Bundestag. Er hat sechs Minuten Redezeit.

Jetzt wird erst mal nichts daraus. Mittagessen im ­"Lampenladen", wie alle die Bundestagskantine nennen. Dann zu Fuß ins Büro "Unter den Linden", vorbei am ­Brandenburger Tor, da wartet schon der Vertreter eines Süßwarenherstellers in einem Besprechungszimmer. Schräg gegenüber hat Angela Merkel ihre Büroräume, am Ende des Flures Rita Süssmuth. Der Vertreter ist ­redselig und erzählt, wie nah er früher an der Geschäftsführung des Unternehmens war: "Ich habe direkt an den Chef ­berichtet!" Der Lobbyist rennt offene Türen ein. Wieder spielt Cem Özdemir eine Rolle, der Werbung für ­Lebensmittel einschränken will, die so süß, fettig oder ­salzig sind, dass sie Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation überschreiten. Um Kinder zu schützen, soll ­Reklame für Gummibärchen oder Chips nur noch zu bestimmten Zeiten erlaubt sein.

"Ich kann Ihnen nur Opposition anbieten"

Albert Stege­mann wird das Gesetz ablehnen, so oder so. Er möchte lieber Anreize setzen für eine gesunde Ernährung, als alles über Vorschriften zu regeln. Und Özdemirs Gesetz könnte auch Fruchtjoghurts betreffen, ein Milchprodukt, das würden viele Milchbauern zu spüren bekommen. Die Union will vorschlagen, dass Kinder in Schulen mehr über gesundes Essen lernen. Stegemann zeigt auf seinen Bauch. "Ich bin nicht der beste Berater in Sachen Ernährung, aber Übergewicht und Adipositas sind ein Problem bei Kindern, das müssen wir beide auch anerkennen." Am nächsten ­Morgen werden die großen Discounter- und Supermarktketten in einer Videokonferenz bei Stegemann vorsprechen. Die Botschaft ist dieselbe: Das Gesetz darf so nicht kommen.

Im Grundgesetz heißt es, Parteien wirken bei der ­politischen Willensbildung des Volkes mit. Aber auch organisierte Interessen versuchen, Einfluss zu nehmen. ­Immerhin gibt es seit vergangenem Jahr ein ­Lobbyregister, das vor allem CDU und CSU lange abgelehnt hatten. Wer will, kann nachlesen, dass allein die Aldi Süd Dienstleistungs-SE & Co. oHG bis zu zehn Lobbyisten beschäftigt, die mit Bundestagsabgeordneten reden. Albert Stegemann rät den Vertreterinnen und Vertretern des Handels, die FDP-Fraktion anzusprechen, die Özdemirs Weg sicher nicht mitgehen würde. Und sagt einen Satz, den man oft von ihm hört: "Ich kann Ihnen nur Opposition anbieten."

 Stegemann vor im Regierungsviertel und im Stall auf seinem Hof in der Grafschaft BentheimGordon Welters

Manchmal klingt das so, als sei er gar nicht so unglücklich mit dieser Rolle. Energiewende, Wärmewende, Verkehrswende, Ernährungswende – das Land streitet und verliert sich in all den Wenden, so scheint es. Während sich die Ampel an umstrittenen ­Themen abarbeitet, kann sich Stegemann in der ­Opposition profilieren. Aber auch seine Partei, die CDU, ringt seit zwei Jahren um ihren Kurs.

Albert Stegemann weiß, dass einfache Parolen nicht reichen. Man hört ihn mit Mitarbeitern auf dem Hof ­elefonieren. Es hat im Frühjahr nur selten geregnet, auch der Juni war bisher viel zu trocken: Müssen sie eine Beregnungsanlage anschaffen? "Ich bin kein Klimaforscher, aber ich sehe ja auch, wie sich Wetterlagen festfahren. Wenn es trocken ist, dann für lange Zeit."
Auch die Landwirtschaft muss sich verändern. Zu viel Nitrat im Grundwasser, immer weniger Insekten. Und mehr als sieben Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland fallen in der Landwirtschaft an. Besonders Methan und Lachgas, sie werden bei der Viehhaltung frei. Und wenn Landwirte ihre Felder düngen. Noch eine Wende also, die Agrarwende – vor der kann er nicht weglaufen.

Zwei weitere Gäste haben sich angekündigt für ein vertrauliches Kennenlerntreffen. Sie sprechen für eine Organisation, die sich gerade neu gegründet hat. Stege­mann erwartet Konflikte und Menschen, die – wie er es nennt – "nicht in der Praxis und auch nicht am Markt sind". Gelegentlich nennt er Leute, die er zu dieser Gruppe zählt, "Stadtgrüne". Mit denen hat er manchmal ­Schwierigkeiten, was nicht heißt, dass er nicht mit ihnen reden würde, im Gegenteil: Stegemann diskutiert gern. Nach dem Treffen ist Stegemann richtig beseelt, es gab überraschend viele Gemeinsamkeiten. Vor allem auf das, was das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung, die sogenannte Borchert-Kommission, beschrieben hat, kann man sich einigen. Da arbeiten Fachleute mit, vom Bauern­verband über die Bundestierärztekammer bis zum Bund für Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Die Gruppe kam auf einen Konsens: Verbraucherinnen müssen darüber informiert werden, wie Tiere gehalten wurden. Und die Bauern bekommen Hilfe, wenn sie ihre Ställe so umbauen, dass die Tiere mehr Platz haben – dafür soll es Prämien geben. Ja, Fleisch würde teurer werden, dafür gäbe es ab 2040 in Deutschland keine konventionelle Viehhaltung mehr, wie sie heute noch üblich ist. Wenn Albert Stegemann am Freitag im Bundestag spricht, will er die Bundesregierung an die Borchert-Kommission erinnern.

"Nicht alle AfD-Wähler sind Rechtsextreme"

Aber wann kann er mal in Ruhe über die Rede nachdenken? Stegemanns Kalender ist eng getaktet, auch am Donnerstag. Manchmal klingelt es draußen auf dem Flur, rote Lampen blinken. Dann stehen namentliche Abstimmungen an. Die darf Stegemann nicht verpassen. Auch heute klingelt es, das kostet Zeit, zehn Minuten Fußweg zum Bundestag, zehn zurück, als er wiederkommt, hat jemand Döner fürs ganze Team geholt. Es wird viel gelacht in Stegemanns Büro, alle duzen sich, WG-Atmosphäre.

Nächster Termin. Schülerinnen und Schüler aus der Grafschaft Bentheim sind auf Klassenfahrt in Berlin, sie erwarten ihren Abgeordneten in einem Saal im Paul-Löbe-Haus. Albert Stegemann mag diese Treffen. Die jungen Leute wollen wissen, ob Russland Deutschland angreifen könnte, ob es genug Bunker und ausreichend Energie in Deutschland gibt, auch ohne Atomkraft. Sie wollen hören, was Stegemann von der "Letzten Generation" hält und warum die Kohle in Lützerath abgebaggert wird. "Ich find es super, was ihr für Fragen stellt", sagt Stegemann. Und am Ende mahnt er: "Seid demokratisch, bleibt demokratisch. Lasst es raus, wenn ihr unzufrieden seid, aber macht nicht das Kreuz bei einer Partei, die nicht rechtsstaatlich und demokratisch ist!"

Zurück im Wahlkreis, es ist August, in Berlin ist Sommerloch. Zur Ruhe kommt das Land trotzdem nicht. Die AfD steigt in Umfragen auf über 20 Prozent. Stegemanns Mitarbeiter sind wieder auf dem Hof unterwegs, 14 Leute beschäftigt er, nicht alle in Vollzeit, aber die Zahl zeigt schon, dass Landwirte heute oft eher Unternehmer als Bauern sind. Stegemann ist noch sitzen geblieben am Tisch und hadert mit den Umfragewerten für die AfD. "Die Funktionäre sind Nazis, aber nicht alle Wähler", sagt er. Er saß hier schon mit Bekannten, die sich vorstellen konnten, AfD zu wählen. "Das sind nicht alles Rechtsextreme, sondern auch verzweifelte Demokraten, die nach Antworten auf unsere Probleme suchen." Er glaubt, dass das Blatt sich wendet. Nach der Ära Helmut Kohl hätte die CDU auch lange gebraucht, um die Menschen wieder zu überzeugen.

Dass die Wirtschaft schrumpft, bereitet Stegemann Sorgen

Gleich will er mit seinem Referenten Heinz Möddel ­aufbrechen und im Wahlkreis Stimmungen aufnehmen, Probleme aufgreifen. Wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, sagt er. Aber erst mal ist Zeit für Selbstkritik. Stegemann ist seit 2013 im Bundestag, zweimal war die CDU in dieser Zeit an der Regierung beteiligt, in der Großen Koalition. Auch er hätte dazu beitragen können, die Dinge in bessere Bahnen zu lenken. "Ich habe an die Idee von ‚Wandel durch Handel‘ geglaubt und war überzeugt, dass es gut ist, wenn wir mit Russland als Energielieferanten zusammenarbeiten. Das war ein Fehler", sagt der Abgeordnete. Und auch die Borchert-Kommission präsentierte schon 2020 ihre Ergebnisse – eine Tierwohlprämie setzte die Große Koalition aber vor dem Wahlkampf nicht um.

Stegemann und Möddel müssen los, erste Station: ­Firma Boll Logistik in Meppen. Ulrich Boll, der Geschäftsführer, und Mechthild Weßling haben für den Wirtschaftsverband Emsland eingeladen. "Wie laufen die Geschäfte?", will Stegemann wissen. "Schlecht", sagt Ulrich Boll, ein Mann mit gepflegtem Dreitagebart. "Die Region kauft ­weniger." Er muss es wissen, denn praktisch alles, was an Waren ins Emsland und in die Grafschaft Bentheim kommt, bringen seine Leute, 500 Mitarbeiter hat er, 150 Lastwagen. Boll kommt von einem Problem aufs ­nächste. Die Preise im Restaurant sind zu hoch, es gibt immer ­weniger, die das Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften, aber immer mehr, die es konsumieren wollen . . .

Eine Stunde lang hört Stegemann zu, guckt mal ­betroffen, weil viele Probleme in die Ära Merkel zurückreichen. Dann nickt er wieder, als wolle er sagen: Hab ich’s doch gewusst! Dass die Wirtschaft schrumpft, bereitet Stegemann Sorgen. Man hört an diesem Sommertag oft von ihm, dass sich alle wieder mehr anstrengen müssten. So wie seine Leute auf dem Hof. Er liebt Menschen, die ­richtig anpacken. Tatkraft ist ihm wichtiger als das Zeugnis. 80 Prozent der Bundestagsabgeordneten haben Abitur. Stegemann hat Mittlere Reife.

Stegemann, der Schwamm, hat sich immer noch nicht ganz vollgesogen mit Themen. Letzte Station: die ­Garmann Verwaltungs-GmbH in Beesten. Klingt wie ­eine ganz normale Firma, ist aber ein landwirtschaftlicher Betrieb, spezialisiert auf Ackerbau und Schweinehaltung. Ludger Garmann ist mehr als zwei Meter groß, überragt sogar Albert Stegemann, genau wie sein Sohn Luka, der den Betrieb später mal übernehmen möchte. Garmann hat 1993 mit 17 Hektar angefangen, heute bewirtschaftet er 600 Hektar. Er baut Kartoffeln, Zuckerrüben, Zwiebeln und Mais an. Außerdem hält er Schweine. Garmann hat weitere Gäste eingeladen, sie reden auf Stegemann ein, es geht um Wasserstoff und Pläne für ein Biogasnetzwerk. Ein Lastwagen steht auf dem Hof, die Fahrerin steigt aus und kontrolliert, ob sich die Kartoffeln, die vom Förderband in den Auflieger plumpsen, auch richtig verteilen. Heute geerntet, erzählt Garmann, die Frau wird sie nach Belgien fahren. Vermutlich werden Pommes daraus.

 Links: Auf dem Weg zwischen Plenum und Büro kann Albert Stegemann weiterarbeiten – am Telefon. Rechts: Albert Stegemann genießt den Blick auf die Vechte, die vom Münsterland zum Ijsselmeer fließt. Dafür ist selten Zeit:Gordon Welters

Und was ist für Garmann das Hauptproblem der Landwirtschaftspolitik? "Keine Planungssicherheit", sagt er und meint: Alle wollten mehr Tierwohl, aber wer dafür bezahle, sage man ihm nicht. Wie solle sein Sohn einmal entscheiden, welche Investitionen sich lohnen? Ein neuer Stall koste Millionen, auch Umbauten kos­teten viel Geld!

Stegemann kennt die Debatten. Es ging ihm nicht anders mit seinen Kühen. Hätte er nicht die drei Ställe gebaut, wäre er weg gewesen vom Markt. Es waren Millioneninvestitionen. Und weil das Risiko hoch ist, hören viele Bauern auf. Sie finden keine Nachfolger. Andere Betriebe pachten das Land und wachsen. "Aber wenn der Milchpreis wie 2016 die Herstellungskosten nicht deckt, ist das nicht so lustig", sagt Stegemann. "Das vorige Jahr war sehr gut, dann kann man Rücklagen bilden." Stegemann gehört zu den Bundestagsabgeordneten mit den höchsten Nebeneinkommen, weil sein Betrieb einen Millionenumsatz macht – wenn der Milchpreis stimmt.

Auch Garmanns Hof scheint zu prosperieren. An der Einfahrt hängt das Firmenlogo, große Traktoren und ­Maschinen stehen auf dem Gelände. Die Gäste setzen sich in den Garten, Garmanns Frau bringt Schnittchen und ­erzählt, dass Landwirtschaft in Kinderbüchern oder auf Lebensmittelverpackungen immer noch wie in Bullerbü dargestellt werde, sei ein echtes Problem. "Verlogen ist das", brummt Stegemann, "die Verbraucher haben einen ­unfassbar hohen Anspruch, aber wenn sie einkaufen, ­richten sie sich nach dem Preis." Doch hatte Stegemanns Kollegin von den Grünen nicht trotzdem recht, als sie im Ausschuss sagte: Kühe gehören auf die Weide? "Das hat auch Nachteile, sie werden dort nicht bedarfsgerecht ­gefüttert und scheißen viel auf eine Fläche", sagt der ­Abgeordnete. "Aber wenn jemand der Meinung ist, dass Kühe auf die Weide gehören, kann er die teurere Weidemilch kaufen – das ist konstruktiv."

Im Landwirtschaftsausschuss hatte Stegemann zu ­seinen Kolleginnen und Kollegen gesagt: "Sie wissen ja, wir Landwirte werden mit dem Stein auf der Brust ­geboren und haben das Klagen gelernt." Bei den Landwirten kommt vieles so an, als seien sie die Ursachen der Probleme – aber nie die Lösung. Und wenn die Politik Vorschläge für eine Landwirtschaft mit Zukunft macht, will das oft nicht mehr zu dem passen, was Bauernhöfe heute sind – kleine mittelständische Betriebe mit Mitarbeitern. "Du musst gute Leute haben", sagt Garmann, "sonst geht es nicht." Luka Garmann erzählt die Geschichte, zu der alle in der Runde mit dem Kopf nicken. Er war mit dem Traktor unterwegs. Zwei Radfahrer fuhren vor ihm. Überholen konnte er nicht. Früher hätten sie Platz gemacht und gegrüßt, da ist er sicher. Heute sei das selten. Minutenlang habe der Traktor hinterherschleichen müssen. Den ­Garmanns fehlt der Respekt für das, was sie tun.

Erst mal holt sich Albert Stegemann Respekt von den Kollegen im Bundestag. "Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt, es steht nicht mal ein ­Torhüter im Tor – und Sie vergeigen diese ­Chance", sagt er zu den Abgeordneten der Ampel, die ein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz beschließen – aber zunächst nur für frisches Fleisch von Mastschweinen aus Deutschland. Kommt das Fleisch zum Beispiel aus den Niederlanden, gibt es keine ­Kennzeichnung. Stegemann versteht das nicht. Wieder keine Planungssicherheit für die Landwirte.

Mit seiner Rede schafft Stegemann es in Fachmedien. Die Tagesschau berichtete zwar über das staatliche Tier­logo, die Debatte im Bundestag zeigte sie nicht. "Politik ist selten planbar", meint Stegemann. Er findet, das gilt fürs Tagesgeschäft, aber auch für Karrieren. Es könne ja auch sein, dass die Leute in seinem Wahlkreis irgendwann mal sagen: "Mensch, Albert, eine andere Politikerin passt jetzt besser in die Zeit." Von seiner Region getragen zu sein, das ist ihm wichtig. Und wenn sich das mal ändert? "Dann kann ich immer noch zurück auf meinen Hof."

Infobox

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft

Warum prägen Agrarunternehmen die Landwirtschaft? Erstens: Die gemeinsame Agrarpolitik der EU richtet sich vor allem nach der Fläche – je größer ein Betrieb ist, desto mehr EU-Prämien bekommt er. Zweitens: Landwirtschaft ist auf teure Maschinen angewiesen, auch Ställe kosten viel Geld. Kleinere Höfe können diese Investitionen nicht stemmen. Viele Betriebe spezialisieren sich auf eine Tier- oder Pflanzenart. ­Damit senken sie die Kosten pro produzierter Einheit, zum Beispiel pro Kilo Milch oder Kartoffeln. Die ­Betriebe werden aber auch anfälliger für Preisschwankungen oder Wetterextreme. Drittens: Schon heute sind 40 Prozent der Hofleitungen älter als 55 Jahre. Aber nur wenige junge Menschen wollen in die Landwirtschaft – das Höfesterben geht weiter.

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Lesermeinungen

Guten Tag!
Da ich in einem Alter (92) angekommen bin , in dem man nichts aufschieben sollte setze ich diesen Vorsatz spontan um :Ich bin dem Chrismon dankbar, dass es einem Bauern und MdB aus dem Emsland einmal einmal elf Seiten gewidmet hat. An sich hält unsere Kirche sich ja im Bezug auf die Landwirtsc haft mehr an die Romantik des Bauernhofes und die Idylle. In Sonderheit tut sie es am Erntedankfest.
Es kostete einige Mühe unsere Pastoren davon zu überzeugen den Standardpredigtext des Erntedanktages nicht mehr zu verwenden: dass nämlich der natürlich reiche Bauer seine Scheunen neu und grösser bauen müsse. Anscheinend war der Hinweis auf die Kollekte zu offensichtlich. Aber von dem grossen Höfesterben in Deutschland haben unsere wohlbestallten. Pastoren und die Leitung unserer Kirche bisher nichts wahrgenommen. Unsere Tische im reichen Deutschland sind ja immer reich gefüllt. In unserer Kirchengemeinde haben mitlerweile übrigens mehrfach hervorragend ausgebildete Berufskollegen zeitgemässe Erntedankgottesdienste gestaltet.
Ich gestatte mir noch den Hinweis, dass in der NS Zeit in unserem Raume weit überwiegend Landwirte die Kirchenvorstände bildeten und nicht Gemeindemitglieder in unkündbaren Berufen, die oft sogar aus der Kirche ausgetreten waren.
Mit freundlichen Grüssen
Hermann Ahrens
Weyhe

Da haben Sie sich mit dem Herrn Stegemann tief ins Politische gewagt
und dabei deutlich das Elend des kapitalistischen Wirtschaftens offenbar gemacht.
Da rufen alle nach Planungssicherheit, die es in einem Wirtschaftssystem der freien Konkurrenz,
die es freilich auch schon lange nicht mehr so frei ist wie sie genannt wird, nicht geben kann.
Wie wir lesen streben etliche Lobbyisten nach ihren Interessen und Pfründen, um ihren Profit zu retten oder zu mehren.
Da ist Herr Stegemann sozusagen ein Segelboot, ein Spielball im Sturm der Politgewalten in Deutschland und Europa.
Und ja, natürlich ist er für Umweltschutz, für Tierwohl und Energiewende aber doch nicht mit Weidehaltung, Verringerung der Tierbestände, ohne Antibiotika und Pestizide.
Nein, das geht gar nicht.
Und dann will der inkompetente Landwirtschaftsminister noch Werbungen für vermeintlich ungesunde Produkte verbieten, mindestens aber auf den Abend verbannen wo er glaubt, dass da die Kinder schlafen und sitzen nicht mehr vor dem Fernseher.
Das nun auch nicht. Die Bürokraten sollen mal auf Staatskosten, vulgo unsere Steuergelder, mal tun für Bildung zu gesunder Ernährung.
Aber wir wollen weiter unser Süßzeug herstellen und in den Supermärkten an exponierter Stelle Pfeilbieten.
Mal sehen, ob die ernährungsgebildete Jugend der Verführung standhält.
So geht Marktwirtschaft! Profit und Egoismus geht vor Vernunft!
Wolfgang Schlenzig
Berlin-Mariendorf

Albert Stegemann: "Und mit der Landwirtschaft ist es wie mit der Fußballnationalmannschaft: Du hast mehr als 80 Millionen Trainer und alle wissen, wie es funktioniert."

Offenbar fühlt sich da ein systemrationaler Zyniker des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs um die Deutungshoheit zu sicher, ganz im Sinne von: "Denn sie wissen nicht was sie tun"!?

Nahrung ist ein grundsätzliches Menschenrecht - Nur weil einige Menschen damals sesshaft wurden und Lebensraum zum Privatbesitz erklärten, bedeutet dies nicht, dass die daraus resultierende "freiheitliche Werteordnung" einzig menschenwürdig, bzw. im Sinne von Gott/Vernunft ist, ganz im Gegenteil.

An allen offensichtlichen Eskalationen von "zivilisierter" Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt ist nun deutlich, dass es Zeit ist für wirklich-wahrhaftige Kommunikation zu Vernunft und Verantwortungsbewusstsein, ganz im Sinne des Geistes von Gott/Vernunft und Zentralbewusstsein der Schöpfung, dann klappt's auch mit wirklicher Wahrhaftigkeit, in unkorrumpierbarer Wertigkeiten von zweifelsfreier Eindeutigkeit, also mit Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit ohne heuchlerische Verlogenheit/Bewusstseinsbetäubung.

Andererseits: "Ohne Ernten, ohne Essen geht nichts."

Ausbeutung und ERPRESSUNG: Die logische "Ökonomie" in unternehmerischen Abwägungen von/zu "Arbeit macht frei" und "WER SOLL DAS BEZAHLEN?", wo ein Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik wirklich-wahrhaftige Werteordnung, also zweifelsfrei-eindeutige und UNKORRUMPIERBARE Gerechtigkeit/Wahrheit OHNE manipulativ-schwankende "Werte" bringen würde.

Und schon wird es wieder idealistisch, kompliziert und unnachahmlich. Auch viele andere Berufe und Betriebe sind weniger geworden oder sie gibt es nicht mehr. Die Landwirtschaft ist keine Ausnahme. Die Produktivität ist mitentscheidend für das Überleben. Es geht nicht darum, welche Landwirtschaft wir wollen, es geht darum, welche uns dann wie und ausreichend ernährt. Wie wir davon Gebrauch machen, ist nicht Aufgabe des Bauern. Und wenn in wenigen Jahrzehnten -von 8 auf 10 Miliarden!- nicht mehr Preis und Bio-Qualität, sondern die Verfügbarkeit (Verbraucherzahl, klimatische Veränderungen) eine grössere Bedeutung erlangt, gelten ganz andere Verteilungskämpfe. Dann wird der Aufwand für tierische Proteine unverantwortlich und nur noch die Aufgabe des eigenen Hühnerstalls. Dann sollen es Bohnen richten. Leben und Essen sind heilig. Kleidung und Wärme sind es auch. Vergessen wird die Schnelllebigkeit der Zeit. Was sind schon 50-80 Jahre! So gut oder schlecht wie nix. Aber eine Welt voll entscheidender Veränderungen. Der undankbarste Job wäre es, ein Prophet sein zu wollen.