Respektlotsen und Badegäste sprechen vor einem Becken im Inselbad in Stuttgart-Untertürkheim.
Respektlotsen-Teams im Inselbad in Untertürkheim, Gespräche mit Badegästen und -meister
LICHTGUT
So gelingt der soziale Frieden im Freibad
Statt auf Polizisten am Pool setzen die Berliner Freibäder lieber auf Konfliktlotsen aus dem Kiez. Auch in Stuttgart möchte man mit Jugendlichen auf Augenhöhe reden.
28.07.2023

Wer in Berlin ins Freibad will, muss sich neuerdings ausweisen. Das ist die Konsequenz aus der Randale vom 9. Juli im Columbiabad. Nicht jedem gefällt die neue Regelung. Vergangenen Sonntag versammelten sich vor einem Bad 150 Menschen zu einer Kundgebung, zu der die antirassistische Gruppe Migrantifa aufgerufen hatte, weil ihrer Ansicht nach durch die Kontrollen rassistische Vorurteile reproduziert würden. Von den Jugendlichen, die immer wieder auffällig geworden sind, haben viele einen Migrationshintergrund. "Wie ist das mit Menschen, die keine Papiere haben? Dürfen die jetzt nicht mehr baden gehen?", fragt eine Frau in die Kamera des RBB. Und eine ältere Frau sagt: "Wenn es Orte gibt, in denen man Demokratie üben kann und wo es Spaß macht, dann sind das Freibäder."

Im Prinzip sieht das auch Matthias Oloew so, der Sprecher der Berliner Bäder-Betriebe. "Ich kenne keine demokratischere Einrichtung als das Freibad", sagt er. Das sei Verlockung und Herausforderung zugleich. Verlockung, weil hier so viele unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen, die sich sonst nicht begegnen würden. Herausforderung, weil die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse oft in Konflikt zueinander stehen. Dazu komme jedoch eine Respektlosigkeit gegenüber Aufsichtspersonen, vorrangig von Jugendlichen, die die Hausregeln missachten. Und eine Gereiztheit, besonders an heißen Tagen. "Die Ausweiskontrolle wirkt beruhigend auf viele Menschen, weil etwas getan wird, um den Ruf von Freibädern nicht weiter durch Eskalationen zu beschädigen", sagt er.

Durch die Ausweispflicht ließen sich nun vor allem Hausverbote besser durchsetzen. Früher hätten viele einfach gesagt, dass sie keinen Ausweis dabei haben. "Das führte dazu, dass Hausverbote nicht in allen Fällen rechtlich verbindlich ausgesprochen werden konnten." Die Hoffnung ist: Wer sich nicht an Regeln halten will, bleibt nun eher fern. Doch gibt es nicht auch andere Möglichkeiten, damit man bei Freibad wieder vor allem an den Geruch von Pommes, Sonnenmilch und Chlor denkt, statt daran, dass dort Bademeister bedroht, Mädchen bespuckt und Transfrauen die Nase gebrochen wurden?

Tim Wegner

Katharina Müller-Güldemeister

Katharina Müller-Güldemeister hat Geografie, Kommunikationswissenschaft und Germanistik in Bamberg studiert, die Reportageschule in Reutlingen besucht und arbeitet als freie Journalistin von Berlin aus. Zu ihren Schwerpunkten gehören Reportagen und Porträts, Menschen, die das Radfahren lieben, Natur, Umgang mit der Klimakrise, Zusammenwachsen von Ost und West und auch das Lebensende. 2016 fuhr sie mit dem Fahrrad nach Teheran.

Durch bauliche Veränderungen können manche Konflikte entschärft werden. "Die einen kommen ins Freibad, um Bahnen zu schwimmen, die anderen, um vom Beckenrand zu hopsen oder toter Mann zu spielen", sagt Oloew. Im Berliner Prinzenbad, das an heißen Tagen bis zu 9500 Besucher zählt und in dem es auch häufiger zu Polizeieinsätzen gekommen war, hat das jedenfalls geholfen. Hier wurde unter anderem eine der beiden 50-Meter-Becken für Bahnenschwimmen reserviert. In dem anderen 50-Meter-Becken gibt es seitdem einen abgetrennten Sprungbereich. "Der ist direkt vor der Sonnenterrasse, hier hat man also die maximale Aufmerksamkeit", sagt Oloew und lächelt wissend. Doch nicht überall kann man umbauen. Dann gelte es, einen guten Kompromiss zu finden. Etwa, dass nur zu bestimmten Zeiten gesprungen werden darf.

Respektlotsen streifen durch das Inselbad in Stuttgart-Untertürkheim

Gerade für die heißen und vollen Tage holen sich die Berliner Bäder-Betriebe seit 2011 sogenannte Konfliktlotsen in die Freibäder. Weil es auch damals immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war, entwickelte die Gesellschaft für Sport- und Jugendsozialarbeit in Berlin zusammen mit der Polizei und den Bäder-Betrieben das Projekt "Bleib Cool am Pool". Bisher kamen die ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen in vier Berliner Freibädern zum Einsatz, aus zwei wurden sie wieder abgezogen, weil sich die Situation beruhigt hatte. Matthias Oloew bedauert das. Er würde gern noch deutlich mehr Konfliktlotsen in den Berliner Bädern wissen. Doch Akquise und Schulung sind aufwendig. Und für ihre Einsätze bekommen die Konfliktlotsen zwar eine Aufwandsentschädigung, wer Geld verdienen will oder muss, macht aber etwas anderes.

In diesem Jahr streifen 20 bis 25 Ehrenamtliche freitags, samstags und sonntags während der Sommerferien in Zweier- oder Dreierteams durch das Freibad Pankow und das Columbiabad. Sie schauen genau hin und versuchen, Konflikte zu entschärfen, bevor sie eskalieren. Man trifft sie häufig an den großen Wasserrutschen.



Die Konfliktlotsinnen und -lotsen sollen in etwa die Zusammensetzung der Badegäste widerspiegeln, was Ethnie, Religion und Altersstruktur angeht. Sie kommen aus den umliegenden Kiezen, sind verwurzelt in den Communitys, sprechen die gleiche Sprache, haben vielleicht Ähnliches erlebt wie jene, die sie ansprechen und um mehr Rücksicht und Respekt bitten.

Der Ansatz funktioniert so gut, dass das Projekt "Bleib Cool am Pool" Nachahmer gefunden hat. Denn auch in anderen Städten muss manchmal die Polizei in Freibädern für Ruhe sorgen. In Stuttgart stellten sich im Sommer 2019 rund 50 Badegäste zusammen mit einem 13-jährigen Jungen gegen einen Bademeister. Der hatte den Jungen zuvor ermahnt, weil er ohne Rücksicht auf andere Ball gespielt hatte. Daraufhin fragte sich die Stadt, allen voran die Integrationsbeauftragte Ayşe Özbabacan und der damalige Leiter der Stabsstelle Kommunale Kriminalprävention, wie man den Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen könne, um mehr Respekt einzufordern.

"Für uns war die Frage wichtig, wie wir im Alltag miteinander umgehen. Was bedeutet Respekt für mich und mein Gegenüber? Wie geht es den jungen Menschen, welche Themen bewegen sie? Welche Angebote können wir ihnen als Stadt anbieten?", sagt Ayşe Özbabacan.

Ayşe ÖzbabacanPrivat

Ayşe Özbabacan

Ayşe Özbabacan hat Euroculture studiert und ist Integrationsbeauftragte der Stadt Stuttgart. Nach gewalttätigen Ausschreitungen in einem Stuttgarter Schwimmbad entwickelte sie zusammen mit Gregor Belgardt von der Kommunalen Kriminalprävention das Projekt Respektlotsen.

Statt Konfliktlotsen wie in Berlin nennen sie die Jugendlichen und jungen Erwachsenen Respektlotsen. Die rund 40 Respektlotsinnen und -lotsen sind zwischen 16 und 30 Jahre alt, darunter Schüler und Studierende, Auszubildende, gebürtige Schwaben und Geflüchtete. Zusammen genommen sprechen sie 15 Muttersprachen, darunter: Arabisch, Türkisch, Polnisch, Mongolisch, Urdu, Albanisch und Deutsch. Viele von ihnen sind mehrsprachig.

"Wir haben oft eine Brückenfunktion zwischen Bademeistern und Gästen, auch bei kulturellen oder sprachlichen Missverständnissen", erzählt Kevin Gurka, der bei der Stadt in der Integrationspolitik arbeitet, das Projekt koordiniert und auch selbst als Respektlotse unterwegs ist. "Einmal hatte ein Bademeister zu einem muslimischen Mädchen gesagt, dass sie mit ihrem Kopftuch so nicht in Wasser gehen darf", erzählt Gurka. Das hatte aber nichts mit Ausgrenzung, sondern mit den Baderegeln zu tun. Baumwolle kann mehr Bakterien beherbergen als Synthetik, außerdem zersetzt es sich im Chlorwasser und die Fasern können das Filtersystem verstopfen. Eine Respektlotsin hat ihr dann erklärt, warum sie einen Hijab aus Nylon braucht.

Kevin GurkaPrivat

Kevin Gurka

Kevin Gurka, Jahrgang 1979, hat Politikwissenschaft, Soziologie und Allgemeine Rhetorik studiert. Seit 2019 arbeitet er in Stuttgart in der Abteilung Integrationspolitik und ist u. a. zuständig für das Projekt Respektlotsen, die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen und die Koordination des Arbeitskreises Kommunaler Qualitätszirkel zur Integrationspolitik.

Anders als die Konfliktlotsen in Berlin sind die Respektlotsen in Stuttgart nicht nur in Freibädern unterwegs. Während des Corona-Lockdowns fragten sie die Leute, wie es ihnen geht, ob sie ein Anliegen haben. Gerade Jugendliche hatten viel Redebedarf, sagt Kevin Gurka. Sie sprachen über beengte Wohnverhältnisse, hohe Mieten, viele wünschten sich Orte, an denen sie Sport machen oder essen und trinken können, ohne es teuer kaufen zu müssen. Die Respektlotsen geben viele Wünsche an die entsprechenden Stellen in der Stadt weiter und informieren die Jugendlichen darüber, wo sie Freizeit- und Sportangebote und Beratungsstellen finden und wie auch sie sich ehrenamtlich engagieren können.

Wenn das Gespräch auf Respekt kommt, sind die Projektverantwortlichen oft erstaunt, welche Gedanken, aber auch, welche blinden Flecken auftauchen. Die Integrationsbeauftragte Ayşe Özbabacan erzählt von einem Gespräch, das ihr zugetragen wurde: "Respekt lernt man nicht mit 20, das ist das, was einem die Eltern mitgeben, mit ihrer Liebe." Kevin Gurka findet, da steckt viel Wahres drin. "Respekt hat viel mit dem eigenen Selbstwertgefühl zu tun. Wenn ich Respekt für mich einfordere, muss ich auch Respekt geben", sagt er.

Gemeinsam im Einsatz: Kevin Gurka (l.) und Ayşe Özbabacan (2.v.r.) mit drei ehrenamtlichen Respektlotsen

Manchmal forderten die Gesprächspartner aber auch Respekt ein, den sie selbst nicht bereit waren zu geben. Einmal sprach ein Mann davon, dass Jugendliche mehr Respekt vor Älteren haben sollten. In dieses Gespräch schaltete sich ein anderer ein: "Kann man hier nicht mal in Ruhe Bier trinken?", habe er gesagt. "Oder einer beschwerte sich über mangelnden Respekt von muslimischen Jugendlichen und merkte gar nicht, dass eine der beiden Respektlotsinnen marokkanische Wurzeln hat", erzählt Gurka.

Ist die Integration gescheitert?

Das Projekt wirke nach außen wie nach innen. "Geflüchtete verbessern ihre Deutschkenntnisse und führen auch Gespräche auf Arabisch, die ich nicht führen könnte", erzählt Gurka. "Manche von ihnen haben sich am Anfang nicht getraut, Leute anzusprechen, ein Jahr später führen sie ein Fernsehteam durch die Stadt." Als Respektlotse haben sie eine Aufgabe und übernehmen Verantwortung. Außerdem treffen die Jugendlichen hier auf andere aus anderen Stadtteilen und Lebenswelten, die sie sonst nicht treffen würden.

Was er in den Gesprächen leider immer wieder erlebt, ist Stigmatisierung von Menschen mit Migrationshintergrund. "Viele der Respektlotsen haben in ihrem Leben Rassismus erlebt", sagt er. "Sie machen mit, weil sie sagen: Ich möchte nicht, dass auch noch meine Kinder das erleben müssen."

Die jüngsten Schlagzeilen aus den Berliner Freibädern haben die Debatte neu angeheizt. Manch einem dienen die Vorfälle sogar als Beispiel dafür, dass die Integration in Deutschland gescheitert ist. Katarina Niewiedzial, die Integrationsbeauftragte von Berlin, hält das für falsch. "Es bringt nichts, wenn man die Probleme auf die Herkunft einer Gruppe junger Menschen projiziert: Das befeuert eine integrationsfeindliche Stimmung im Land, die sich gegen alle Migrant*innen wendet", sagt sie. "Das soll nicht heißen, dass es keine Probleme gibt." Man müsse die Ursachen erkennen, um sie zu verändern.

Jonas HolthausJonas Holthaus

Katarina Niewiedzial

Katarina Niewiedzial ist seit 2019 Beauftragte für Integration und Migration von Berlin und war vorher Integrationsbeauftragte des Berliner Bezirks Pankow. 1990 ist sie mit ihrer Familie aus Polen nach Deutschland gekommen und hat später Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie European Studies studiert.

In ihren Augen seien die Krawalle kein Thema der Herkunft, sondern ein Thema von Männlichkeitsbildern, Rollenverständnis und dass es für viele Jugendliche zu wenig Perspektiven gebe. "Wir leben in einer Migrationsgesellschaft, die die Vielfalt der Menschen in den Blick nimmt und zielgruppenspezifische Lösungen erarbeiten muss", sagt sie. Ein Beispiel dafür sei die Arbeit mit Männern. Eine gleichberechtigte Gesellschaft könne nicht gegen die Männer funktionieren.

Die Männerrolle hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewandelt. "Männer verlieren ihre Stellung als Haupternährer, und deshalb hadern viele mit ihrer Rolle", sagt Niewiedzial. Arbeit sei ein Motor für Integration. Bei Geflüchteten dauert es aber oft Jahre, bis sie in Deutschland arbeiten dürfen. Es fehlten Angebote, vor allem für Jungen und Jugendliche insgesamt. Es fehlten aber auch Ansprechpartner für Männer, mit denen sie im geschützten Raum reden können.

"Was bedeutet Respekt für dich?", fragen die Respektlotsen - auf Augenhöhe und in 15 möglichen Sprachen.

Wichtig wären mehr Angebote für Männer

Eins der wenigen Projekte dieser Art ist die Männerarbeit des türkischen Psychologen Kazım Erdoğan im Verein Aufbruch Neukölln, die die Integrationsbeauftragte seit vielen Jahren fördert. Sie finanziert auch afghanische Männergruppen. Diese sind aber leider immer noch rar und nicht als Teil der regulären Familienarbeit verankert.

Für Jugendliche wäre das Freibad eigentlich genau der richtige Ort für sozialpädagogische Angebote. "Warum nicht gleich vor Ort die Jugendlichen ansprechen?", sagt sie. Gerade für die, die es sich nicht leisten können, im Sommer wegzufahren, sei das wichtig. Ein möglicher Ansatz: aus potenziellen Tätern Akteure machen, die zur Lösung beitragen. Das Projekt "Bleib Cool am Pool" ist ein gutes Beispiel dafür.

Das Problem der Präventionsarbeit ist allerdings oft, dass der Erfolg nicht direkt messbar ist. "Sobald sich die Situation nach einem Skandal beruhigt hat, werden Projekte und sozialpädagogische Angebote wieder eingestellt."
Auf den nächsten Knall braucht man dann eigentlich nur zu warten.

Infobox

Das Stuttgarter Respektlotsen-Projekt läuft seit 2020 und ist eine Kooperation der Stabstelle Kommunale Kriminalprävention und der Abteilung Integrationspolitik der Stadt Stuttgart mit dem Gemeinschaftserlebnis Sport, der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft, dem Förderverein Sicheres und Sauberes Stuttgart und den Stuttgarter Bädern.

Permalink

In Abwandlung eines trotz seines umstrittenen Ursprungs zutreffenden Zitats kann man feststellen: «Falls Sie in einem Land leben, in dem Sie beim Betreten eines Schwimmbades Ihren Ausweis vorzeigen müssen, jedoch an der Grenze jedermann ohne alle Papiere hereingelassen wird, dann haben Sie das volle Recht zu sagen, dieses Land wird von Idioten regiert.»

Ins Schwimmbad BRD wird also jedermann, ich betone jedermann, hereingelassen und die Bademeister an den Grenzen mit den Wasserpistolen und schmucken Uniformen dienen nur zur Dekoration.

Nähere Einzelheiten:

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Dienstwaffen_der_deutschen_Sicherheitsbeh%C3%B6rden

Fritz Kurz

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