Wieso die Grippe-Impfung für Kinder nun wichtig ist

"Wir erleben mehr Atemwegsinfektionen"
Kind bei der Grippeimpfung (Symbolbild)

Fascinadora/500px/Getty Images

Kind bei der Grippeimpfung (Symbolbild)

Kind bei der Grippeimpfung (Symbolbild)

Kindermediziner Markus Rose erklärt im Interview, weshalb sich Kinder nun öfter mit schwereren Atemwegsinfektionen anstecken als vor der Pandemie und wie Grippe-Impfungen für Kinder die gesamte Gesellschaft schützen können.

Wie gefährlich ist die Grippe für Kinder und Jugendliche?

Markus Rose: Die echte Virusgrippe oder Influenza ist gerade für junge Kinder eine bedrohliche Erkrankung. Deshalb empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation eine Grippeschutzimpfung für alle Kinder von sechs Monaten bis fünf Jahren. Auch Jugendliche können nicht nur an der Influenza an sich erkranken - mit wochenlangem Husten und heftigen Kopfschmerzen -, sondern auch an Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen oder Nierenschäden, die dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen bedeuten. Eine Grippeschutzimpfung aller Schwangeren, wie sie Frauenarztverbände und die Ständige Impfkommission empfehlen, vermindert Fehl- und Frühgeburten und schützt Mutter und Kind nicht nur während der Schwangerschaft, sondern auch das gesamte erste Lebensjahr.

Markus Rose

Prof. Markus Rose ist Infektiologe, Epidemiologe und Leiter des Zentrums für Angeborene Lungenerkrankungen am Klinikum Stuttgart.
RautenbergMarkus Rose

Nils Husmann

Nils Husmann ist Redakteur und interessiert sich besonders für die Themen Umwelt, Klimakrise und Energiewende. Er studierte Politikwissenschaft und Journalistik an der Uni Leipzig und in Växjö, Schweden. Nach dem Volontariat 2003 bis 2005 bei der "Leipziger Volkszeitung" kam er zu chrismon.
Lena Uphoffchrismon Redakteur Nils Husmann, September 2017

Hilft es Ihnen in den Krankenhäusern, wenn sich viele Kinder gegen Grippe impfen lassen?

Auf jeden Fall, sogar in mehrfacher Hinsicht: Wir brauchen die Betten dann nicht für Kinder mit schweren Grippeverläufen, sondern können unsere wertvollen Ressourcen nutzen, um andere Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters zu behandeln. Und: Kinder sind die Hauptüberträger der Influenza, deutlich mehr als zum Beispiel bei SARS-CoV-2. Sind viele Kinder geimpft, erkranken auch weniger Erwachsene an Grippe. Hinzu kommt: Eltern müssen nicht für die Pflege ihrer grippekranken Kinder zu Hause bleiben.

Also dämmt eine hohe Impfquote unter Kindern und Jugendlichen die Verbreitung der Grippe für alle ein?

Ja, das ist richtig und gilt auch für andere Atemwegsinfektionen.

Zum Beispiel für welche?

Vor allem unter älteren Erwachsenen ließ sich die Zahl der durch Pneumokokken verursachten Lungenentzündungen erheblich zurückdrängen, weil alle Säuglinge und Kleinkinder entsprechend konsequent gegen Pneumokokken geimpft wurden und die Großeltern sich nicht bei ihren Enkeln anstecken.

Wie ist die Situation bei Ihnen im Klinikum Stuttgart - sind viele Kinder an Atemwegsinfekten erkrankt?

Ja, schon jetzt liegen auch in unserer Klinik ungewöhnlich viele Kinder mit Lungenentzündungen, die durch eine Influenza ausgelöst wurden.

"Corona-Maßnahmen haben Übertragung aller Atemwegserreger unterbunden"

Warum ist das so?

In der Corona-Pandemie war es notwendig, die Gesundheit aller zu schützen. Dafür brauchten wir Maßnahmen wie Masken, Abstandsregeln und vermehrte Desinfektion. Diese Maßnahmen haben als Nebeneffekt die Übertragung aller Atemwegserreger unterbunden. Nun brauchen Kinder von Natur aus viel Kontakt mit Mikroorganismen wie Viren, Bakterien oder Parasiten, um ein gesundes Immunsystem und - mit Blick auf Allergien - eine Toleranz aufzubauen. Normalerweise machen Kinder bis zum Schulalter pro Jahr rund ein Dutzend fieberhafter Infekte durch. Während der Corona-Pandemie haben die Maßnahmen das verhindert.

Welche Folgen hat das?

Wir erleben seit Herbst 2021 vermehrte und auch schwerere Atemwegsinfektionen unter Kindern als vor der Pandemie. Wissenschaftliche Daten aus Australien legen nahe, dass das kommende Winterhalbjahr auch bei uns von einer größeren Krankheitslast durch Atemwegserreger geprägt sein könnte.

Grippe-Impfung auch für Kinder gut verträglich

Ist die Grippeschutzimpfung für Kinder gut verträglich oder - im Gegenteil - gar gefährlich und riskant?

Die Grippeschutzimpfung ist auch bei Kindern sicher und gut verträglich. Kursierende Meinungen, dass man von dieser Impfung krank werde, beruhen auf einer Fehlwahrnehmung.

Welche falsche Wahrnehmung meinen Sie?

Wenn wir uns nun zur Erkältungsjahreszeit gegen Grippe impfen lassen, kann natürlich zeitgleich ein Infekt mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit, mit dem sich der Impfling zuvor angesteckt hat, ausbrechen. Der Infekt ist dann aber natürlich nicht Folge der Impfung, es wird nur ein Zusammenhang empfunden! Diesen Infekt hätten sie die Betroffenen aber auch ohne die Grippeschutzimpfung eingefangen.

Lesen Sie hier: Warum Corona-Angst trotz der prekären Lage in Krankenhäusern nicht weiterhilft

Womit wird gegen Grippe geimpft?

Der medizinische Fortschritt hat die Idee "eine Grippeimpfung für alle" überholt. Für die Grippeschutzimpfung sind in dieser Saison neun verschiedene Vakzine zugelassen. Sie werden jedes Jahr angepasst. Diese Anpassung richtet sich danach, welche Influenzastämme im Sommer auf der Südhalbkugel beobachtet worden sind, wenn dort der meteorologische Winter herrscht. Die Impfstoffe haben recht unterschiedliche Eigenschaften.

Zum Beispiel?

Es gibt hochwirksame Impfstoffe für abwehrschwache Senioren und eine Nasensprayimpfung für 2- bis 17-jährige Kinder als Alternative zur Spritze. Die Kinder- und Hausärzte kennen sich damit gut aus und empfehlen die jeweils beste Grippeschutzimpfung für ihre Patienten. Wie auch bei der Corona-Impfung gilt der Grundsatz: Die beste Schutzimpfung ist die, die Sie Ihrem Körper gegönnt haben.

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Lesermeinungen

Handelt es sich hier um ein christliches Magazin oder um die Apothekenzeitung? Bisher galt doch: die Grippeimpfung wird Älteren oder Risikogruppen empfohlen. Die STIKO hat übrigens KEINE Impfempfehlung für Kinder ausgesprochen. Die von Herrn Dr. Rose aufgebaute Argumentationskette halte ich für problematisch. Es darf kein Kind mehr krank werden, denn es könnte Überträger sein. Wieso gibt es so wenig Betten, dass niemand mehr krank werden darf...wo sind da die Ursachen?