"Mittelalterliche Form der Unvernunft"
Die liberalen Kräfte aus allen Religionen müssen sich gemeinsam starkmachen - ganz besonders gegen Hetzer und Menschenverächter in ihren eigenen Reihen.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
18.08.2022

Eine gute Nachricht, immerhin, inmitten des Schreckens: Der Schriftsteller Salman Rushdie hat, wenn auch schwer verletzt, das Attentat gegen ihn überlebt. Sein Esprit und sein Humor sind ihm erhalten geblieben.

Die Nachricht am vergangenen Freitagnachmittag ließ allen vernünftigen Menschen den Schreck in die Glieder fahren: Ein 24-Jähriger sticht während einer Lesung auf Salman Rushdie ein. Der junge Mann ist US-Bürger, seine Eltern stammen aus dem Libanon, sind geschieden. Die Mutter beteuert, sie sei nicht religiös und hätte vor dem Attentat noch nie was von Salman Rushdie gehört. Ihr introvertierter Sohn habe nach einer Libanonreise vor vier Jahren sich zunehmend von der Familie isoliert.

Es wurde deutlich: Ruhollah Khomeinis Todesfatwa vom Februar 1989 - der fanatische iranische Revolutionsführer starb vier Monate später – ist in der Welt. Da hilft es nicht, dass viele hochrangige muslimische Autoritäten widersprochen haben, dieses angebliche "Rechtsgutachten" sei unislamisch. Niemand kann die Todesdrohung zurücknehmen. Sie wird Rushdie ein Leben lang bedrohen.

Eine Katastrophe auch, dass die iranische Mullah-Diktatur diese Fatwa mehrfach bestätigt hat. Derzeit hat es den Anschein, als sei der mutmaßliche Attentäter bei seiner Libanonreise zu diesem Mordversuch angestachelt worden – von wem auch immer und auf welche Weise auch immer.

Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff

Burkhard Weitz

Burkhard Weitz war als chrismon-Redakteur bis Oktober 2022 verantwortlich für die Aboausgabe chrismon plus. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Über eine freie Mitarbeit kam er zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und war mehrfach auf Recherchen in den USA, im Nahen Osten und in Westafrika. Seit November 2022 betreut er als ordinierter Pfarrer eine Gemeinde in Offenbach.

Salman Rushdie hat seine Verachtung für jede Form von Religion mehrfach kundgetan. Seine Reaktion auf das Attentat auf "Charlie Hebdo" in Paris im Januar 2015 etwa ist auf der Internetseite des englischen Schriftstellerverbandes PEN nachzulesen:

"Religion, eine mittelalterliche Form der Unvernunft, wird im Verbund mit modernen Waffen zu einer realen Bedrohung unserer Freiheit. Dieser religiöse Totalitarismus hat eine tödliche Veränderung im Herzen des Islam bewirkt, und heute sehen wir die Folgen in Paris. Ich stehe an der Seite von "Charlie Hebdo", wie wir es alle tun müssen, um die Kunst der Satire zu verteidigen, die schon immer eine Kraft für Freiheit und gegen Tyrannei, Unehrlichkeit und Dummheit war. 'Respekt vor Religion' ist zu einem Codewort geworden, das 'Angst vor Religion' bedeutet. Religionen verdienen, wie alle anderen Ideen, Kritik, Satire und, ja, unsere furchtlose Respektlosigkeit."

Wo immer Religion als mittelalterliche Form der Unvernunft in Erscheinung tritt, ist dem zuzustimmen.

Es gibt aber auch eine andere, eine furchtlose Form des Respekts vor Religion. Sie besteht darin, all diejenigen Muslime, Christinnen, Hindus, Jüdinnen, Buddhisten und anderen, die Religion für einen Quell von Humanität halten und ihre Religion auch so praktizieren, zu unterstützen.

Die religiös Liberalen dieser Welt, die keine Angst vor Satire und Spott haben, sondern mitlachen können, müssen sich zusammentun, egal aus welcher Religion. Sie haben eine gemeinsame Aufgabe.

Sie müssen Diktatoren wie den iranischen Mullahs widerstehen und widersprechen, die ihre selbst angemaßte politische Machtausübung mit religiöser Terminologie abzusichern versuchen.

Sie müssen all denen aus ihren eigenen Reihen, die sich verachtet fühlen und deshalb Zuflucht suchen in totalitaristischen, mehr oder weniger religiös angestrichenen Terrorverbindungen und dort ihrem Zorn Luft machen wollen, einen Weg zurück in die Gesellschaft eröffnen. Und all denen in ihren eigenen Reihen, denen es nicht um Liebe, sondern um Hass geht, mit klaren Worten und Taten entgegentreten.

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Man möchte hoffen und glauben, dass es sich lediglich um eine fromme Illusion handelt, wenn Burkhard Weitz fordert, dass sich liberale Kräfte aus allen Religionen stark machen müssen, um gegen Hetzer und Menschenverächter aus den eigenen Reihen vorzugehen. Tatsächlich zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass Burkhard Weitz eine perfide Attacke gegen Salman Rushdie reitet, dessen vernunftorientierte Religionskritik ihm ein Dorn im Auge ist. Allerdings kann sein frömmlerischer Tonfall die Infamie nicht überdecken, mit der er Salman Rushdie zum geistigen Brandstifter stempelt und ihm so eine Mitverantwortung an dem jüngst auf ihn verübten Attentat zuweist. Die entsetzliche Pointe besteht darin, dass Burkhard Weitz voller Verständnis für Mordburschen vom Schlage eines Hadi M. eine Täter-Opfer-Umkehr betreibt, die dem Ziel dient, den offensichtlichen Bankrott seiner sich liberal verstehenden Geisteshaltung zu überdecken.

Burkhard Weitz unterstellt Salman Rushdie ohne jeden Beleg, seine Verachtung für jede Religion kundzutun. Die zitierte Passage weist dagegen aus, dass Rushdie in einem philosophischen Betrachtungswinkel Religion mit dem Attribut der Unvernunft versieht und somit als Gefahr für die Freiheit identifiziert. Dem kann man zustimmen oder nicht, aber Weitz kann keinen Hinweis darauf geben, dass Rushdie in irgendeiner Form den Rahmen eines zivilisierten Gesprächs überschreiten würde. Der Vorwurf der Verachtung ist völlig aus der Luft gegriffen und dient dem Autor einzig und allein dazu, die Täter-Opfer-Umkehr perfekt zu machen - der Attentäter, so Weitz, zähle zu denjenigen, „die sich verachtet fühlen“. Die Kaltschnäuzigkeit dieses Gedankengangs wird noch mit ein paar warmen Worten garniert, um dem frommen Zielpublikum das süße Gift möglichst widerstandsfrei einzuträufeln.

Ein Intellektualismus, der sich auf diese Weise von Empathie und menschlichem Anstand befreit hat, ist schlichtweg gefährlich. Dabei spielt es keine Rolle, ob das bewusst oder unbewusst geschieht. Mit solchen „Liberalen“ habe ich nichts gemein.

Tatsache ist, dass Burkhard WEITZ Salman Rushdie zitiert aus dessen Statement, nachlesbar auf der Internetseite des englischen Schriftstellerverbandes PEN. Dort heißt es im Original:

"Religions, like all other ideas, deserve criticism, satire, and, yes, our fearless disrespect."

Also wenn das ("Religionen ... verdienen ... unsere furchtlose Respektlosigkeit") nicht ein Beleg ist dafür, dass Rushdie seine Verachtung für jede Form von Religion kundgetan hat, dann sollten Sie vielleicht erst mal klären, was für Sie als ein Beleg gilt.

WEITZ schreibt: "Wo immer Religion als mittelalterliche Form der Unvernunft in Erscheinung tritt, ist dem zuzustimmen."

Sie schreiben: "... aber Weitz kann keinen Hinweis darauf geben, dass Rushdie in irgendeiner Form den Rahmen eines zivilisierten Gesprächs überschreiten würde." ---

Also ehrlich: WO BITTE hat Weitz gesagt, dass Rushdie "in irgendeiner Form den Rahmen eines zivilisierten Gesprächs überschreiten würde"? Tatsache ist, dass Weitz das nirgendwo gesagt hat. Und WIESO, WESHALB, WARUM sollte Weitz dann einen Hinweis darauf geben müssen, dass Rushdie in irgendeiner Form den Rahmen eines zivilisierten Gesprächs überschreiten würde?

Sie könnten ebenso gut schreiben: aber Weitz kann keinen Hinweis darauf geben, dass die Erde eine Scheibe ist. Das wäre genauso richtig und sinnfrei wie das, was Sie geschrieben haben.

In Summa: Mehr Argumente, weniger Emotion ("paar warme Worte garniert"; "frommes Zielpublikum"; "Kaltschnäuzigkeit dieses Gedankengangs"; "süße Gift") --- das würde womöglich auch der Ausbildung Ihres Unterscheidungs- und Urteilsvermögens nicht schaden.

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"... diesem Mordversuch angestachelt – von wem auch immer und auf welche Weise auch immer."
Ich tippe auf die Lektüre der Bergpredigt, die ihn so radikalisiert hat. Oder die Schriften von Gandhi. Leute, Leute...
Wenn Kühnert über seine Parteifreunde sagt, sie seien auf dem islamistischen Auge blind, kann man das wohl auch für manche christlichen Schwestern und Brüder in Kirche und Medien konstatieren.

Antwort auf von Michael Ietis (nicht registriert)

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Und warum hat die Lektüre der BERGPREDIGT den Täter so radikalisiert? Oder warum die Schriften von GANDHIi?
Haben Sie die Schriften von Gandhi selber schon mal gelesen? Oder tippen Sie nur bei der Lektüre von diesem oder jenem? Und verstehen gar nicht, was Sie lesen? Weil Sie vielleicht auf beiden Augen blind sind? Wie können Sie dann aber verständig konstatieren, was Sie zu konstatieren meinen müssen?
Wenn Galilei über die Erde sagt: "Und sie bewegt sich doch!", kann man das auch für Ihre Verstandesgüte konstatieren? Leute, Leute ...

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Der Autor stellt für die fiktive Internationale der religiös Liberalen einen Aufgabenkatalog zusammen. Punkt 1 lautet:

"Sie müssen Diktatoren wie den iranischen Mullahs widerstehen und widersprechen, die ihre selbst angemaßte politische Machtausübung mit religiöser Terminologie abzusichern versuchen."

Tja, die falschen Herrscher versuchen mit religiöser Terminologie die Machtausübung abzusichern. Da können die richtigen Herrscher nur milde lächeln. Wenn vor der konstituierenden Sitzung des Bundestages oder vor der Bundesversammlung (Wahl des Bundespräsidenten) die Kirchen zum ökumenischen Gottesdienst laden, wird nicht mit religiöser Terminologie, sondern mit der wahren Religion politische Machtausübung tatsächlich abgesichert. Es bleibt nicht beim kläglich zum Scheitern verurteilten Versuch.

Fritz Kurz

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