Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beim Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz
Metodi Popow/SZ Photo/picture alliance
Die Schoah kleingeredet
Mit seiner Relativierung des Holocausts auf der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz schadet Palästinenserpräsident Mahmud Abbas seinem eigenen Volk. Ein Kommentar von Igal Avidan.
Ruthe Zuntz
17.08.2022

"Endlich glaubt er, dass die Schoah stattgefunden hat", schrieb mir ein israelischer Freund sarkastisch nach der äußerst fragwürdigen Äußerung von Mahmud Abbas. Der Palästinenserpräsident hatte bei einer Pressekonferenz mit Olaf Scholz im Bundeskanzleramt Israel "50 Holocausts" an den Palästinensern vorgeworfen. Er sagte, Israel habe seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen: "50 Massaker, 50 Holocausts."

Abbas wurde 1982 in Moskau mit einer Arbeit über "Die Zusammenhänge zwischen Zionismus und Nazismus 1933–1945" promoviert. Im Vorwort seines 1984 auf Arabisch erschienenen Buches, das auf dieser Dissertation beruht, bezweifelt er mit Verweis auf bekannte Holocaustleugner, dass Gaskammern zur Vernichtung der Juden zum Einsatz kamen. Und Abbas erklärte für unwahr, dass sechs Millionen Juden ermordet wurden. Außerdem hat Abbas mehrfach behauptet, die "Zionisten" würden mit den Nazis gemeinsame Sache machen.

Ruthe Zuntz

Igal Avidan

Igal Avidan, geboren 1962 in Tel Aviv, studierte englische Literatur und Informatik in Ramat Gan sowie Politikwissenschaft in Berlin. Igal Avidan lebt in Berlin und arbeitet seit vielen Jahren als freier Journalist und Deutschlandkorrespondent für verschiedene israelische Zeitungen (wie z. B. die Tageszeitung "Maariv", Tel Aviv), Hörfunksender und Nachrichtenagenturen sowie als freier Autor und Kolumnist zum Thema Nahost u. a. für die "Süddeutsche Zeitung", "NZZ", Cicero, "Frankfurter Rundschau", "Berliner Zeitung", "Tagesspiegel", "Welt" und das "Handelsblatt". Für verschiedene deutsche Organisationen wie die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsch-Israelische und Christlich-Jüdische Gesellschaft sowie für mehrere Stiftungen hält er Vorträge über Israel und den Friedensprozess im Nahen Osten. Sein neues Buch "… und es wurde Licht! Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel" erschien im Mai 2023 im Berenberg-Verlag.

Das palästinensische Wahlvolk hat Mahmud Abbas als Präsidenten zuletzt 2006 in seinem Amt bestätigt, seither nicht mehr. Dabei schadete dieser Präsident schon damals auch der Sache der Palästinenser. Dass er ihr Leiden im Krieg von 1948 und unter der israelischen Besatzung mit der Schoah verknüpft, bringt das palästinensische Volk seinem legitimen Wunsch nach Unabhängigkeit keinen Schritt näher. Im Gegenteil: Auch viele Israelis, die Empathie für das Leiden der Palästinenser haben und sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, wollen mit Leugnern oder Relativierern der Schoah nichts zu tun haben.

Genau das haben einige israelische Araber längst erkannt. Zum Beispiel der Vorsitzende der Vereinigten Arabischen Partei, des moderateren Flügels der islamischen Bewegung in Israel. Im israelischen Parlament sagte er bei einer Sondersitzung anlässlich des Holocaustgedenktags: "Als arabischer Palästinenser und als religiöser Muslim habe ich Empathie für den langjährigen Schmerz und das Leiden der Schoah-Überlebenden und ihrer Familien. Ich zeige hier Solidarität mit dem jüdischen Volk, das die Nazis vernichten wollten."

Dieser Mann heißt Mansour Abbas.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas könnte sich auch ein Beispiel an den über zweitausend arabischen Schülerinnen und Schülern nehmen, die jährlich die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besuchen, Tendenz steigend. Ihr Interesse für das jüdische Leiden heißt nicht, dass sie das Leid ihrer Vorfahren und ihres Volkes ignorieren. Das Leid der Palästinenser steht in keiner Relation zur Judenvernichtung, und man sollte beides nicht vermischen. Der Holocaust ist einzigartig und nicht Teil des aktuellen politischen Konflikts.

Gerade diskutiert Israel über zwei historische Massaker an Palästinensern. Das Verteidigungsministerium hat lange geheim gehaltene Protokolle aus dem Prozess gegen die Täter eines Massakers von 1956 an arabischen Zivilisten veröffentlicht. Ein israelischer Historiker hatte dafür jahrelang gekämpft. Und ein neuer Dokumentarfilm, in dem ehemalige israelische Soldaten über ein anderes Massaker aus dem Krieg von 1948 sprechen, sorgt für weiteren Gesprächsstoff. So geht eine offene Gesellschaft mit ihrer dunklen Vergangenheit um.

Mahmud Abbas hatte übrigens mit seinem gegenstandslosen Vorwurf eines israelischen "Holocaust" auf eine Frage zum 50. Jahrestag des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München reagiert. Ob er sich bei Israel entschuldigen werde. Denn Palästinenser hatten das Attentat damals verübt.

Mahmud Abbas war lange Jahre Schatzmeister der Fatah-Bewegung. Er soll auch damals, 1972, ein Mitverschwörer des Terroranschlags gewesen sein. Leider beantwortete er diese Frage nicht.

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Igal Avidan: "Der Holocaust ist einzigartig und nicht Teil des aktuellen politischen Konflikts."

Von der Anzahl der Getöteten und über den kurzen Zeitraum, ist der Holocaust höchstwahrscheinlich einzigartig, aber besonders aktuell wird deutlich, dass die Tötung von Menschen auch vor der möglichen atomaren Apokalypse nicht zurückschreckt, zum Wohle des zeitgeistlich-reformistischen Kreislaufes.

Der Holocaust, der sich besonders in "Friedenszeiten" mit Heuchelei, Verlogenheit und zynischen Intrigen durch die Geschichte schlängelt, hat in der mir bewussten Neuzeit, von "Entwicklungshilfe" und gleichzeitig entsprechenden Waffenlieferungen, sehr viel mehr Menschen ebenfalls elendig getötet / sterben lassen, obwohl wir das mit wirklicher Wahrhaftigkeit sehr schnell zweifelsfrei-eindeutig in einem globalen Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden" gottgefällig befriedend-gestalten könnten.

Ich wünschte Abbas und andere politische Akteure könnten sich vom "gesunden" Konkurrenzdenken des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs lösen, um dann unkorrumpierbar die einzig wahren Ziele menschlichen Zusammenlebens in unangreifbaren Worten menschenwürdig-visionär formulieren.

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