Legal Highs, Safer Use, Aufklärung: Drogen im Internet
Europa, Niederlande, Groningen, Maedchen, Frau, Jugendliche, Ritalin Tablette, Zunge, Munde, Pille, Medikament, Medizin, Tabletten, Kopf, Studioaufnahme, 2009 Foto: Reyer Boxem/Hollandse Hoogte
Hollandse Hoogte/laif
"Abschreckung ­funktioniert nicht"
Cannabis legalisieren, Drogen aus dem Internet. Ziehen wir eine Gesellschaft von Suchtkranken heran? Die Journalistin Isabell Beer meint: Jugendliche Konsumenten gehören aufgeklärt. Und geschützt – nicht kriminalisiert.
12.01.2022

chrismon: Wie sollen Eltern reagieren, wenn ihr Kind fragt: Wie ist eigentlich kiffen?

Isabell Beer: Sie sollten ehrlich sein. Wenn sie sich nicht auskennen, sollten sich die Eltern erst selbst zu Wirkung, ­Nebenwirkungen und den Folgen informieren. Wenn man Jugendlichen ehrliche Informationen gibt, können sie eine verantwortungsbewusste Entscheidung treffen. Dann denken sie vielleicht: "Hm, stimmt, ich sollte das noch nicht machen. Ist vielleicht nicht so cool, wenn ich mir damit schade." Und falls doch, sollten sie wissen, wo sie sich über Safer Use informieren können.

Sollten Eltern nicht lieber warnen?

Es bringt nichts zu sagen: "Das ist alles schlimm und wenn du jetzt einmal an einem Joint ziehst, spritzt du dir am nächsten Tag Heroin!" Das ist keine ehrliche ­Aufklärung, sondern Abschreckung, und Jugendliche können heute auch einfach googeln, ob das wirklich so ist. Lieber sagen: "Je später du so etwas machst, desto besser!" Gerade in jungen Jahren besteht beim Drogenkonsum eine ­größere Gefahr, weil sich das Gehirn noch in der Entwicklung befindet – egal, welche Substanzen man nimmt. Die Entwicklung kann sich verzögern oder es können Schäden ausgelöst werden, die später nicht mehr entstehen ­würden. In der Prävention ist ein Ziel, das Konsumalter nach hinten zu schieben, weil man weiß, dass man nicht immer verhindern kann, dass Jugendliche Drogen ausprobieren.

Anke-Madlen Jaecke

Isabell Beer

Isabell Beer, geboren 1994, arbeitet als Journalistin für funk, das junge Angebot von ARD und ZDF, und schreibt freiberuflich für DIE ZEIT. Für eine Undercover-Recherche wurde sie für den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Investigation nominiert. "Bis einer stirbt – Drogenszene Internet" (Carlsen, 2021) ist ihr erstes Buch. Für die zugrundeliegende ZEIT-Recherche erhielt sie den Otto-Brenner-Newcomerpreis 2019.
Tim Wegner

Michael Güthlein

Michael Güthlein ist Redakteur am Magazin-Desk von chrismon, epd Film und JS-Magazin. Zusammen mit Konstantin Sacher schreibt er die Kolumne "Väterzeit". Er hat Journalismus, Geografie und Germanistik in Mainz und Bamberg studiert. Er schreibt am liebsten über gesellschaftspolitische Themen und soziale Gerechtigkeit.

Wie gefährlich ist kiffen?

Das illegale Cannabis, welches zurzeit in Deutschland ­verkauft wird, ist gefährlich – wegen der Streckmittel. Cannabis an sich ist eine Substanz, an der man nicht ­sterben kann, aber wenn es so weitergeht, kann es sein, dass wir in Deutschland bald tote Kiffer haben aufgrund der Beimengungen.

Von welchen Streckmitteln sprechen Sie?

Synthetische Cannabinoide sind ein großes Problem.­ Die können tatsächlich tödlich sein.

Sie haben ein Buch geschrieben, in dem Sie die Geschichten von Josh und Leyla erzählen. Josh hat sich seine Drogen, hauptsächlich legale Kräutermischungen, sogenannte Legal Highs, in sein Kinderzimmer bestellt. Ist es so leicht, an Drogen zu kommen?

Es war noch nie einfacher als heute. Durch das Internet hat sich ein neuer Markt gebildet. Man muss nicht mehr auf die Szene gehen, wo es zum Teil rau zugeht. Legal Highs sind entstanden, weil Drogen illegal sind. Die Händler haben gemerkt: Es gibt einen Markt für sehr junge Konsumenten, die nichts Illegales machen wollen. Oder für Leute, die gerade abstinent bleiben müssen, weil sie mit irgendeiner Substanz am Steuer erwischt wurden. Auch für die sind Legal Highs sehr interessant geworden, weil man sie in Urinproben zum Teil nicht nachweisen kann. Für ­Jugendliche sind sie leicht zu kriegen und billig. Josh ­musste oft gar nichts dafür bezahlen. Die Drogen ­wurden ihm als Proben kostenlos zugeschickt. Das heißt, Jugendliche müssen sich nicht prostituieren oder kriminell ­werden, um an Drogen zu kommen.

Josh hat das Zeug einfach in Onlineshops bestellt?

Genau, im ganz normalen Internet. In den Shops, auch auf sozialen Plattformen. Dort wurden ihm solche Substanzen angeboten. Jemand hat ihn angeschrieben und gefragt, ob er nicht das Versuchskaninchen spielen möchte bei den Sachen, die er zusammenmixt.

Sind Legal Highs wirklich legale Drogen?

Die sind meist schon legal. Das liegt aber oft daran, dass die Substanzen noch nicht verboten worden sind. Sie sind so neu, dass sie noch nicht unters Neue-psycho­aktive-Stoffe-Gesetz (NPSG) fallen. Dafür gibt es in Deutschland die Bundesopiumstelle. Die prüft die Gefahren der Substanzen und empfiehlt, was verboten werden sollte. Aber jedes Jahr kommen neue Substanzen auf den Markt, die man wieder nicht kennt, die dann wieder legal sind – und wieder verboten werden müssen. Es ist ein ständiger Kreislauf. Und auch, was verboten wurde, kann man in der Regel online noch gut erhalten.

Josh ist mit 19 an einer Überdosis gestorben. Hätte sein Tod verhindert werden können?

Das ist eine schwierige Frage. Die Substanzen, die ihn umgebracht haben, waren zu dem Zeitpunkt alle legal. In den Dokumenten, die ich einsehen konnte, war den Ärzten zum Teil gar nicht bewusst, in welcher Gefahr sich Josh ­befand. Zum einen konnten die Ärzte viele der ­Substanzen in Urintests nicht nachweisen. Zum anderen konnten sie mit den Namen der Substanzen, die Josh genannt hatte, auch nicht viel anfangen. Sie kannten sie offenbar nicht. Dadurch kamen sie ein Jahr vor seinem Tod zu dem Schluss, dass sein Konsum noch kein Ausmaß erreicht ­hätte, dass er einen gesetzlichen Betreuer bräuchte. Er sei in der Lage, alles selbst zu regeln. Da war sein Konsum aber schon lebensgefährlich. Ärzte sollten besser informiert sein, was solche Substanzen angeht.

"Die Jugendlichen wollen sich ja nicht damit töten"

Woran genau ist Josh gestorben?

Niemand konnte bei den Substanzen, die Josh genommen hat, wissen, welche Dosis tödlich ist. Im Obduktionsbericht gingen die Ärzte davon aus, dass er an zwei legalen Opioiden gestorben ist, die sie in seinem Körper fanden, neben einigen anderen Drogen. Wie es bei Josh zu dieser Überdosis kam, lässt sich nicht beantworten. Hat er vielleicht irgendwelche Substanzen im Rausch verwechselt? Hat er vergessen, wie viel er schon davon genommen hat, oder wusste er bei der einen Substanz nicht, dass sie eine Wechselwirkung mit der anderen hat? Das lässt sich nicht abschließend klären. Wichtig ist, dass mehr über Mischkonsum aufgeklärt wird. Viele Konsumenten nehmen mehrere Substanzen gleichzeitig. Manche Kombinationen sind aber immens gefährlich, weil die sich gegenseitig in der Wirkung verstärken oder dazu führen können, dass die Atmung aussetzt und man einfach erstickt.

Angenommen, es gäbe dafür seriöse Informations­stellen: Würden die Jugendlichen dann nicht trotzdem lieber in einer Chatgruppe mit Gleichgesinnten disku­tieren, was gefährlich ist und was nicht?

Am Ende meines Buches habe ich einen Safer-Use-Part geschrieben, er lässt sich auch im Internet kostenlos ­abrufen. Da sind Seiten verlinkt, die darüber informieren. Die gibt es, nur musste auch ich sie erst zusammensuchen und herausfinden, welche davon seriös sind. Dazu musste ich teils Toxikologen fragen. Inzwischen läuft der Austausch unter jungen Leuten nicht mehr über Facebook, das ist out, sondern auf anderen Plattformen. Aber es kommen immer die gleichen Fragen auf: Wie viel kann ich von dem und dem nehmen, ohne mich umzubringen? Die Jugendlichen wollen sich ja nicht damit töten. Nur sind die Antworten, die sie darauf in den Gruppen bekommen, sehr gefährlich, weil die Leute selbst keine Ahnung haben und keine Toxikologen sind. Daran sieht man, dass es seriöse Infos braucht.

Die Eltern von Josh wie von Leyla haben viel versucht, um ihre Kinder von Drogen abzubringen: Sie haben mit ihnen geredet, Therapien angeboten, Drogen selbst ausprobiert, um nachzuvollziehen, was ihre Kinder da tun. Wie hätten sie zu ihren Kindern durchdringen können?

Es ist total schwierig, wenn jemand nicht selbst aufhören will. Eltern können sich dabei kaputtmachen. Es muss bei der abhängigen Person selbst klick machen. Leyla hat mir gesagt, man kann versuchen, diesen "Klick" im Kopf zu triggern, indem man immer wieder spricht, ­Hilfe anbietet, aber letztendlich muss es die Person selbst ­wollen. Sonst wird sie nicht aufhören. Leyla wusste: Ihr Vater ­möchte nicht, dass sie konsumiert. Also stach sie sich mit der ­Nadel so in die Vene, dass er die Einstichstellen nicht ­sehen konnte. Sie ging also ein zusätzliches ­Risiko ein. Man sollte jemanden, der Drogen nimmt, nicht ­verurteilen. Das führt dazu, dass die Person es heimlich macht. Es ist aber sinnvoll, sich frühzeitig über Hilfsangebote zu informieren. Sobald man merkt, die Person ist bereit, Hilfe anzunehmen, kann man sagen: Hier, ich ­habe schon was rausgesucht, da können wir hingehen. Und man sollte über Safer Use sprechen. Wenn das Kind konsumiert, sollte es sich nicht noch mehr schaden als durch die Substanz allein. Aber das ist natürlich leicht gesagt. Es ist etwas ganz anderes, wenn es das eigene Kind betrifft.

Leyla hat es geschafft, vom Heroin wegzukommen und ein einigermaßen geregeltes Leben zu führen. Wieso hat es bei ihr geklappt?

Ein Freund hat ihr den Widerspruch gezeigt: dass sie einerseits behauptet hat, alles sei so einfach mit Heroin, aber gleichzeitig krass abhängig ist. Außerdem hat sie während des Buchprojekts realisiert, wie viel Freiheit ihr die Sucht nimmt. Nach anderthalb, zwei Stunden wurde sie unruhig und hat Heroin gebraucht. Das war für sie ein Grundbedürfnis. Sie wollte selbst nicht mehr, dass ihre Freiheit so eingeschränkt ist. Sie fing an, mit ihrem Freund zu meditieren. Beide wollten aufhören mit dem Heroin. Es hilft, wenn jemand mitmacht. Ich war erst skeptisch, ob sie es durchzieht. Sie hat immer erzählt: "Es ist ja nicht mehr so schlimm wie früher und ich dosiere runter." Das hatte sie öfter gemacht und wieder angefangen. Dieses Mal war es anders. Ich traf sie wieder und bemerkte eine Wesensveränderung. Sie ist bis heute clean. Zwischen der Buchveröffentlichung und heute hat sie noch einmal Heroin genommen und meinte, es habe ihr nichts mehr gegeben.

"Ich habe zum ersten Mal verstanden, warum Leute Heroin nehmen"

Sie plädieren in Ihrem Buch für einen offenen und auf­geklärten Umgang mit Drogen. Würde ein solcher ­Umgang nicht noch mehr Jugendliche dazu verführen, Drogen auszuprobieren?

Viele, die Drogen konsumieren, haben mir erzählt, dass sie das Buch "Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" geil und anziehend fanden. Das zeigt, dass ­Abschreckung nicht immer funktioniert. Wen das abschreckt, der stünde vermutlich eh nie in Gefahr, Heroin zu nehmen. – Auf ­Partys werden nun einmal Drogen angeboten. Und wenn man Jugendlichen sagt: "Kiffen ist furchtbar und schlimm!", und sie sitzen dann jemandem gegenüber und merken: "Die Person ist aber total entspannt, wenn sie kifft. Das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was man mir erzählt hat", dann sehen sie nur die Wirkung und ­denken sich: "So schlimm kann es nicht sein."

Die Beimengungen und Streckmittel in Marihuana können tödlich sein

Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?

Als ich Leyla das erste Mal getroffen habe, hat sie mich mit auf die Toilette gezogen und Heroin genommen. Ich habe immer gedacht, dass das sehr bedrohlich sein würde. Ich hatte Angst, dass sie eine Überdosis bekommt. Gleichzeitig sieht man ihr die Sucht nicht an. Sie ist so alt wie ich. Ich habe in diesem Moment eine Neugier gespürt, was das gleich mit ihr macht. Das war krass, weil ich zum ersten Mal verstanden habe, warum Leute Heroin nehmen. Da liegt die Gefahr. Wenn man nur die Wirkung der Substanz sieht, weiß man gar nicht, was im Hintergrund noch abläuft, welche Folgen das hat. Darüber muss man ehrlich aufklären. Dass man ehrlich sagt, wie es ist: "Du kannst an Cannabis nicht sterben, aber die Beimengungen können tödlich sein." Oder: "Wenn du Cannabis nimmst, kriegst du nicht automatisch eine Psychose, aber es kann ­schlummernde Psychosen auslösen." Dann machen sich Jugendliche auch Gedanken. Wenn Abschreckung funktionieren und dadurch kein Mensch mehr an Drogen ­sterben würde, wäre ich die Erste, die sagt: Dann sollten wir das überall machen. Aber so ist es nun mal nicht.

Aber Abschreckung wirkt doch trotzdem bei einigen. Viele Menschen lassen die Finger von Drogen, weil sie Angst vor Kontrollverlust haben.

Wer Angst vor dem Kontrollverlust hat, ist auch eher nicht der Typ Mensch, der gefährdet ist. Andere Leute haben eben keine Angst davor. Joshs Eltern hatten kein Suchtverhalten, ihr Kind schon. Das hat dazu geführt, dass seine Mutter das nicht nachvollziehen konnte. Sie selbst hatte kein Interesse an Kontrollverlust – ihr Sohn aber schon. Ich dachte anfangs auch, dass man vor Drogen ­abschrecken muss. Aber wenn das funktionieren würde, würde heute keiner mehr Drogen nehmen.

"How to Sell Drugs Online (Fast)" auf Netflix ist eine beliebte Serie bei Jugendlichen in Deutschland: Ein Schüler verkauft Drogen online, um seine Ex-Freundin zu beeindrucken. Das Ganze läuft aus dem Ruder. Wie finden Sie die Darstellung von Drogenkonsum in so einer Serie?

Da finde ich ein paar Dinge bedenklich. Zum einen wird dort gesagt, dass Ecstasy nach zwanzig Minuten wirke, eine gefährliche Information. Sie kann dazu führen, dass sich Leute Ecstasy einwerfen, zwanzig Minuten warten, nichts merken und denken, das war noch nicht genug. Dann werfen sie noch mehr hinterher, was gefährlich sein kann. – In einer Szene mischt eine Jugendliche ­ihren Freunden Ecstasy in den Alkohol, ohne dass sie davon ­etwas wissen. Es wird als total lustig dargestellt, weil alle auf Droge sind. So einen ähnlichen Fall gab es kürzlich in Deutschland: Ein Jugendlicher hat offenbar Ecstasy in ­Alkohol gemischt. Seine Freunde sind kollabiert und mussten ins Krankenhaus. Wenn man nicht darauf eingeht, was die Folgen sein können, sondern den Konsum als lus­tig und cool darstellt, machen Leute das nach. ­Gerade bei diesen Serien wäre es sinnvoll, mehr darauf einzugehen, was im Körper passiert. Es geht nicht darum zu sagen: "Das ist alles furchtbar und du stirbst sofort!" Aber dass man die Folgen aufzeigt. Gerade Mischkonsum so darzustellen und nicht gleichzeitig klarzumachen, wie ­gefährlich das ist, finde ich fahrlässig.

"Das Ziel sollte sein, dass Jugendliche gar nichts nehmen, aber das ist nicht realistisch"

Welche Art der Aufklärung fänden Sie sinnvoll?

Zum Beispiel, mit Suchtkranken an Schulen zu ­arbeiten, die von ihrer Suchtgeschichte erzählen. Da hat man als Schüler vielleicht eher das Vertrauen zu sagen: "Ich ­mache übrigens dies oder jenes." Das sieht natürlich ­anders aus, wenn die Polizei an der Schule sagt: "Das ist alles illegal und du bist kriminell, wenn du das machst." Und dann noch solche Bilder zeigt wie die von der "Faces of ­Meth"-Kampagne, die Menschen vor und nach ihrer ­Abhängigkeit von Crystal Meth zeigt. In solch einer Umgebung wird sich wohl kein Schüler melden und sagen: "Übrigens, ich konsumiere Cannabis und es wirkt anders, als es sollte. Ich habe da Sorgen." Oder: "Ich konsumiere dies oder jenes und weiß nicht, ob das gefährlich ist." Das traut man sich eher, wenn eine Person kommt, die einen dafür nicht verurteilt und einem ehrlich antwortet. Die einem auch eine ehrliche Antwort geben kann. Natürlich sollte das Ziel sein, dass Jugendliche gar nichts nehmen. Aber man muss sich auch klarmachen, dass das nicht realistisch ist. Und man muss lernen, mit dieser Realität umzugehen.

In chrismon sagte Anfang 2021 eine Suchttherapeutin im Gespräch mit einem ehemals Abhängigen: "Das ­Wissen über Drogen allein bringt noch keine Verhaltensänderung."

Wenn es um eine Verhaltensänderung bei Menschen geht, die schon suchtkrank sind, mag das stimmen. Das ist wie bei Rauchern: Auf den Zigarettenpackungen sind ab­schreckende Bilder, aber sie kaufen sie trotzdem. Auch Josh wusste, dass dieses oder jenes schädlich für ihn ist und er daran sterben kann. Es führte nicht ­dazu, dass er auf­hören wollte. Aufhören muss von innen ­kommen. – Bei der ­Prävention geht es dagegen darum, Leute zu ­sensibilisieren und aufzuklären, damit sie eine verantwortungs­bewusste Entscheidung treffen können. Da, glaube ich, bringt das was.

Was halten Sie davon, Cannabis zu legalisieren?

Zu Beginn meiner Recherche fand ich es gut, dass vieles verboten ist. Bei den legalen Drogen fand ich, dass es schneller gehen müsse. Heute sehe ich es anders. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die selbst konsumieren oder in der Suchthilfe arbeiten. Gerade weil von den Beimengungen die größte Gefahr ausgeht, halte ich eine Legalisierung von Cannabis mit kontrolliertem Anbau und einer ­Abgabe über Fachgeschäfte, wo eine ordentliche Aufklärung stattfindet, für sinnvoll. Ein Großteil der jungen Menschen bis 25 probiert mindestens einmal im Leben Cannabis aus. Und wenn man dann das Pech hat, einen Joint mit synthetischen Cannabinoiden zu erwischen, kann das tödlich enden. Diese Gefahr ließe sich durch eine Legalisierung eindämmen. Allerdings in einem Rahmen, in dem Jugendschutz gewährleistet ist, wo es Hilfsangebote gibt und wo man auf die Leute achtet, die konsumieren, ihnen Hin- weise gibt, wie man den Ausstieg schafft oder in einem Muster konsumiert, das nicht so schädlich ist.

Würden dann nicht auch Menschen kiffen, die das bislang ausgeschlossen hätten? Nach dem Motto: Wenn das legal ist, probiere ich das auch mal aus!

Ja, das kann passieren. Es gibt dazu Zahlen aus Kanada, wo Cannabis 2018 legalisiert wurde. Soweit ich mich erinnere, haben das vor allem Senioren wieder ausprobiert, die früher zum Teil schon mal gekifft haben. Aber die Konsumentenzahlen sind nicht explodiert. Die ­Diskussion finde ich auch ein bisschen am Thema vorbei, weil wir im ­Moment potenziell tödliches "Gras" haben, und das könnten wir unterbinden. Wir müssen ehrlich sein: Man wird es nicht schaffen, dass kein Mensch mehr konsumiert. In der Corona-Krise hatten wir Engpässe beim Klopapier. Aber die Versorgung mit Drogen hat immer funktioniert. Die sind richtig gut organisiert.

"Wir müssen aber unseren Umgang mit Abhängigen überdenken"

Was könnte noch helfen?

Die Entkriminalisierung von Konsumenten wie in ­Portugal seit 2001. Dort ist die Anzahl der ­Drogentoten seitdem ­immens gesunken. Und Drug-Checking-­Angebote. Die brauchen wir dringend in Deutschland. Bis jetzt weiß kaum jemand, was in seiner Ecstasy-Pille drin ist. Das kann MDMA sein, der Wirkstoff, den man eigentlich möchte. Da kann aber auch PMA drin sein, das potenziell tödlich ist. Konsumenten sollten wissen: Was ist drin und wie viel kann ich nehmen, ohne zu sterben?

Wie soll ich mir das vorstellen? Ich gebe meine Drogen ab, bitte um eine Analyse und bekomme zwei Tage später die Drogen mit einer Auflistung der Inhaltsstoffe zurück?

Man bekommt die Substanzen nicht zurück (lacht). Deswegen gibt man auch nicht besonders viel ab. So etwas gibt es schon in Österreich und der Schweiz. Viele Suchthilfeeinrichtungen wünschen sich auch kleine Labore auf Partys oder in Discos, weil viele Konsumierende nicht Wochen vorher ihre Pillen kaufen, sondern vor Ort. So könnten sie direkt testen lassen, was da drin ist.

Und das geht so schnell?

Ein Test dauert, so weit ich weiß, 15 bis 30 Minuten.

Da werden nur Standardbeimischungen geprüft, oder?

Kommt darauf an. Manche Substanzen sind schwer nachweisbar. Aber man weiß durch die Drogenanalysen bei Ecstasy zum Beispiel, ob und wie viel MDMA da drin ist. Es gibt auch sehr hoch dosierte Pillen. Dann weiß man als Konsument, dass man vielleicht nur die Hälfte oder ein Drittel davon nehmen sollte.

Das Ziel einer modernen Drogenpolitik wäre also nicht, Menschen vom Konsum abzuhalten, sondern zu einem verantwortungsbewussten Umgang anzuleiten und abhängigen Menschen zu helfen.

Genau.

Sind die Niederlande ein Vorbild? Dort leben Junkies, die in den 1970ern und 1980ern angefangen haben und jetzt ins Rentenalter kommen, in bestimmten Altersheimen. Sie können dort in Ruhe konsumieren, sogar begleitet.

In der Legalisierungsdebatte nicht, da die Coffeeshops Cannabis vom Schwarzmarkt beziehen müssen und ­dieser so gestärkt wurde. Wir müssen aber unseren Umgang mit Abhängigen überdenken. Allein das Wort "Junkie" ist ein abwertender Begriff. Ich habe das Wort anfangs auch benutzt, bis Leyla mir sagte: Das kommt vom englischen "junk", Müll, Abfall. Nach einem Vortrag ist eine Ärztin zu mir gekommen und hat gesagt: Leute wie Josh solle man doch einfach sterben lassen, weil man ihnen sowieso nicht helfen könne. Ich fand es krass, das von einer Ärztin zu hören. Das deckt sich mit dem, was mir Leyla erzählt hat, wie sie als Heroinabhängige im Krankenhaus behandelt worden ist. Da müssen wir als Gesellschaft umdenken. ­Sogenannte Junkies sind krank, suchtkrank. Man sollte sie nicht wegsperren, sondern ihnen helfen.

Können Abhängige wirklich lernen, verantwortungsvoll zu konsumieren?

Ja. Das sieht man an den Substitutionsprogrammen für Heroinabhängige. Manche können dank Methadon ­wieder einen geregelten Alltag führen, weil sie aus diesem ewigen Kreislauf von Konsum, Beschaffungskriminalität und Prostitution herauskommen. Methadon verhindert Entzugssymptome, benebelt aber nicht. Man muss es nur einmal am Tag nehmen, kann also arbeiten gehen. Es kann helfen, in ein geregeltes Leben zurückzukehren. Das funktioniert aber nur, wenn man die Betroffenen auch psychisch auffängt. Oft ist die Sucht nur ein Symptom, weil man den Alltag nicht erträgt, seine Probleme von sich wegschieben möchte. Aber wie will man clean werden, solange die Probleme noch da sind, die man mit Hilfe der Drogen verdrängt?

Also erst die persönlichen Probleme angehen?

Oder beides gleichzeitig. Nur weil jemand suchtkrank ist, heißt das nicht, dass sich die Person selbst zerstören will. Viele nutzen Angebote mit sterilen Spritzenautomaten und gehen in den Konsumraum. Das täten sie nicht, wenn sie denken würden: "Ich will jetzt tot sein." Man geht in den Konsumraum, weil man weiß: "Wenn ich jetzt zu viel erwische, ist jemand da, der mir helfen kann."

Was können Eltern tun, wenn sie mitbekommen: Mein Kind nimmt Drogen und ist vielleicht schon abhängig?

Sie sollten zunächst versuchen herauszufinden, warum das Kind Drogen nimmt. "Hey, du konsumierst in einem krassen Ausmaß. Woran liegt das? Kann ich dir helfen?" Man muss natürlich damit rechnen, dass die Eltern nicht gerade diejenigen sind, denen Jugendliche von ihren Problemen erzählen. Aber vielleicht können sie Hilfe von außen holen, vielleicht eine Therapeutin finden. Vielleicht gibt es einen Schulsozialarbeiter, dem sich das Kind anvertrauen kann. Eltern können Ausschau halten: Was für Hilfsangebote haben wir in der Nähe? Es gibt auch Beratungsstellen für Angehörige. Ansonsten sollten sie dem Kind sagen: "Wir sind für dich da. Wir unterstützen dich, wir schaffen das gemeinsam." So ein Weg ist lang und schwer, aber man muss kleine Erfolge feiern. Schon wenn das Kind einen Tag lang auf die Droge verzichten konnte, es loben und sagen: "Hey, das ist super!" Und nicht bei jedem Rückfall schimpfen, sondern motivieren: "Du hast vor dem Rückfall fünf Tage nichts genommen. Das schaffst du wieder!"

Produktinfo

Von Heroin bis zu neuen unerforschten Substanzen liefern Onlineshops alles per Post nach Hause. In ihrem Buch "Bis einer stirbt – ­Drogenszene ­Internet" (Taschenbuch: Carlsen-­Verlag, 288 Seiten, 14 Euro; Hardcover: Econ-­Verlag, 304 Seiten, 18 Euro) berichtet Isabell Beer von zwei Jugendlichen, die Drogen bestellten und die Kontrolle ­verloren.

Mit Hilfetipps für Suchtkranke und ihre Angehörigen. Safer-­Use-Regeln unter:
 www.carlsen.de/bis-einer-stirbt

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.. unterschätztes und teilweise auch ein verniedlichstes Problem. Eine Droge ist immer der Anfang. CANABIS ebenfalls, auch wenn die Wirkung banalisiert wird. Sie kann den Wunsch nach neuen "Erkenntnissen" erzeugen. Tabak und Alkohol sollten genug sein. Hierfür wird die Werbung verboten. Spielhöllen sind das "Fegefeuer", verfemt, aber erlaubt. Tagsüber leer und nachts voll. Auch Sportwetten sind eine Droge, von der einige nicht schlecht leben und die verführten Fans zahlen müssen. Ilusionen sind am Ende immer teurer als das Leben. Wo ist hierfür der Hebel? Es ist der angeblich nachahmenswerte urbane Zeitgeist, der jede Verführung salonfähig macht. Extrem besonders dann, wenn Dealer die größten Autos fahren, aber auch dann, wenn vor den Bühnen und bei der Anbetung von Idolen die Hysterie grenzenlos wird. Da gerät dann bei den Schwachen die Lebensplanung ausser Kontrolle. Zum Glück nicht bei der Mehrheit, aber auch eine Minderheit kann das ganze "Spiel" verderben. Der Zeitgeist ist häufig wie eine "Hure". Er kann sehr teuer werden, verspricht zuviel und seine Gefühle sind geheuchelt.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
als Anlage erhalten Sie meinen Kommentar zu o. a. Interview.
Tief bewegt und beeindruckt hat mich die Recherche von Frau Beer zum Konsum illegaler Drogen. Jede ihrer Ausführung kann ich aus vollem Herzen unterschreiben!
Ich gehöre der „Elterninitiative für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik Wuppertal“ an. Schon seit fast 30 Jahren fordern wir eine Legalisierung der Drogen. Die Illegalität verhindert eben realistische Aufklärung, fördert Tabuisierung, hat Unwissenheit und Diskriminierung zur Folge. Ebenso resultiert die Bildung mafioser Strukturen aus der Illegalität. Einige Fortschritte haben wir in den vergangenen Jahren in der Drogenpolitik erlebt – dennoch gibt es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

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