Eva Menasse über Singen, Tod und Heimat

Arien singen, hoch und laut
Eva Menasse

Dirk von Nayhauß

Die Schriftstellerin Eva Menasse über Tiefschläge im Leben - und wie sie da rausgefunden hat.

Eva Menasse, © 2021 Dirk von Nayhauß

Singen ist Therapie für die Schriftstellerin Eva Menasse - und Mutprobe. Denn solche Töne zu produzieren, muss man sich erst mal trauen.

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Beim Gesangsunterricht, den leiste ich mir seit vielen Jahren wie eine therapeutische Institution. Ich bin kopfgesteuert und ziemlich perfektionistisch. Das Ariensingen ist die kontrollierteste Art, diese Kontrolle zu verlieren, das ist die äußerste Mutprobe, zu der ich fähig bin. Man muss sich erst mal trauen, derart laute und hohe Töne zu produzieren, jedenfalls jemand wie ich, dem als Kind immer eingeschärft wurde, leise und zurückhaltend zu sein. Manchmal durchbreche ich dabei eine innere Schallmauer, die ich sonst nicht geknackt kriege. Mir ist es aber inzwischen nicht mehr so wichtig wie früher, souverän und cool zu wirken.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Einmal habe ich meinen Sohn ins Bett gebracht, er war vier oder fünf Jahre alt, und er war total müde, aber glücklich und zufrieden mit sich und der Welt. Als letzten Satz sagte er zu mir: "Mami, sag den Menschen und der ganzen Welt, dass ich sie liebhab" – dann schlief er ein. Ich dachte: Wow, da will man hinkommen!

Eva Menasse

Eva Menasse, 1970 in Wien geboren, arbeitete zunächst als Journalistin, 2005 erschien ihre halbfiktive Familiengeschichte "Vienna". Es folgten weitere Romane, Erzählungen und Essays, darunter "Quasikristalle", "Tiere für Fortgeschrittene", "Lieber aufgeregt als abgeklärt", zuletzt erschien "Dunkelblum" (KiWi, 25 Euro). Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen: Heinrich-Böll-Preis, Friedrich-Hölderlin-Preis, Österreichischer Buchpreis, Mainzer Stadtschreiber-Preis und das Villa-Massimo-Stipendium in Rom. Eva Menasse hat einen Sohn und lebt seit 2003 in Berlin.
Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß

Dirk von Nayhauß absolvierte die Journalistenschule Axel Springer und studierte Psychologie in Berlin (Diplom 1994). Heute arbeitet er als Journalist, Buchautor und Fotograf (vertreten durch die renommierte Fotoagentur Focus) in Berlin. Für chrismon macht er sowohl die Interviews als auch die Fotos der Rubrik "Fragen an das Leben".
Dirk von Nayhauß

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich kann mich weder als Atheistin bezeichnen noch als religiös oder gottgläubig. Aber den Glauben an eine gewisse Schicksalhaftigkeit der Welt, den kann ich mir nicht austreiben. Bei manchen Ereignissen und Begegnungen denke ich: Genau so musste das sein. Es gibt manchmal eine Schönheit im Leben oder in Beziehungen, von der ich das Gefühl habe, dass sie etwas mit dem harmonischen Klang des Alls zu tun hat. Momente, in denen kurz all das ­ Schwierige, Komplizierte, Schrille wegfällt – ich weiß, das klingt etwas esoterisch. Was Riten betrifft, kenne ich mich ­ im Katholizismus besser aus, aber geistig näher fühle ich mich dem jüdischen Teil der Familie. Ich empfinde mich nicht als Jüdin, aber als Tochter eines Juden – die bin ich ja zweifellos. Wäre ich gezwungen, religiös zu werden, dann wüsste ich, für welche Seite ich mich entscheide.

Muss man den Tod fürchten?

Ich fürchte den Tod anderer, aber nicht meinen eigenen. Vielleicht ändert sich das, wenn’s näherkommt, aber bis heute bin ich so einverstanden mit allem, wie es gewesen ist, dass mich ein Ende nicht ängstigt. Ich hatte ein paar heftige Brüche in meinem Leben, Schwierigkeiten mit dem Kinderkriegen, mehrere Fehlgeburten. Meine Ehe ist nach 15 Jahren auf eine mir bis heute unbegreifliche Weise zerbrochen, aber irgendwann habe ich es geschafft, auch das einzuordnen. Ich habe mich aus vielem herausge­arbeitet – in eine immer hellere Phase von Verständnis, Entspanntheit und auch Glück.

"Ich tue mir lieber weh, als dass ich versteinere"

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Es scheint so zu sein, als würde einen das mit der Liebe im Laufe des Lebens desillusionieren, weil die Lieben nicht halten oder kaputtgehen. Manche ziehen sich zurück, aber zu den Menschen gehöre ich nicht. Ich tue mir lieber weh, als dass ich versteinere.

Wer oder was hilft in der Krise?

Wenn die Krise groß ist, mache ich zu wie eine Auster und brodle in mir selbst. Auch wegen der Scham, man schämt sich für die Krise oder das Problem, das man nicht lösen kann. Ich habe oft das Gefühl, unzulänglich zu sein, kindisch, zu laut oder zu emotional. Dann schweige ich, aber eigentlich weiß ich: Reden hilft. Früher habe ich es für eine verdammenswerte weibliche Strategie gehalten, immer gleich zu Freunden und Freundinnen zu laufen und sich zu besprechen, inzwischen glaube ich: Das ist total heilsam. Man kann sich nicht alles selbst erklären. Mein Sohn ist dann übrigens wirklich vom Himmel ­gefallen. Das war so eine Art kosmisches Ereignis, wo es keine Anstrengung mehr gebraucht hat; nachdem vorher alles schiefgegangen war, kam der einfach so.

Wo ist Heimat?

Ich lebe ja seit fast 20 Jahren in Berlin und bin hier in einem sehr glücklichen Exil. Österreich steht politisch mit eineinhalb Füßen in der Bananenrepublik. So nervig ich Deutschland manchmal finde – auch diese puritanische Unfähigkeit, Satire zu verstehen –, ich fühle mich hier noch sicher, bei allem, was problematisch ist. Und bei allem, was auch wieder zunimmt an Rassismus und Antisemitismus. Ich wüsste auch nicht, wo es gerade so viel besser wäre in der Welt. 

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