Mutterliebe: Wie geht das?
Tara Wolff
Mutterliebe: Wie geht das?
Zwei Kinder hat sie fortgegeben. Jetzt ist Tobias da, und sie will alles richtig machen.
22.09.2021

Als Sandra A.* mit Tobias schwanger ­wurde, war sie 40, und es gab viele Gründe, das Kind nicht zu ­bekommen. Die Beziehung zum Vater war so gut wie zerbrochen. Er trank, war drogen­abhängig, dealte und beging andere kleinkriminelle ­Delikte. Sandra verdiente kaum Geld, nahm Psychopharmaka gegen ihre Depressionen und Traumata, hatte kein eigenes Zuhause, keine unterstützende Familie und selbst eine Drogenvergangenheit. Es war eine Schwanger­schaft, so unpassend in jeder Hinsicht, dass man entweder wahnsinnig oder wahnsinnig mutig sein muss, um sie nicht so schnell wie möglich zu beenden.

Sandra A. entschied sich, das Kind zu be­kommen. "Es war meine Chance, meine Schuld wiedergutzumachen", sagt sie. Eine Schuld, die sie glaubt, gegenüber Alim und Lars, ihren anderen Söhnen, auf sich geladen zu haben. Sie gab diese fort, als die Probleme mit ihnen ihr über den Kopf wuchsen und sie überzeugt war, ihnen nicht gutzutun. "Ich dachte, bei anderen sind sie aufgehoben und haben mehr Chancen auf ein besseres Leben als mit mir."
Alim kam mit neun Jahren in eine therapeutische Einrichtung, Lars mit einem Jahr zum Vater. Vorübergehend, wie sie damals dachte. Nur so lange, bis ihr Leben gefestigt wäre. Bis sie die gute Mutter sein könnte, die sie sein wollte. Der Tag kam nie, dafür kam Tobias an einem sonnigen Maitag als personifizierte Sehnsucht nach Wiedergutmachung in ihr Leben.

Sandra und Tobias wohnen in einer Kleinstadt in Ostholstein. Ein Mietshaus, vorne, ­hinten, auf der anderen Straßenseite identische Häuser, die gleichen Fassaden und ­Eingänge. Darin je sechs Wohnungen für Menschen mit Wohnungsberechtigungsschein. Kinderwagen in Treppenhäusern, die Namen auf den Klingelschildern ein Rundgang durch die Kriegsgebiete dieser Welt. Neben Sandra wohnt eine Familie aus Syrien, über ihr eine aus Afghanistan, und dass sie, Sandra, mit ihnen Rezepte und Alltagssorgen teilt und nun ein paar Wörter auf Arabisch und ein paar auf Farsi kann, empfindet sie als Exotik in ihrem Leben.

Sandras Entschuldigungen klingen, als säße in ihr ein Richter

Mehr noch aber ist es ihr Bestätigung, einen langen inneren Weg gegangen zu sein, sich von dem, was man ihr als Kind beibrachte, distanziert zu haben. "Ich bin ein anderer Mensch als derjenige, zu dem man mich erzogen hat", sagt Sandra. Denn dort, wo sie aufwuchs, in einem Dorf in ­Mecklenburg-Vorpommern, seien alle Bewohner, auch ihre Eltern, politisch rechts gewesen, hätten Ausländer als Dreck ange­sehen, Deutschland den Deutschen gewollt.

Sandras Wohnung ist klein, Küche, Bad, Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, zu klein für all die Dinge, die Sandra besitzt und gern sammelt. Bücher und Buddhas, bestickte ­Kissen, nichts von großem Wert. Dazwischen, daneben Stapel mit Wäsche und Kartons mit bunten Sammelsurien. Als Tobias krabbelt und beschäftigt werden will, klagt Sandra, mit dem Haushalt nicht mehr hinterherzukommen.

Immer entschuldigt sie sich für ­alles: für die Wäsche auf dem Bügelbrett, das Spielzeugchaos, dafür, den Tag in ihrer Jogging­hose zu verbringen, oder manchmal auch dafür, ein Treffen abzusagen. "Sei mir nicht böse", sagt sie dann. Sandras viele Entschuldigungen klingen, als säße in ihr ein Richter. Einer, der alles mit der Bemerkung kommentiert, das zeige ja, dass sie es nicht schaffe. Nicht schaffe, Ordnung zu halten, Kind und Haushalt gerecht zu werden, eine klaglose Mutter zu sein.

Knuddeln und Spielen mit Tobias gehören zum Tagesablauf. Aber es müsste sich auch  jemand um Sandra  kümmern

Wenn Sandra von sich und ihrem Leben erzählt, ist das eine Geschichte von Misshandlungen, Gewalt, Depressionen und so vielen tiefen Fällen, dass es einen wundert, wie sie es jedes Mal schaffte, wieder aufzustehen. Eine Kindheit mit einem alkoholabhängigen Vater und einer suizidalen Mutter, die sie einmal im Flur an einem Strick baumelnd, aber noch lebend, fand. Eine Mutter, die prügelte und ­dabei, sagt Sandra, Freude in den Augen ­hatte. Ein Vater, der nachts zu ihr oder ihrer ­kleinen Schwester ins Bett kroch und den Mädchen zwischen die Beine griff. Abge­brochene Ausbildungen, falsche Freunde. Als sie 18 ist, wirft der Vater sie aus dem Haus. Sie geht nach Berlin, lebt auf der Straße, prostituiert sich, hat ihre erste von vielen Beziehungen zu einem drogenabhängigen Mann, der sie mit hineinzieht in die Abhängigkeit.

Nach einer Vorsorgeuntersuchung während der Schwangerschaft mit Tobias ­hatte ihr die Frauenärztin eine Broschüre des ­Kinderschutzbundes in die Hand gedrückt: Frühe Hilfen, so der Titel. Darin stand, sie könne auf ihre Probleme zugeschnittene ­Unterstützung bekommen. Eine Hebamme, die sie und das Kind bis zum ersten Lebensjahr betreue und ihr bei allen Problemen zur Seite stehe. Hilfe bei der Bewältigung des Alltags. Ein Begegnungsnetzwerk mit anderen Müttern, Betreuung für das Baby. "Ich hab da gleich angerufen", sagt Sandra. "Ich hatte ­solche Angst, es auch mit dem dritten Kind nicht hinzubekommen."

Geschichten wie die von Sandra erlegen ­einer Gesellschaft, die sich als zivilisiert bezeichnet, die Verpflichtung auf, einzugreifen, Hilfen anzubieten oder zu regulieren, so lange, bis ein gewisses Maß an Normativität wieder hergestellt ist. Sandra lernte als Kind nicht, was die Grundpfeiler eines gelingenden Lebens sind, und brauchte als Erwachsene viele Jahre, um zu verstehen, wo die Normen der Gesellschaft liegen. "Ich wusste doch nicht, wie man es richtig macht", sagt sie oft, wenn sie versucht, die Fehler und Irrwege ihres Lebens zu erklären. "Ich wusste doch nicht, wie Mutter- liebe geht. Das hat mir nie jemand gezeigt."

Bis heute stehen Kinderrechte nicht im Grundgesetz

Sie ist gerade 19, da wird sie zum ersten Mal schwanger. "Er wollte, dass ich ­abtreibe, aber das kam für mich nicht infrage. Ich konnte doch einer Seele nicht das Leben verwehren." Heute sagt sie: "Könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich würde mich für eine Abtreibung entscheiden." Ihrem Sohn, der 1998 geboren wird, gibt sie einen für sie nach "Tausendundeiner Nacht" klingenden Namen: Alim, der Weise.

Das "Früh" in Frühe Hilfen steht für zwei zeitliche Bezüge. Der eine gilt dem Alter der Kinder, die man mit koordinierten ­Angeboten schützen will. Eltern erhalten diese ab der Schwangerschaft, bis das Kind drei Jahre alt ist. Der andere stammt aus der Erkenntnis, dass der Kinderschutz, wie er jahrzehntelang praktiziert wurde, in manchen Fällen zu spät kam. Diese Fälle haben Namen: Kevin, zwei Jahre, Yagmur, drei Jahre, Jessica, sieben ­Jahre. Immer, wenn die Tötung eines Kindes durch die Eltern wieder die Öffentlichkeit aufschreckt, wenn Untersuchungen zeigen, dass bestehende Netze aus Jugendhilfe, sozialen Diensten und Erziehungshilfen nicht aus­reichen, um Kinder zu schützen, wird viel Geld investiert und "Nie wieder!" gerufen. Doch bis heute stehen Kinderrechte nicht im Grundgesetz und Kinderschutzverbände kritisieren, die Politik erfülle in diesem Punkt nicht die Ansprüche der UN-Kinderrechtskonvention.

Als Sandra Tobias zur Welt bringt, tut sie das allein, aber mit dem Wissen, in den ­nächs­ten zwölf Monaten Hilfe zu bekommen. Ihr Wille, diesmal alles anders zu machen, ist unumstößlich. Doch reicht ein Wille, wenn die wirtschaftlichen und emotionalen Grundlagen nicht da sind, wenn es nur die Tatsache des neuen Lebens und den Wunsch nach einem erfüllten Mutterdasein gibt?

Ihre Versuche, ihr Leben zu ordnen, scheitern

Auch Alim hat Sandra allein geboren. Der Vater, untauglich als solcher, war nicht an ihrer ­Seite. Bald danach geht sie zurück in ihre Heimat, ­also ­Mecklenburg-Vorpommern, macht eine Ausbildung zur Verkäuferin. 2003 wird sie erneut ­schwanger. Diesmal will sie das Kind ­ab­treiben. "Ich hatte mit Alim genug zu tun und wollte mein Leben auf die Reihe be­kommen." Doch der Vater und seine Freunde machen ihr die Hölle heiß. Sandra, die von sich sagt, sie sei leicht manipulierbar, lässt sich über­reden, das Kind auszutragen.

2004 wird Lars ­geboren, ein Jahr später trennt sich Sandra von seinem Vater, lässt den Jungen bei ihm. Später holt sie ihn zu sich, gibt ihn wieder zurück. Es ­kommen Jahre mit vielen Umzügen, vielen Jobs, Entlassungen, ­weiteren gewalt­tätigen Männern. "Ich bin diesen ­ Typen gefolgt wie ein herrenloser Hund. Jedes Mal habe ich ­gehofft, ich könnte ­bleiben. Ich wollte eigentlich immer nur Geborgenheit."

Als Alim neun Jahre alt ist, erwischt sie ihn bei Doktorspielen mit der Tochter einer ­Freundin. Der Anblick triggert ihre Missbrauchserfahrungen. Sie ruft das Jugendamt an, Alim kommt in eine therapeutische Einrichtung. Sie sagt, sie habe unter der ­Trennung von den Kindern sehr gelitten. "Ich hatte immer Sehnsucht nach ihnen." Doch ­ihre Versuche, ihr Leben zu ordnen, scheitern und führen sie in ein Frauenhaus in Ostholstein und schließlich in eine therapeutische Einrichtung. Dort werden Depressionen, ­posttraumatische Belas­tungen und gestörte Beziehungserfahrungen diagnostiziert.

"Manche haben echt keine Ahnung, was ein hartes Leben ist"

Als ich Sandra kennenlerne, ist Tobias drei Monate alt. Mit viel Disziplin regelt Sandra ­ihren Tagesablauf. Morgens ein langer Spazier­gang mit dem Kind, nachmittags noch mal. Dazwischen singen, spielen, kuscheln. Sandra hat die Drogen längst aufgegeben, für ­Tobias auch das Rauchen, sie beschäftigt sich mit ­gesunder Ernährung und den Prinzipien ­inneren Gleichmuts. Aus Elementen des Buddhismus, des Schamanismus, der Heilkunde hat sie sich eine ganz eigene Idee der Erlösung von Schuld und Schmerz zurechtgebastelt, die ihr vor allem bei einem helfen soll: die alte Sandra für immer hinter sich zu lassen.

Bei unseren ersten Treffen wohnt Sandra noch auf dem Land. Wir gehen mit Kinderwagen spazieren, immer denselben Weg, er führt vorbei an einem herrschaftlichen Haus, durch die hohen Fenster sieht man Antiquitäten und Leuchter, im Garten stehen Apfelbäume und ein Hund läuft am Zaun entlang. Stets bleibt Sandra einen Moment dort stehen, schickt Sehnsuchtsblicke in den ­Garten und sagt, so wolle sie auch mal leben. Gemeint ist nicht das Haus, der Besitz, ­sondern das Heile und Sorgenlose, das sie hinter dem Zaun und hinter den Fenstern vermutet, ein Dasein, so geradlinig, dass Sandra ein diffuses Gefühl von Ungerechtigkeit erfasst. "Manche haben echt keine Ahnung, was ein hartes Leben ist."

Einmal in der Woche, für zwei Stunden, kommt Sabine, Sandras ­Familienhebamme des Kinderschutzbunds, Teil der Frühen ­Hilfen. Schon in der Schwangerschaft war sie an Sandras Seite. Sie hilft Sandra bei praktischen Dingen: Kleidung für den Jungen zu organisieren, am Mütterfrühstück teilzu­nehmen, Physiotherapie für Tobias zu buchen. Sie hört zu. Wenn Sandra klagt und hadert, wenn ihre Angst sie einholt. Sabine hat eigene Kinder und außer Sandra noch sechs weitere Familien, die sie betreut, sie macht das seit 17 Jahren und hat schon jede Verzweiflung gesehen. Wenn Sandra Tobias die Flasche gibt, reden sie manchmal einfach nur. Über Erwartungen, richtige und falsche, ein Leben ohne Partner und Sex, die Wichtigkeit von Selbstachtung. Sabine würde Sandra gern beibringen, selbstsicherer zu sein, nicht jedem Gequengel des Jungen nachzugeben. Sandra hat auf Sabines Rat viele Wenn und Aber und sagt doch, Sabine sei ein Segen, sei die wichtigste Stabilität in ihrem Leben. "Ohne Sabine wäre ich nicht klargekommen."

Das Fundament der Frühen Hilfen ist die politisch gewollte "Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen". Ein solcher Anspruch wirft viele Fragen auf. Wer definiert diese Kompetenzen? Ist das Zusammentreffen verschiedener Belastungsfaktoren ein Zeichen von Inkompetenz? Im Jahr 2020 meldeten die deutschen Jugendämter 45 400 Inobhutnahmen, also Fälle, in denen das Kind zu einer Pflegefamilie oder in ein Heim kam. Die größte Gruppe waren Kinder unter zwölf Jahren. Die Hälfte wurde nach kurzer Zeit zu ihren Eltern zurückgebracht, in vielen Fällen erwies sich der Verdacht als unbegründet. Eine Überreaktion der Jugendämter? Tatsächlich stieg zur gleichen Zeit die Zahl der vom Jugendamt festgestellten Kindeswohlge­fährdungen. Das Statistische Bundesamt ­meldete 2020 einen Höchststand seit Ein­führung der Statistik im Jahr 2012: 60 600 Gefährdungen. Rund 60 Prozent ­waren Vernachlässigung, 26 Prozent körperliche Gewalt, fünf Prozent Missbrauch.

In der Therapie lernt Sandra, dass man ein Kind ohne Gewalt erziehen kann

In der Therapie lernt Sandra zum ersten Mal Menschen kennen, die sie gut behandeln und ihr sagen, dass man ein Kind ohne Gewalt erziehen kann, dass sie, Sandra, etwas wert ist. Es ermutigt sie und reißt sie zugleich in Abgründe. "Ich habe da zum ersten Mal ­verstanden, was ich Schlimmes erlebt und was ich an schlimmen Dingen getan habe."

Es fällt Sandra nicht schwer, ihre Geschichte zu erzählen, die vielen Therapien waren ihre Übung, alles ist reflektiert, durchsetzt mit psychologischem Vokabular. Manchmal kommt es einem vor, als ­erzähle Sandra über eine andere, deren Seele sie ­durchleuchtet hat. Und manchmal erzählt Sandra von ihrer Vergangenheit so, dass ­eine Wehmut durchklingt nach den wilden ­Partys, dem vielen Sex, dem Drogenrausch. "Dieser Moment, wenn alles in deinem Kopf sich so leicht anfühlt."

Als Tobias ein halbes Jahr alt ist, geht es Sandra nicht mehr gut. Der Enthusiasmus des Anfangs ist vorbei. Dann kommt der Winter und mit ihm kommt Alim, jetzt 23. Er hat keine Bleibe, kriecht bei Sandra unter. Keine Drogen, sagt sie, keine Zigaretten. Aber Alim schluckt Ecstasy, räumt nicht auf, macht ihr Vorwürfe, ihn weggegeben zu ­haben, will Geld von ihr. Im Dezember begibt er sich in den Drogenentzug, kommt zurück, konsumiert weiter. Dann geht Sandras Auto kaputt und sie muss die Reparaturkosten abstottern, das Geld reicht nicht. Tobias zahnt, krabbelt überall hin. "Er will den ganzen Tag beschäftigt werden", sagt sie und klingt dabei wie ­jemand, der geduldig erträgt und Opfer bringt.

Das Gefühl, überfordert zu sein, wird an manchen Tagen übermächtig

Sie hat Schmerzen in den Knien, im ­Rücken, sie hat zugenommen, hadert mit ­ihrem Körper, fühlt sich bitterallein. "Ich weiß gar nicht, wie ich jemals noch einen Partner finden soll." Das Gefühl, überfordert zu sein, wird an manchen Tagen übermächtig. Jetzt sagt sie, sie liebe Tobias über alles, aber wenn sie noch mal entscheiden könnte, sie hätte ihn nicht bekommen.

Im Winter kommt die alte Sandra zurück. Die, die zu viel Nähe und Verantwortung nicht gut aushält. Sie wohnt in ihren Augen, wenn sie müde, das Geld alle, sie Tag für Tag mit dem Kind allein ist und niemand da, der sie stärkt. Die Pandemie und die Isolation verschlimmern ihren seelischen Zustand. Der Konflikt mit Tobias’ Vater ist eskaliert, jede Hoffnung auf Versöhnung ist dahin. Am Telefon beschimpfen und drohen sie einander. Sie möchte, dass er Vaterpflichten übernimmt. Er höhnt, sie habe schließlich ihre Kinder fort­gegeben. "Häng dich doch auf wie deine Mutter", sagt er zu ihr. "Du bist nur ein Stück Scheiße."

privat

Andrea Jeska

Andrea Jeska, ­Journalistin, findet als Mutter dreier Töchter, dass die gesell­schaftlichen Erwartungen an Mutter­liebe zu hoch sind: Mehr Nüchtern­heit beim Mutterbild würde ­sicherlich zu weniger Druck und damit zu weniger Eskalationen führen.
Privat

Tara Wolff

Die Fotografin Tara Wolff hatte beim Fototermin auch ein Stativ dabei. "Tobias wollte es ­inspizieren. Ich war besorgt, da es recht schwer ist, doch Sandra setzte sich zu ihm auf den Boden und lachte. Er muss doch alles kennen­lernen, sagte sie."

Im Winter kehrt auch die Angst zurück, dass sich das alte Muster wiederholt, dass Depressionen und Lustlosigkeit die Liebe zu dem Kind auffressen. "Was ist", fragt sie, "wenn ich eines ­Morgens aufwache und den Kleinen nicht mehr haben will?"

Als wir uns wiedersehen, ist schon Frühjahr. Es geht ihr besser. Sie hat ihre Freundschaft mit Doha, ihrer syrischen Nachbarin, vertieft. Als Sandra ein paar Tage krank war, hat Doha ihr den Haushalt gemacht, dafür hat Sandra sich ihren pubertierenden Sohn zur Brust genommen und ihm gesagt, er solle gefälligst seine Mutter respektieren. "Denn wenn ich eins in meinem Leben gelernt habe", hat sie zu ihm gesagt, "dann, dass man ohne Respekt nicht wirklich ein Mensch ist."

Sabine hat Sandra die Adresse einer ­Organisation gegeben, die Frauen hilft, in ­ihren Beruf zurückzufinden, und Sandra sieht Licht am Ende ihres Tunnels. Noch ein Jahr, dann will sie wieder arbeiten. Demnächst, wenn der Lockdown vorbei ist, soll Tobias zum ­Babyschwimmen, auch das ist Teil der ­Frühen Hilfen. Und danach soll er in einen Sportverein. "Damit er nicht so kriminell wird wie sein Vater." Sie werde den Kontakt zu diesem jetzt endlich abbrechen. "Ich schaff das." Und Alim will sie auch bald rauswerfen, schließlich müsse sie Tobias vor schlechtem Einfluss schützen. "Der soll nämlich ein guter Junge werden. Ohne Drogen."

Infobox

Frühe Hilfen

Die Angebote zur Frühen Hilfe werden von lokalen Kinderschutzorganisationen umgesetzt – in Zusammenarbeit mit dem Jugend­amt, Kindergärtner:innen, Ärzt:innen und anderen, die "Kontakt zu psychosozial belasteten Menschen und ihren Familien haben", so heißt es in den Leitsätzen der Dachorganisation Nationales Zentrum für Frühe Hilfen. Um ­Familien zu erreichen, sollen die Angebote niedrigschwellig sein.

Theoretisch stehen sie allen Familien zur Verfügung, doch zeigen Auswertungen, dass nur die primären ­Angebote – Schwangerschaftsberatung, Gesundheitsvorsorge, Frühförderung – von allen ­Gesellschaftsschichten angenommen werden. Weitere vernetzte Hilfe wird gewährt bei belastenden Faktoren wie ­geringer Bildung, missbräuchlichen oder gewalt­tätigen Kindheitserfahrungen, ­Depressionen oder anderen psychischen ­Erkrankungen der Eltern.

Es gibt keine Auswertungen über die Wirksamkeit der Frühen Hilfen. Kritiker:innen bemängeln, die weiterführenden Angebote richteten sich zum prozentual überwiegenden Teil an Sozial­hilfeempfänger:innen und ­Migrant:innen, nicht aber an Familien anderer Gesellschaftsschichten. Sie sehen darin eine Diskriminierung, weil ange­nommen werde, Gewalt fände nur am ­unteren Ende der Gesellschaftsskala statt.

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Liebe Sandra,

ich wünsche Ihnen Mut, Kraft, Stärke, Selbstliebe und Mutterliebe
und habe Respekt vor Ihnen, vor dem Weg, den Sie bisher gegangen sind und vor dem, der noch vor Ihnen liegt.

Ihr innerer Kompass wird Ihnen helfen, das Richtige zu tun, notwendige Entscheidungen zu treffen und sich die Hilfe zu holen, die Sie brauchen, um den Alltag und das Leben mit Kind zu meistern.

Ich wünsche Ihnen & Tobias alles erdenklich Gute, das Sie so verdienen!

Herzlich, Sandra T.

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