Anfänge - Sie wollte alles perfekt machen
Anfänge - Sie wollte alles perfekt machen
Janek Stroisch
Sie wollte alles perfekt machen
Dann brach sie zusammen: Burn-out, Depression, Klinik. Heute weiß sie: Niemand ist perfekt.
Ulrike BlieffertPrivat
28.04.2021

Melanie Faltermeier, 32:

Als ich zusammenbrach, saß ich gerade mit Kolleginnen in meinem Büro. Wie üblich arbeitete ich nebenher am Bildschirm weiter, während ich mein Mittagessen aß. Plötzlich begann ich zu weinen und ­konnte nicht wieder aufhören.

Burn-out. Das Wort klingt wie aus einem Marketinghandbuch. Ausgebrannt zu sein, das beweist doch, dass sich hier jemand für seine Arbeit aufopfert. Genau das ­habe ich lange getan. In meinem Job im Digital-Marketing eines internationalen Konzerns wusste ich morgens nie, was auf mich zukommen würde – jeden Morgen musste ich erst mal einen oder zwei Brände löschen. Aber ich halte das schon aus, sagte ich mir.

Ich wollte alles perfekt machen

Ich wollte zu den High Potentials gehören, zu den herausragenden jungen Leistungsträgern. Dauernd verglich ich mich mit anderen. Ich tat alles für Anerkennung. Ich traute mich nicht, Nein zu sagen zu weiteren Aufgaben. Meine To-do-Liste wurde immer länger, meine Angst vor dem Versagen immer größer. Ich wollte alles perfekt ­machen. Heute weiß ich: Niemand ist perfekt.

Wenn Freunde fragten, ob wir was unternehmen, sagte ich immer öfter: Nein, ich muss noch arbeiten. Ich hatte keine Freude mehr. Dafür ständig Kopf- und Rückenschmerzen, Schlafstörungen . . . Wahrscheinlich hofft jeder Mensch, dass andere sehen, wie es ihm geht, dass sie ihn aufhalten, wenn er sich zu viel auflädt. Ich musste auf die harte Tour lernen, dass ich selbst eine Grenze setzen muss.

Sofort nach "dem Zwischenfall" im Büro klemmte ich mir den Laptop unter den Arm, wankte zum Auto und sagte: "Alles gut. Morgen bin ich wieder da." Ein Irrtum. Am nächsten Tag war ich unfähig aufzustehen, die Ärztin schrieb mich krank. Es sollte neun Monate dauern, bis ich wieder einigermaßen "einsatzfähig" war.

Schlimmer geht's immer

Agoraphobie. Das klingt schon nicht mehr so sexy wie Burn-out. Die Angst davor, nach draußen zu gehen, habe ich während der Wochen entwickelt, in denen ich auf einen Platz in der Rehaklinik wartete. Ich schaffte nur noch die 500 Meter bis zum Supermarkt. Während ich auf meinem Sofa hockte und wartete, machte sich ­Nieder­geschlagenheit in mir breit. Ich war mitten in einer Depression. Schließlich ließ ich mir Psychopharmaka verschreiben, um durchzuhalten. Um am Leben zu bleiben.

Endlich die Zusage der Klinik. Endlich konnte es los­gehen! In den nächsten Wochen lernte ich, mich selbst wertzuschätzen. Das war harte Arbeit. Auch, mich rauszutrauen und zu merken, es passiert mir dort nichts Schlimmes.
Das Wichtigste an der Therapie: Ich hörte all die Geschichten der anderen Patienten. Im Vergleich dazu war meine eigene nicht mal sonderlich dramatisch. Schlimmer geht’s immer. In einer Gruppe zu sein – und nicht ganz allein –, relativiert selbst die übelsten Panikattacken.

Es war unendlich erleichternd, dass ich mein Schweigen brechen und unter Menschen sein durfte, die sich erlaubten, ihre eigene Wahrheit zu erzählen. Würde ich das auch außerhalb der Klinik tun können? Würden meine Kollegen und Kolleginnen mir zuhören? Die Sache war einen Versuch wert. Was hatte ich denn noch zu verlieren?

Das Krasseste, was ich je gemacht habe

Ich hielt eine Rede auf der Betriebsversammlung. Vor 700 Menschen machte ich mich nackig und ­erzählte ­meine Geschichte, nachdem ich neun Monate weg ge­wesen war. Es war mir egal, was die Leute sagten. Ich wollte aufklären. Weil ich mir wünsche, dass anderen ein Burn-out erspart bleibt.

Als ich gerade erzählte, wie mir klar wurde, dass bei mir nur noch ein stationärer Aufenthalt hilft, weil sonst wirklich Schlimmeres passiert wäre, kamen mir kurz die Tränen. Der ganze Saal applaudierte mir aufmunternd. Ich fing mich wieder und sagte: Was mir die Krankheit genommen hat, habe ich anders zurückbekommen. Sich einzugestehen, dass man Grenzen hat – das empfinde ich heute nicht mehr als Schwäche, sondern als Mut. Am ­Ende klatschten alle.

Das war das Krasseste, was ich je in meinem Leben gemacht habe, mich da hinzustellen. Mittlerweile habe ich das Unternehmen freiwillig verlassen. Ich versuche herauszufinden, was genau meine Stärken sind und wie ich diese in der Gesellschaft bestmöglich einsetzen kann. Ich bilde mich weiter und kläre weiterhin über mentale Gesundheit auf.

Protokoll: Ulrike Blieffert

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Wenn ich nicht weiß, was das ist: perfekt - dann weiß ich auch nicht, was ich sage, wenn ich sage: Ich wollte alles perfekt ­machen. Heute weiß ich: Niemand ist perfekt. --

"Alles perfekt machen"? Wirklich? Ist das schlimm? Mal angenommen, ich wüsste auch, was ich sage, wenn ich sage: ALLES perfekt machen. Beim Sex alles perfekt machen. Wäre das nicht irgendwie und für irgendwen zumindest wünschenswert? Beim Wäschewaschen alles perfekt machen. Würde zumindest ich selbst mich darüber nicht in irgendeiner Hinsicht freuen? Beim die-Straße-überqueren alles perfekt machen. Würde das nicht zumindest dem Autofahrer, dem ich nicht vor sein Auto renne, ein bisschen Freude bereiten? (...)

Nichts für ungut: Aber dass ich mich vor einer Gruppe von Menschen selbst entblöße, dass ich vor einer Gruppe von Menschen Dinge von mir preisgebe, für deren Preisgabe ich mich hinterher vielleicht sogar ein bisschen schäme, diese Art von Verhalten ist eben der Preis, der an die 'Götter des Systems' zu entrichten ist. Die Welt ist hart, aber grausam.

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