Das Projekt -  Depression
Das Projekt - Depression
Swen Reichhold
Da hilft keine Schokolade
Und auch kein Urlaub. Depressionen werden immer noch gefährlich unterschätzt
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
27.06.2018

 Christine Reuter, 49, hat sieben Mal die Hölle gesehen. So nennt die lebhafte blonde Leipzigerin ihre depressiven Episoden. Beim ers­ten Mal war sie 29, eine junge Anwältin, da schien es noch erklärlich: erster Job, Stress, Verantwortung. Reuter bekam Panikat­tacken, konnte kaum mehr schlafen und essen, nicht mehr klar denken und vor allem: empfinden wie gewohnt. "Wie Gefühls-Alzheimer. Zum 30. Geburtstag feierten mich ­meine Freunde. Und ich wusste einfach nicht mehr, wie das geht, mich zu freuen." Eine Freundin brachte sie zu ­einer Psychiaterin, die überwies in die psychiatrische ­Klinik. Nach sechs Wochen Behandlung mit Antidepressiva wurde Reuter als geheilt entlassen. Und fühlte sich auch so. Die Freunde zitterten noch manchmal, etwa als ihre Partnerschaft zerbrach. "Aber das löste keinen Schub aus", sagt sie. Nach sieben Jahren jedoch kam die Krankheit wieder, dann in immer kürzeren Abständen. Trotz Psychotherapie und Medikamenten, obwohl sie auf sich achtete.

In der akuten Phase ist der 
Stoffwechsel gestört

"Viele denken, eine Depression sei eine nachvollziehbare Reaktion auf Schicksalsschläge oder Stress", sagt Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. "Die Krankheit kann aber auch ohne äußere Auslöser auftreten. Manchmal gehen sogar positive Ereignisse voraus, eine bestandene Prüfung etwa oder der Urlaubsantritt." Hegerl deckte bei einer Befragung Irrtümer über Depressionen auf. "Da wir uns ­alle mal leer und erschöpft fühlen, meinen wir zu wissen, was hilft", sagt Hegerl. Sich zusammenreißen etwa oder Schokolade essen – das glaubten 20 Prozent der Befragten. Und fast 80 Prozent empfahlen einen Urlaub. "Bitte nicht!", sagt Hegerl: "Die Depression reist mit und kann einen in der Ferne noch mehr quälen." Auch nicht gut: Früher ins Bett gehen und länger liegen bleiben. Das verschlimmere meist die Depression.

Aufklärung ist wichtig

Hegerl betont: "Eine Depression ist kein Stimmungstief, sondern eine schwere Krankheit. In der akuten ­Phase ist der Stoffwechsel im Gehirn gestört, da hilft keine Schoko­lade. Man muss zum Arzt. Der Großteil der Suizide geht auf das Konto von unbehandelten Depressionen." In Deutschland nehmen sich pro Jahr rund 10 000 Menschen das Leben – das sind dreimal so viele Tote wie durch Verkehrsunfälle. Die Spitze liegt in den Frühlings- und ­Sommermonaten. Mögliche Erklärung: Wenn alle anderen nach dem Winter­blues aufblühen, erscheint die eigene Lage besonders hoffnungslos. Umso wichtiger, dass ­Menschen verstehen, dass sie eine Krankheit haben und sich behandeln lassen können. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe setzt auf Aufklärung vor Ort. Christine Reuter etwa engagiert sich im Leipziger Bündnis gegen Depression. "Ich lebe, und ­es geht mir die meiste Zeit gut. Das müssen alle wissen: ­
Es gibt Hilfe."

 
Spendeninfo

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe mit Sitz in Leipzig braucht Spenden. Sie fördert neben Forschungsprojekten und Hilfsangeboten vor allem die Aufklärungsarbeit über die Krankheit Depression an vielen Orten Deutschlands. Sie wird unterstützt von der Deutsche Bahn Stiftung. Informationen, Aktivitäten in Ihrer Nähe, Spendenadresse unter deutsche-depressionshilfe.de

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