Uli Klose/BerlinProPhoto
"Die Jugendlichen sind erstaunt, dass ihre Vorurteile nicht zutreffen"
Jüdische Ehrenamtliche als Mentoren im Problemkiez.
Tim Wegner
31.08.2018

Der Rollberg-Kiez ist ein Miniviertel zwischen Sonnenallee und Hermannstraße im Berliner Stadtteil Neukölln. Hier leben Menschen verschiedenster Nationalitäten, die meisten haben wenig Geld. Der Kiez ist in den 70ern bebaut worden und fiel anfangs durch die aggressiven Auseinandersetzungen verschiedener Gruppen auf. 2003 gründete sich der Sozialverein morus14 für Bildung, Integration und Gewaltprävention. Ein zentrales Projekt ist Shalom Rollberg geworden, gegründet 2014 von der Israelin Hagar Levin im Freiwilligen Sozialen Jahr. Sie wollte Juden und Nichtjuden zusammenbringen. Mittlerweile ist Irena Fliter die Leiterin. Das Projekt ist vom Bündnis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet worden.

chrismon: Frau Fliter, das Projekt Shalom Rollberg Ihres Sozialvereins ist preisgekrönt. Was macht es so erfolgreich?

Irena Fliter: Unsere Strategie ist, die Menschen abseits von politischen oder religiösen Diskussionen abzuholen. Wir arbeiten auf der ganz alltäglichen Ebene zusammen, indem wir Kinder aller Konfessionen zusammenbringen, darunter auch jüdische. Vor allem aber wirkt unser Mentorenprojekt.

Wie funktioniert das?

Es gibt zwei Varianten. Beiden ist gemeinsam, dass ein jüdischer Ehrenamtlicher die Betreuung von Kindern und Jugendlichen übernimmt. Für viele sind sie wichtige Ansprechpartner außerhalb der Familie. In der ersten Variante geben die Betreuer Nachhilfe, betreuen Hausaufgaben oder übernehmen ein paar Stunden Nachmittagsbetreuung. Es gibt aber auch verschiedene Freizeitkurse, die von Betreuern jüdischer Konfession geleitet werden: Kung-Fu, Theater, Kunst und Englisch und eine Fußballkooperation mit einem Neuköllner Jugendzentrum. Wir arbeiten aber auch mit den umliegenden Synagogen zusammen, die wir mit Kindern aus der Regenbogen-Grundschule immer wieder besuchen. Das ermöglicht es den Kindern, hinter die Kulissen politischer Debatten zu schauen.

Wie wirken Ihrer Beobachtung nach die Projekte auf die Jugendlichen?

Es gibt viele Vorurteile, die gar nicht zutreffen. Viele sind erstaunt und ungläubig, wenn sie das herausfinden. Dass zum Beispiel jemand deutsch UND jüdisch sein kann, ohne dass der Konflikt zwischen Israel und Palästina eine Rolle spielt. Es geht uns darum zu zeigen, dass alle zusammenleben und voneinander profitieren können, auch wenn nicht alle gleich denken.

Sie erreichen damit viele Jugendliche – die doch ganz verwirrt sein müssen von den Erfahrungen, die sie bei Ihnen machen und dem – häufig antijüdischen – Wissen, das sie daheim vermittelt bekommen. Wie erreichen Sie die Eltern?

Die Eltern sind diejenigen, die akzeptieren müssen, dass ein Jude ihre Kinder beim Lernen unterstützt, sie in ihrer Freizeit begleitet oder den Eltern bei der Betreuung unter die Arme greift. Darüber verwickeln wir sie ins Gespräch.

Und darauf gehen sie ohne weiteres ein?

Die Schwierigkeit ist die Bildungsferne vieler Familien. Die Leute haben nicht genug Wissen und das, was sie haben, ist überhaupt nicht reflektiert. Einmal kam eine Mutter zu mir, beladen mit Verschwörungstheorien über das Judentum. Sie hat sehr intensiv und laut mit mir diskutiert. Aber ihr Kind geht weiter zum jüdischen Betreuer und auch sie kommt immer wieder in unsere Einrichtung.

Wie bringen Sie das fertig?

Wir sind sehr bekannt im Kiez, wir können zu fast jedem hier Kontakt herstellen. Die Familien wissen, dass ihre Kinder bei uns gut aufgehoben sind. Und sie sind auf uns angewiesen: Wir sind die einzige Möglichkeit um die Ecke, wo den Kindern beim Lernen geholfen wird und sie ihre Schulnoten verbessern können. Wir sind ein geschützter Raum und in keinen Konflikt verwickelt. Das wissen alle.

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