Night view of Zhongguancun Science Park, known as China's Silicon Valley, in Haidian District, Beijing, China, 27 August 2014.
Foto: Tian Zhe /Imaginechina/laif
Mehr Wachstum mit Demokratie?
Die Wirtschaft in China schwächelt, Schwankungen an der Börse besorgen Aktionäre weltweit. Manche sagen: Weil es in der Volksrepublik Freiheit mangelt. Aber stimmt diese These? Fragen an Sinologin Doris Fischer von der Uni Würzburg.
Portrait Manon Priebe, online-Redaktion chrismonLena Uphoff
17.09.2015

chrismon: Chinas Wirtschaft wächst nicht mehr so rasant. Sind Innovationen in einem Staat mit Ein-Parteien-System und eingeschränkter Meinungsfreiheit schlicht nicht möglich?

Doris Fischer: Der Umkehrschluss müsste ja lauten: Wir in einem freiheitlichen System müssten jeden Tag weltrevolutionäre Innovationen generieren. Das schafft Deutschland ja auch nicht.

Ist die chinesische Wirtschaft denn innovativ?

Fischer: Innovationen sind doch nicht nur revolutionäre Erfindungen! Chinesische Unternehmen sind sehr gut darin, Prozesse zu vereinfachen und effizient zu produzieren. Das steht in keiner Patentstatistik.

Andererseits spricht man von einem "Patent-Tsunami".

Fischer: China hat in den letzten Jahren enorm aufgeholt, weil es seit 2006 ein staatliches Anreizsystem gibt. Die Regierung möchte viele Innovationen sehen. Um die staatliche Prämie zu erhalten, sind chinesische Unternehmen sehr geschickt darin geworden, jede noch so kleine Neuerung im Produktionsprozess als Patent zu deklarieren. 

Wo sind chinesische Unternehmen innovativ?

Fischer: In der Telekommunikation sind sie international erfolgreich, besonders beim Aufbau der Infrastruktur in Lateinamerika und Afrika. In den USA und Europa behindern immer wieder Sicherheitsbedenken einen chinesischen Markteintritt: Nutzt die chinesische Regierung die Infrastruktur für Spionage? Was die sogenannten Social Media angeht, ist China sehr einfallsreich. Da gibt es ein ganzes Parallel­universum.

Zum Beispiel?

Fischer: Mit dem Anbieter WeChat konnte man – bevor das bei WhatsApp möglich war – kostenlos telefonieren. Hier ist China oftmals ­Trendsetter für die westlichen Pendants. China bietet alles, was der Wes­ten hat: Alibaba statt Amazon, Baidu statt Google, Taobao statt ­E-Bay, Youku statt Youtube. Aber dieses Paralleluniversum er­möglicht natürlich auch die staatliche Kontrolle der Inhalte und die Beschränkung des Zugriffs auf ausländische Inhalte und Plattformen.

###autor###Auch weil der chinesische Staat die Kommunikation überwacht, sorgen sich deutsche Unternehmen über den mangelhaften  Schutz geistigen Eigentums – zu Recht?

Fischer: Ja, aber auch die chinesischen Privatunternehmen leiden enorm ­dar­unter, dass sich Innovationen für sie nicht lohnen, weil die ­Konkurrenz ihre Produkte sofort kopiert. Deshalb investieren chinesische Firmen vermehrt im Ausland. 

Um dann die Produkte in China günstiger nachzubauen?

Fischer: Nein, um zu lernen. Die Chinesen wollen sich Fähigkeiten und Know-how abschauen. Deshalb zerschlagen sie die gekauften Betriebe nicht, sondern lassen alles weiterlaufen. Im Ausland können sie ­Patente anmelden, ohne gleich kopiert zu werden. 

Hat die Regierung das Problem noch nicht verstanden?

Fischer: Doch. Auf dem Papier ist der Schutz schon besser geworden, aber es hapert auch – wie so oft – an der Gesetzesumsetzung. Je ferner die Hauptstadt Peking, desto schwächer ist ihr Einfluss.

China hat große Umweltprobleme, Stichwort "Smog". Große Hoffnungen setzt die Regierung daher auf die Elektromobilität.

Fischer: Und begeht dabei den Fehler, den Sektor stark zu regulieren und viele innovative Firmen auszusperren: Zwar fährt die Polizei in Shanghai längst in E-Autos durch Fußgängerzonen. Aber die Her­steller werden nicht in den staatlichen Sektor aufgenommen und bekommen deshalb auch keine Förderung.

Fördert das Schulsystem Innovationen?

Fischer: Leider merke ich immer wieder bei meinen chinesischen Studenten: Die können prima auswendig lernen, sind es aber nicht gewöhnt, kritisch zu diskutieren – weder mit Lehrern noch mit ihren Eltern. 

Gibt es eine Gründerszene wie im Silicon Valley?

Fischer: Ja, zum Beispiel in Zhongguancun, einem Bezirk von Peking. Die ­dortigen Start-ups werden nicht alle unbedingt erfolgreich, haben aber ganz viele clevere Ideen. An Innovationsdrang und Kreativität mangelt es nicht. Chinesen finden immer neue Wege, Geld zu machen: Während der Fußball-WM in Brasilien mussten sie die Spiele aufgrund der Zeitverschiebung nachts schauen. Um am nächsten Tag nicht arbeiten zu müssen, boomte der Schwarzmarkt für Arzt­atteste. Das macht den Chinesen so schnell keiner nach.

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