Schlank im Schlaf!
Schlank im Schlaf!
kallejipp/photocase
Schlank im Schlaf! Mit Pilzen gegen den Krebs!
Der Büchermarkt ertrinkt in Heilsbotschaften. Eine Polemik.
30.11.2010

Seit vier Jahren lese ich Monat um Monat die zehn meistverkauften deutschen Sachbücher. Alle. Von der ersten bis zur letzten Seite. Ratgeber sind darunter, mit deren Hilfe man angeblich schlank und schön und Nichtraucher werden kann. Autobiografien, in denen schlanke, schöne Berühmtheiten erzählen, wie sie mit dem Rauchen aufgehört haben und wurden, was sie sind. Und dann gibt es noch jeweils eine Handvoll allgemeine Sachbücher, die den Rest abdecken: Sachbücher über Geld und Gott, Alter und Tod, Männer und Frauen sowie Russland und die USA.

Tausche Prominenz gegen Euro

Eine nicht zu unterschätzende Zahl der zehn meistverkauften deutschen Sachbücher stammt von Menschen, die ihre auf anderen Feldern erworbene Prominenz mithilfe des Leitmediums Buch von der neuen Währung Aufmerksamkeit in die alte Währung Euro konvertieren möchten. Sie sind für einen Großteil der deutschen Bestseller heute verantwortlich. Ich lese diese Bücher nicht freiwillig, sondern weil ich vom Radio und Fernsehen sehr viel Geld dafür bekomme. Natürlich verrate ich den Leuten vom Radio und Fernsehen nicht, dass es mitunter großen Spaß macht, solche Bücher zu lesen.

Denis Scheck

Denis Scheck, Jahrgang 1964, ist einer der originellsten deutschen Literaturkritiker. Im ARD-Büchermagazin "Druckfrisch" (monatlich am Sonntagabend) rückt er allem Gedruckten zu Leibe.

Das aus der Konträrfaszination erwachsende Vergnügen am deutschen Sachbuch fängt im Idealfall schon mit dem Titel an. Darf man naiv nennen, wer für 19 Euro 90 das Buch "Schlank im Schlaf" von Dr. med. Detlef Pape, Dr. med. Rudolf Schwarz, Elmar Trunz-Carlisi und Helmut Gillessen erwirbt? Oder handelt es sich nicht eher um ein schönes Beispiel dafür, dass man sich auch als Erwachsener noch eine Art Kinderglauben, eine Offenheit fürs Wunderbare bewahren kann, sei es in Gestalt des Glaubens an die Zahnfee oder eben an den die Pfunde nur so wegschmelzenden Gott Hypnos?

"Mehr Haare durch positives Denken!"

In jedem Fall ist "Schlank im Schlaf" ein schöner Beleg dafür, dass auf dem deutschen Sachbuchmarkt zurzeit keine Heilsbotschaft zu absurd, keine Glücksformel zu verstiegen, kein Erlösungsversprechen zu verlogen sein kann, um nicht massenhaft Käufer anzulocken. Wer "Schlank im Schlaf" ­ seit Erscheinen 2006 mittlerweile tatsächlich in der 8. Auflage ­ klaglos konsumiert, wird auch keine Probleme damit haben, Bücher zu lesen, deren Strickmuster der Logik folgt: "Mehr Haare durch positives Denken!", "Reich werden durch Geldausgeben!" oder "Nüchtern durch mehr Saufen!"

Solche Bücher gibt es tatsächlich. Was anderes ist ein Beziehungsratgeber mit dem Titel: "Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest"? Denkt man auch nur eine halbe Minute über diesen Titel nach, wird man zwangsläufig zu der Frage gelangen, ob die im Titel anklingende These der Psychotherapeutin Eva-Maria Zurhorst auch für Eva Braun oder Desdemona gegolten hätte.

Der medizinische Erkenntniswert einer Doppelherz-Werbung

Wir haben die Kurpfuscher und Scharlatane von unseren Jahrmärkten verbannt. Aber in unseren Buchhandlungen sind die modernen Nachfahren der Barfußärzte präsenter denn je. Nicht immer sind sie so leicht zu durchschauen wie im Fall der Dr.-Eisenbart-Fibel von Uwe Karstädt. In "Das Dreieck des Lebens" behauptet der Heilpraktiker Karstädt, eine Art Zaubertrank gegen Alter und Krankheit gefunden zu haben, bestehend aus Vitamin B6, Folsäure sowie Vitamin B12. Kronzeuge des Heilerfolgs ist ein inzwischen über 70-jähriger, unverschämt jung aussehender Schauspieler namens Horst Janson, der brav beteuert, wie trefflich ihm dieser Heilpraktiker geholfen hat, und über den Karstädt wiederum schreibt: "Selbstverständlich weiß Horst Janson um seinen Homocystein-Wert, selbstverständlich nimmt er täglich die Synervit-Kombination und selbstverständlich schenkt er seinem Körper auch regelmäßig wertvolles RX-Omega-Fischöl und baut er zudem Tag für Tag Immun- und Anti-Krebskraft durch den Pilzextrakt AHCC auf." Mag sein. Doch haben solche Aussagen den medizinischen Erkenntniswert einer Doppelherz-Werbung.

Auch wer die Dame ohne Unterleib bislang nur vom Jahrmarkt kannte, begegnet ihr in der Buchhandlung wieder. Dietrich Grönemeyers medizinisches Aufklärungsbuch in Romanform "Der kleine Medicus" ist offenbar für den arabischen Markt verfasst, denn im Register sucht man die Buchstaben V und P vergeblich, Vagina und Penis gibt es in Grönemeyers spannender Körperwelt nicht. Erzählt wird von einer Reise durch den menschlichen Körper, die ein Zwölfjähriger in einem miniaturisierten U-Boot durchführt und die der Autor so prüde schildert, dass die Geschlechtsorgane ausgespart bleiben. Weil dieses Kinderbuch zudem von einer so penetranten Holzhammerdidaktik bestimmt ist, fühlt man sich nach der Lektüre, als wäre einem mit Gewalt eine große Portion Lebertran eingeflößt worden.

Nichts klingt süßer in unseren Ohren als jenes Heilsversprechen, das uns eine Reduktion von Komplexität in Aussicht stellt. Kein Zufall daher, dass zu einem der größten deutschen Sachbucherfolge der letzten Jahre die mittlerweile zu einer ganzen Industrie angewachsene "Simplify your life"-Idee von Werner Tiki Küstenmacher und Lothar J. Seiwert wurde. Tatsächlich geben Küstenmacher/Seiwert exzellente Tipps, wie man seinen Papierkram in Ordnung bringt und seine Finanzen plant. Dann kippt der Zeitsparwahn dieses Buches aber komplett in Irrsinn um, weil nun auch das Privat- und Seelenleben auf Effizienz getrimmt wird. Und das liest sich unter dem Stichwort "Ent-krampfen Sie Ihre Beerdigung" dann tatsächlich so: "Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Sie in der Schlussphase Ihres Lebens geistig nicht mehr so fit sind, wie Sie es gerne wären." Jacques Tati oder Charlie Chaplin hätten diese Effizienzideologie nicht schöner ad absurdum führen können.

Ein einziger Gemeinplatz im XXL-Format

Man mag einwenden, all dies seien bedauerliche, wenngleich amüsante Einzelfälle. Gewiss, auch in Meisterwerken findet sich mitunter die eine oder andere Stilblüte; bisweilen erlaubt sich selbst Homer ein Nickerchen. Aber je länger ich lebe und lese, umso deutlicher tritt ein diesen Einzeltiteln zugrunde liegendes Muster vor mein inneres Auge, ein Muster, das Anlass zu schwärzesten Gedanken gibt. Manche Bücher lassen einen fast an eine Verschwörung der Verdummung glauben, an eine Industrie, die dafür sorgt, dass es so überhaupt keinen gesellschaftlichen Fortschritt gibt und etwa die Geschlechterrollen wie festzementiert bleiben.

Nicht nur die Boulevardpresse oder das Seifenopernfernsehen, auch Bücher können Teil und Produkt dieser Industrie sein. Susanne Fröhlichs "Moppel-Ich" zum Beispiel, angeblich ein Diätbuch, tatsächlich aber eine Fressorgie des Vorurteils, eine Schlachtplatte fettester Binsenweisheiten, ein einziger Gemeinplatz im XXL-Format. Im forciert aufgekratzten Tonfall eines Ayatollahs schreit dieses Buch seinen Lesern den Katechismus des intellektuellen Stillstands ins Ohr: Ich will so bleiben, wie ich bin!

Sind alle diese deutschen Sachbuch-Bestseller wirklich Ausnahmen? Verrät es nicht doch mehr über den Autor als bloß eine gewisse stilistische Nachlässigkeit, wenn sich in seinem Buch Sätze finden wie "Die Höhenflüge seiner Lebensziele kann man nicht auf Sand bauen" oder "Jetzt bezahlen wir die Quittung" (Peter Hahne, "Schluss mit lustig")? "Die wesentlichen Merkmale des Lebens sind Geburt und Tod", erfahre ich aus Hape Kerkelings Wandertagebuch vom Jakobsweg "Ich bin dann mal weg". Und Oliver Kahns Autobiografie "Nummer eins" enthält eine Erkenntnis, über deren philosophische Unauslotbarkeit man lange nachdenken kann, nämlich: "Die Trennung von meiner Frau hatte nichts mit ihrer Person zu tun."

Es sind solche Bücher, die mich verstummen lassen, wenn als kleinster gemeinsamer Nenner unter Kulturbeflissenen die Parole ausgegeben wird, dass wir alle doch dafür seien, es solle mehr gelesen werden. Ich bin mir da gar nicht so sicher. Sind denn auch alle Köche dafür, dass mehr gegessen wird? Und alle Winzer, dass mehr getrunken wird? Sollte statt mehr nicht eher Besseres gelesen und meinetwegen auch gegessen und getrunken werden? Man müsste mal ein Sachbuch darüber lesen.

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