Der unmenschliche Alltag in der mobilen Altenpflege
Tim Wegner
19.01.2012

Nach seinem Enthüllungsbuch „Abgezockt und totgepflegt“ über die Zustände in deutschen Pflegeheimen hat sich der Journalist Breitscheidel diesmal in der mobilen Pflegebranche umgesehen: undercover, unter falschem Namen, nach dem Absolvieren eines Pflege-Basiskurses. Keineswegs marktschreierisch, sondern überaus nüchtern und detailgetreu schildert Breitscheidel seine Erlebnisse: In der Branche werden fast nur noch 30-Stunden-Verträge gemacht, fast nur noch findet man Stellen bei Leiharbeitsunternehmen, auch kirchliche und Wohlfahrts-Unternehmen würden dabei mitmachen; bezahlt werden mal 6,50, mal 7,60 Euro – nie aber die Überstunden, die Breitscheidel wie die allermeisten KollegInnen natürlich machte, wollte er die Pflegebefüdrftigen nicht im Stich lassen. Wie sollte er denn in 15 Minuten eine alte gebrechliche Dame wecken, ins Bad bringen, aufs WC setzen, sie waschen, anziehen, wieder ins Bett legen? Fast nie fuhr am Anfang jemand mit, um ihn den KlientInnen als neuen Mitarbeiter vorzustellen. „Der unmenschliche Alltag in der mobilen Pflege“, so lautet der Untertitel dieses erschütternden Buches. Unmenschlich für die Mitarbeitenden, die ihre Arbeit nicht sorgfältig und zugewandt tun können und auch nicht von ihr leben können, und unmenschlich für die alten Menschen, denen in Windeseile von fast täglich neuen, fremden Leuten ohne viel Worte die Kleider und Windeln vom Leib gerupft werden. Da helfe nur eins, meint Breitscheidel: die Sätze für die ambulante Altenpflege den Sätzen in der stationären Altenpflege anzupassen und dafür den Beitrag zur Pflegeversicherung erhöhen. Anders lasse sich dieser unwürdige Umgang mit Menschen nicht ändern.

Markus Breitscheidel: Gewaschen, gefüttert, abgehakt. Ullstein Buchverlage, Berlin 2011, 223 Seiten, 18 Euro

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