Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Halle (Archiv).
epd-bild/Stefen Schellhorn
Was die Wahlkampftaktik der AfD mit dem Selbstwertgefühl im Osten Deutschlands zu tun hat, wurde unversehens zum Thema beim Auftakt zu einer deutsch-deutschen Gesprächsreihe im Schloss Bellevue. Steinmeier selbst hatte den Anstoß gegeben.
13.08.2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am 58. Jahrestag des Mauerbaus den Mut der DDR-Bürger gewürdigt, viele Jahre später, im November 1989, die Öffnung der Mauer zu erzwingen. Damals hätten Freiheit und Demokratie gesiegt, nicht Nationalismus und Abschottung, sagte er am Dienstag in Berlin zum Auftakt einer Gesprächsreihe. Die friedlichen Revolutionäre hätten den Weg in ein offenes Europa gesucht.

Es sei "eine perfide Verdrehung der Geschichte", wenn politische Gruppierungen heute im Wahlkampf versuchten, "das Erbe von '89 für ihre Angstparolen zu stehlen", sagte Steinmeier. Wer "das Gift des Hasses in die Sprache und die Gesellschaft trägt", der stehe heute auf der falschen Seite, so wie 1989 diejenigen auf der falschen Seite der Geschichte gestanden hätten, die die Menschenwürde mit Füßen traten.

Bundespräsident kritisiert AfD-Wahlplakate

Ohne die Rechtspopulisten zu nennen, bezog sich der Bundespräsident damit auf die Wahlkampfparolen der AfD vor den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern. Die Rechtspopulisten werben unter anderem mit der Parole "1989/2019 - Vollende die Wende" und plakatieren "Wir sind das Volk", den Ruf der Leipziger bei der entscheidenden Demonstration am 9. Oktober 1989.

Steinmeier warnte vor einer "Faszination des Autoritären" und neuen Mauern in der Gesellschaft und warb für einen stärkeren Austausch zwischen Ost und West. Das bedeute als erstes, die Lebensleistung der Menschen anzuerkennen, die in der früheren DDR gelebt und einen gewaltigen Umbruch geschultert und gestaltet hätten, sagte Steinmeier. Ihre Geschichten seien immer noch "kein selbstverständlicher Teil des Wir": "Wir brauchen einen Solidarpakt der Wertschätzung", forderte Steinmeier.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) wies auf den Zusammenhang zwischen einer mangelnden positiven Selbstwahrnehmung vieler Ostdeutscher und den Erfolgen der AfD hin. Die Partei setze auf die Minderwertigkeitsgefühle, die viele noch immer mitschleppten. Sie spiele mit den Ängsten und der Unsicherheit der Menschen angesichts weiterer Veränderungen, die auf sie zukämen, sagte Thierse.

Friedliche Revolution darf nicht für Wahlkampf missbraucht werden

Der Journalist Georg Mascolo sagte, man dürfe es der AfD nicht durchgehen lassen, die friedliche Revolution in der DDR für den eigenen Wahlkampf zu missbrauchen. Er frage sich, warum viele Ostdeutsche ihre Erfolgsgeschichten kaum wahrnehmen könnten, etwa den großen Einfluss ostdeutscher Politikerinnen in der bundesdeutschen Politik. Mascolo, der heute den Rechercheverbund des NDR, WDR und der "Süddeutschen Zeitung" leitet und Chefredakteur des "Spiegel" war, hatte als junger Journalist mit seinem Team die Bilder von der Öffnung des Grenzübergangs an der Bornholmer Straße in Berlin gefilmt.

Der Leipziger Journalist Siegbert Schefke, der am 9. Oktober 1989 die Leipziger Demonstration von einem Kirchturm aus gefilmt hatte, die ebenso wie Mascolos Aufnahmen um die Welt gingen, verwies auf die große Mehrheit der Wähler im Osten, die ihr Kreuz nicht bei den Rechtspopulisten machen. Er sagte, zahlenmäßig gebe es im Westen mehr rechte Wähler als im Osten. Zudem sei es "Pegida" und den Rechtspopulisten keineswegs überall gelungen, Fuß zu fassen. In Leipzig etwa hätten sie keine Chance gegen eine starke, vielfältige und weltoffene Stadtgesellschaft.

Mit der Gesprächsreihe in seinem Amtssitz im Schloss Bellevue will der Bundespräsident Menschen aus Ost- und Westdeutschland miteinander ins Gespräch bringen. Dabei berichten jeweils eine Person aus dem Osten und eine aus dem Westen über persönliche Erinnerungen aus der Umbruchzeit, vom Mauerfall und während der Wiedervereinigung.

Am 13. August wird in Berlin an die Opfer von Mauer und Teilung erinnert. Unter anderem legten Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und weitere Politiker einen Kranz in der Gedenkstätte Berliner Mauer nieder.

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