Ex-Pfleger Niels Högel beim Prozessauftakt im Oktober 2018
epd-bild/Julian Stratenschulte/dpa-Pool
Das Oldenburger Landgericht muss sich mit der Frage beschäftigen, wie glaubwürdig die Aussagen des mutmaßlichen Serienmörders Niels Högel sind. Ein Experte bezeichnet ihn als fähigen Lügner, der gelegentlich auch mal die Wahrheit sagt.
04.04.2019

Im Mordprozess gegen den früheren Krankenpfleger Niels Högel hat der Berliner Rechtspsychologe Professor Max Steller den Angeklagten als ausgeprägten Narzissten und "kompetenten Lügner" beschrieben. Er gehe davon aus, dass Högel nur das zugebe, was ihm auch nachgewiesen wurde, sagte der Gutachter am Donnerstag vor dem Oldenburger Landgericht. Högels Behauptungen, vieles vergessen oder verdrängt zu haben, seien nicht glaubwürdig: "Er weiß, was er getan hat", unterstrich der Professor (Az: 5Ks 1/18).

Bereits in den früheren Prozessen sei die narzisstische Prägung Högels festgestellt worden, sagte Steller. Aus Högels Verhalten im laufenden Prozess, in den Vernehmungen durch die Polizei und durch eigene Gespräche im Gefängnis sei er aus wissenschaftlicher Sicht davon überzeugt, dass der Angeklagte bereit ist, bewusst zu lügen, um selbst besser dazustehen. Er sei sich sicher, dass Högel noch immer nicht alles Wissen preisgegeben habe.

"Absolut unglaubwürdig"

Högel sei in der Lage, aufgedeckte Lügen "nachzubessern" und zu korrigieren. Gefragt nach seinem ersten Opfer habe er stets nach dem Erkenntnisstand der Ermittler einen anderen Namen eingeräumt. In den Vernehmungen habe er dann darauf verwiesen, er habe die Taten erfolgreich verdrängt. Dies sei absolut unglaubwürdig, sagte Steller. Auch bei Serientaten bleibe die Erinnerung an das erste Mal sehr deutlich im Gedächtnis.

Glaubwürdig sei Högel, wenn er Fälle mit ungewöhnlichen Begleitumständen schildere, die im besten Fall von Zeugen bestätigt werden können. Dazu gehöre etwa eine Situation, bei der er eine Patientin vergiftet und reanimiert habe, um einen Freund an dessen ersten Arbeitstag auf der Station zu beeindrucken. In einem anderen Fall sei sich Högel sicher, eine Patientin getötet zu haben, könne sich aber nicht mehr an den verwendeten Wirkstoff erinnern. Doch solche Wissenslücken seien menschlich und stützten die Glaubwürdigkeit einer Aussage, sagte Steller.

Eine hohe Glaubwürdigkeit haben Steller zufolge auch die Geständnisse, in denen der Ex-Pfleger erst die Ermittler auf die Spur gebracht habe. Einige Male habe er während der Vernehmung abstrakte Fälle geschildert, zu denen die Polizei erst nach weiteren Recherchen passende Vorfälle gefunden habe.

Aber voll "aussagetüchtig"

Zusammenfassend schätze Steller Högel als uneingeschränkt aussagetüchtig ein. Allerdings müsse stets dessen große Bereitschaft und Fähigkeit zur Lüge bedacht werden. Aber: "Auch wenn jemand permanent lügt, kann er im Einzelfall auch die Wahrheit sagen", sagte der Rechtspsychologe. Er wolle Högel nicht generell absprechen, bei der Aufklärung helfen zu wollen.

Laut Anklageschrift soll Högel von 2000 bis 2005 in der Oldenburger Klinik und im Krankenhaus Delmenhorst insgesamt 100 Patienten mit Medikamenten vergiftet haben, die zum Herzstillstand führten. Anschließend versuchte er, sie wiederzubeleben, um als rettender Held dazustehen. In dem seit Ende Oktober laufenden Prozess hat er bisher 43 Mordfälle eingeräumt. Wegen weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslange Haftstrafe.

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