Mittelalterliche "Judensau" an der Stadtkirche in Wittenberg
epd-bild/Jens Schlueter
Die Auseinandersetzung um die "Judensau" an der Stadtkirche Wittenberg ist am Landgericht angekommen. Zum Auftakt wurde deutlich, wie schwierig eine juristische Lösung des Streits ist. Aktuelle Tendenz: Das antisemitische Schmährelief kann bleiben.
04.04.2019

Im Prozess um eine mögliche Beseitigung der als "Judensau" bekannten antisemitischen Schmähplastik an der Stadtkirche Wittenberg hat das Landgericht Dessau-Roßlau eine erste Tendenz erkennen lassen. Zu klären sei insbesondere die Frage, ob das mittelalterliche Sandsteinrelief eine sogenannte Formalbeleidigung darstelle, sagte Richter Wolfram Pechtold am Donnerstag. Das Gericht komme hier zu dem vorläufigen Ergebnis, "dass zweifelhaft erscheint, ob die Klage Erfolg haben wird". Das Urteil soll am 24. Mai verkündet werden.

Der Kläger Michael Düllmann und sein Anwalt Hubertus Benecke hatten beantragt, festzustellen, dass das Schmährelief eine Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuchs darstelle. Als Folge davon begehrt Düllmann, der einer jüdischen Gemeinde in Berlin angehört, dass die Stadtkirchengemeinde die Plastik abnehmen muss, um sie etwa in einem Museum historisch aufzubereiten.

"Zweifellos unschöne bildliche Darstellung"

Richter Pechtold erklärte, es handle sich bei dem Relief um eine "zweifellos unschöne bildliche Darstellung", die zum Zeitpunkt ihres Entstehens eindeutig als ehrverletzende öffentliche Herabsetzung von Juden gemeint gewesen sei. Ob sie allein deshalb eine objektive Beleidigung darstelle, müsse indes aus heutiger Sicht und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände bewertet werden. Vor diesem Hintergrund erscheine es fraglich, ob durch das Relief als Bestandteil eines historischen Baudenkmals "in einem solchen objektiven Sinne tatsächlich eine Kundgabe der Missachtung vorliegt", betonte der Richter.

Eine andere rechtliche Sicht ergebe sich jedoch, wenn man von einer sogenannten Formalbeleidigung ausgehen wolle, erklärte Pechtold weiter. Dafür müsse eine über den eigentlichen Inhalt der Darstellung hinausgehende, "nach Form und Umständen eigenständige Beleidigung" vorliegen. Dies sei die Kernfrage, die das Gericht zu klären habe, betonte Pechtold. Zugleich ließ er seine nach aktuellem Stand eher ablehnende Tendenz erkennen.

Schwieriges Erbe

Klägeranwalt Benecke erklärte, dass durch das Relief und seine später hinzugefügte Inschrift auch heute alle Menschen jüdischen Glaubens verhöhnt würden. Dadurch sei "die Grenze zur Formalbeleidigung deutlich überschritten", betonte er. Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte Benecke nach der Verhandlung, er habe trotz der vom Gericht geäußerten Tendenz weiter Hoffnung auf einen positiven Ausgang des Verfahrens.

Der Anwalt der evangelischen Stadtkirchengemeinde, Jörg Ellermann, betonte, die Gemeinde sei sich seit Jahrzehnten ihrer moralischen Verpflichtung bewusst und beschäftige sich intensiv mit der Frage, wie mit dem schwierigen Erbe umzugehen sei. Im Falle einer Entfernung bestehe für die Gemeinde zudem die Gefahr, sich dem Vorwurf der Geschichtsklitterung auszusetzen. Eine Formalbeleidigung sei nicht erkennbar, "schon gar nicht gegenüber dem Kläger", erklärte Ellermann.

Historische Einordnung

Das Sandsteinrelief entstand vor gut 700 Jahren. Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen sich Menschen laben, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Vermutlich seit dem 16. Jahrhundert prangt darüber der Schriftzug "Rabini Schem HaMphoras", ein hebräischer Verweis auf den unaussprechlichen Namen Gottes bei den Juden.

Die Stadtkirchengemeinde ließ 1988 eine Bodenplatte mit historischer Einordnung unterhalb des Reliefs anbringen. Der Wittenberger Stadtrat sprach sich Mitte 2017 für einen Erhalt der Plastik aus. Er wertete die Bodenplatte als Mahnmal und ließ zusätzlich eine Stele mit Erklärtexten auf Deutsch und Englisch aufstellen.

Pechtold räumte den Streitparteien eine Schriftsatzfrist bis zum 3. Mai ein. Bis dahin solle die bislang unbeachtete Frage geklärt werden, ob der Streit womöglich den "Kernbereich kirchlichen Wirkens" betreffe. In diesem Fall würde es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln, weshalb die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig wäre.

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