Gießener Ärztin Kristina Hänel (Archivbild)
epd-bild/Rolf K. Wegst
Die Leipziger Buchmesse verzeichnet zur Halbzeit einen Besucherzuwachs. An Tag zwei wurde ein Verleger für sein Lebenswerk geehrt. Kritische Debatten gab es zu gesellschaftspolitischen Fragen.
22.03.2019

Die Leipziger Buchmesse hat zur Halbzeit eine positive Zwischenbilanz gezogen. Bis Freitagnachmittag hätten 82.000 Gäste die Veranstaltungen auf dem Messegelände besucht, erklärten die Veranstalter. Das seien etwa 1.000 mehr gewesen als zum selben Zeitpunkt des Vorjahrs. Auf dem Frühjahrstreff der Branche präsentieren noch bis Sonntag mehr als 2.500 Aussteller ihre Neuerscheinungen. Beim traditionellen Lesefest "Leipzig liest" stehen rund 3.600 Veranstaltungen auf dem Programm. Gastland ist Tschechien.

Der renommierte Kurt-Wolff-Preis wurde am zweiten Besuchertag der Messe an den Gründer des Merlin-Verlags, Andreas J. Meyer, vergeben. Mit dem 91-Jährigen wurde erstmals eine Einzelperson für ihr Lebenswerk mit der Auszeichnung geehrt, die mit 26.000 Euro dotiert ist. Meyer habe den 1957 gegründeten Merlin-Verlag mit Ausdauer und Spürsinn zum Modell eines Kleinverlages gemacht, begründete die Jury. Der mit 5.000 Euro dotierte Förderpreis ging an den Berliner Verlag edition.fotoTapeta.

Kurt-Wolff-Preis vergeben

Einen Schwerpunkt auf den Podien der Messe bildeten am Freitag gesellschaftspolitische Debatten. Der Publizist und Verleger Jakob Augstein kritisierte eine kurz zuvor bekanntgewordene Bonuszahlung über knapp 8,7 Millionen Euro an Ex-Deutsche-Bank-Chef John Cryan. Mit Bezug dazu monierte der Chefredakteur der Wochenzeitung "Der Freitag" eine "Legitimationskrise" des politischen, wirtschaftlichen und medialen Systems in Deutschland. "Alle werden das kritisieren und alle machen danach einfach so weiter, weil sie sich daran gewöhnt haben, weil die Leute einfach zum Zyniker erzogen werden in diesem System", erklärte Augstein mit Blick auf Cryan.

"Bild"-Journalist Nikolaus Blome erklärte, auch er sehe in Deutschland eine Legitimationskrise zwischen "denen da oben und denen, die sich gegängelt und falsch behandelt fühlen". Er glaube aber nicht, dass dies zuvorderst ökonomisch begründet sei. Der Behauptung, dieser Unterschied zerreiße das Land, widerspreche er energisch, betonte Blome. Es sei erst dazu gekommen, "als es um kulturelle Ungleichheit ging und die Frage, wie viel das Land davon aushält. Das wissen wir noch nicht", sagte der Journalist.

Augstein kritisert Bonus für Cyran

Der schweizerische Globalisierungskritiker Jean Ziegler erklärte bei einer Diskussion, der Kapitalismus sei nicht reformierbar. "Wenn wir den Kapitalismus jetzt nicht zerstören, zerstört er uns", erklärte der 84-jährige auch mit Blick auf den Klimawandel.

Der Kapitalismus sei zwar "die lebendigste, dynamischste und schöpferischste Produktionsform, die die Menschheit je gesehen hat", sagte Ziegler. Dennoch verhungere auf der Welt alle fünf Sekunden ein Kind. Dies ändere sich nur, "wenn der Zugang zu Nahrung nicht von der Kaufkraft abhängen, sondern nach Gemeinwohlinteressen verteilt würde", erklärte der Soziologe.

Die Gießener Ärztin Kristina Hänel kritisierte, es gebe in Deutschland beim Sprechen über Schwangerschaftsabbrüche ein "staatlich verordnetes Tabu". "Wir leben in einer Demokratie, aber ausgerechnet beim Thema Schwangerschaftsabbruch dürfen wir Ärztinnen und Ärzte nicht sprechen", sagte Hänel. Das gebe es in keinem anderen Land der Welt.

Hänel war Ende 2017 auf Grundlage des umstrittenen Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden. Sie hatte auf ihrer Internetseite Informationen zu Abtreibungen bereitgestellt. Der Paragraf verbietet die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche.

Bundestag und Bundesrat hatten jüngst einem Kompromiss der großen Koalition zugestimmt, den Paragrafen zu reformieren. Hänel erklärte, dieser mache alles "noch krasser". Künftig dürften Ärzte nur noch sagen, dass sie Abbrüche durchführten, alle weitere Informationen seien verboten. Sie werde daher an ihrer Absicht festhalten, vor das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, erklärte die Ärztin.

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