Prozessakten Niels Högel (Archivbild)
epd-bild/Julian Stratenschulte/dpa-Pool
Aus heutiger Sicht gab es im Delmenhorster Krankenhaus bereits früh Hinweise darauf, dass der Ex-Krankenpfleger Niels Högel etwas mit dem Tod von Patienten zu tun hatte. Diese Erkenntnis belastet dessen frühere Kollegen sehr.
31.01.2019

Im Mordprozess gegen den früheren Krankenpfleger Niels Högel sind am Donnerstag drei Zeuginnen gehört worden, die zum Zeitpunkt der Taten im Krankenhaus Delmenhorst beschäftigt waren. Eine Krankenschwester wollte sich dabei auf die Fragen des Vorsitzenden Richters Sebastian Bührmann vor dem Oldenburger Landgericht kaum an Högel und die damaligen Umstände erinnern. Bührmann warf der heutigen Rentnerin vor zu "mauern" und ermahnte sie mehrfach zu wahrhaftigen Aussagen (Az: 5Ks 1/18). Högel soll von 2000 bis 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst 100 Patienten getötet haben.

Erst auf die Drohung hin, sie zu vereidigen, rang sich die Zeugin zu einer Erklärung durch: Sie habe furchtbare Angst, für die Taten Högels mitverantwortlich gemacht zu werden. Von heute aus betrachtet, stelle sich die damalige Situation ganz anders dar als damals. Sie wisse nicht, was sie sagen oder nicht sagen dürfe. Da die Zeugin augenscheinlich kurz vor einem Zusammenbruch stand, verzichtete der Richter vorerst auf eine Vereidigung. "Ich sehe, dass Sie am Rande dessen sind, was Sie körperlich und gesundheitlich ertragen können."

Zeugin unter Anspannung

Bührmann kommentierte das Aussageverhalten als "fatal". Etliche Male betonte er, dass es nicht darum gehe, die Zeugen für ihr damaliges Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen. Es gehe darum, die Wahrheit herauszufinden, damit aus dem Prozess etwas gelernt werden könne: "Das sind wir den Angehörigen schuldig, die bis heute nicht wissen, was wirklich mit ihren Lieben geschehen ist. Und nur so können wir auch ein gerechtes Urteil sprechen."

Eine weitere Krankenschwester beschrieb unter sichtlicher Anspannung, wie sie Högel einmal dabei ertappt habe, als er etwas in den Zugang eines ihrer Patienten gespritzt habe. Auf die Frage was er da mache, habe er geantwortet: "Du hast unsauber gearbeitet, ich habe den Zugang freigespült." Dann habe er sie zu einer Raucherpause überredet. "Doch nach zwei Zügen ist der Alarm losgegangen, und Niels ist gleich losgerannt." Ohne auf den Überwachungsmonitor zu schauen, sei sie dann zu ihrem Patienten gelaufen. Högel und ein Arzt hätten sich bereits über das Bett gebeugt. Doch der Arzt habe gesagt, es sei nichts mehr zu machen. Der Patient sei gestorben.

Sie habe einen Verdacht gegen Högel entwickelt, und dies dem Stationsleiter mitgeteilt, berichtete die Frau. Doch dieser habe unwirsch reagiert und gesagt, wenn sie dem Stress auf der Intensivstation nicht mehr gewachsen sei, müsse sie gehen. Somit habe sie aus Furcht vor Konsequenzen geschwiegen. Einige Wochen später sie sei von der stellvertretenden Stationsleiterin beauftragt worden, Högel im Blick zu behalten.

100 Morde zur Last gelegt

Eine mittlerweile in Rente lebende Krankenschwester erinnerte sich an eine unerwartete Reanimation, die erfolglos blieb. Einem Patienten sei es nach einer kritischen Woche wieder so gutgegangen, dass die Ärzte ihm am Abend ein halbes Glas Bier erlaubten. Dennoch sei in der Nacht plötzlich der Alarm losgegangen. Obwohl Högel sonst stets der erste am Krankenbett war, sei er geradezu über den Flur "geschlichen". Nachdem der Arzt den Tod des Patienten festgestellt habe, habe Högel das Zimmer in einem für ihn erstaunlichen Tempo aufgeräumt, sich einen Sessel zurechtgerückt und den Fernseher eingeschaltet. Bis heute frage sie sich: "Musste mein Patient sterben, damit Niels in Ruhe fernsehen kann?", sagte die Zeugin.

Högel werden in dem Verfahren 100 Morde zur Last gelegt. Laut Anklageschrift soll Högel den Patienten Medikamenten gespritzt haben, die zum Herzstillstand oder Kammerflimmern führten. Anschließend versuchte er, sie wiederzubeleben, um als rettender Held dazustehen. Der frühere Krankenpfleger hat im Verlauf des Prozesses, der Ende Oktober begann, 43 Mordfälle eingeräumt. Fünfmal wies er die Anschuldigung zurück. An die weiteren Patienten könne er sich nicht erinnern, sagte er. Wegen weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslange Haftstrafe.

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