Das Spiegel-Verlagsgebäude in der Hamburger Hafencity (Archiv).
epd-bild / Stephan Wallocha
19.12.2018

Der Skandal um teils erfundene Artikel des ehemaligen "Spiegel"-Redakteurs Claas Relotius hat nach Auffassung des Medienwissenschaftlers Volker Lilienthal auch mit dem Genre der Reportage zu tun. "Die Reportage hat in den vergangenen Jahren immer stärker versucht, sich ans Filmische anzunähern und eine Art Kino im Kopf auszulösen", sagte Lilienthal in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie habe dadurch ein "hohes Verführungspotenzial", sei aber auch besonders anfällig für Manipulation.

Die Jurys vieler Journalistenpreise seien stark auf dieses Genre fixiert, sagte Lilienthal, der an der Uni Hamburg die Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus innehat.

Texte erschienen als "fast zu schön"

Als Juror des Otto-Brenner-Preises der IG Metall habe er selbst öfter Texte von Relotius auf dem Tisch gehabt: "Diese Tonalität der intimen Beschreibung hat oft Begeisterung ausgelöst." Den Brenner-Preis erhalten habe Relotius jedoch nie, weil den Juroren die Texte als "fast zu schön" erschienen seien. Relotius erhielt unter anderen mehrfach den Deutschen Reporterpreis.

Die erfundenen Texte seien ein "absolutes Fiasko" für den "Spiegel", sagte der Medienwissenschaftler. Die Dokumentationsabteilung des Magazins, die alle Beiträge penibel überprüft, habe in diesem Fall aber kaum Möglichkeiten gehabt, die Fälschungen zu erkennen.

Reportagen seien schwer auf Wahrheitsgehalt zu prüfen

Die bevorzugten Textformen von Relotius, Auslandsreportagen und Porträts verborgen lebender Menschen, seien schwer auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Bei diesen Genres müsse eine Publikation ein "Grundvertrauen" zum Autor haben, das hier jedoch bitter enttäuscht worden sei.

Der Fall Relotius sei zum einen die "traurige Geschichte eines jungen begabten Menschen, der sich in die berufliche Selbstvernichtung begeben hat", sagte Lilienthal. Zum anderen gebe sie leider auch den gängigen "Lügenpresse"-Vorwürfen neue Nahrung: "Jeder Nachwuchsjournalist, der jetzt antritt, muss mit einer sehr großen Medienskepsis klarkommen." Die Medien müssten aus solchen Fälschungsskandalen, wie es sie auch schon früher gegeben habe, immer wieder aufs Neue lernen.

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