Um eine weitere Öffnung der Einkommensschere zu vermeiden, empfehlen die Autoren der Studie, "die sozialen Hürden beim Bildungszugang abzubauen".
epd-bild/Steffen Schellhorn
In Deutschland bleiben Arme arm und Reiche reich: Wie aus einer Studie hervorgeht, haben sich die Einkommen an den Rändern über die Jahre zunehmend verfestigt. Aus der Politik werden nun Stimmen nach Konsequenzen laut.
05.11.2018

Wer reicht ist, bleibt reicht, wer arm ist, bleibt arm: Die Einkommen in Deutschland haben sich einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge an den Rändern verfestigt. Wie die Stiftung am Montag in Berlin mitteilte, nahm der Anteil der Haushalte unter der Armutsgrenze deutlich zu. Gleichzeitig sei die Zahl der Haushalte gestiegen, die über der statistischen Reichtumsgrenze liegen. Um eine weitere Öffnung der Einkommensschere zu vermeiden, empfehlen die Autoren der Studie, "die sozialen Hürden beim Bildungszugang abzubauen". Auch Politiker fordern ein Umsteuern.

Der Studie zufolge zeigen sich große Unterschiede nach Geschlecht und Region: "Dauerhafte Armut kommt in Ostdeutschland etwa sechs Mal so häufig vor wie in den alten Bundesländern." Auf der anderen Seite der Skala gilt: "Etwa zwei Drittel der Wohlhabenden sind männlich, insgesamt leben 95 Prozent der Einkommensreichen in den alten Bundesländern."

Als arm gilt ein Haushalt, der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. 2015 lag die Armutsgrenze bei einem Netto-Jahreseinkommen von weniger als 12.192 Euro für einen Singlehaushalt. Als reich werden Haushalte bezeichnet, die mindestens das Doppelte des mittleren Einkommens erzielen. Nach dieser Definition gilt etwa ein Alleinstehender als reich, der im Jahr mindestens über 40.639 Euro netto verfügt.

Kontinuierlicher Anstieg

Seit den 90er Jahren zeige sich "vor allem bei der Armut ein markanter, weitgehend kontinuierlicher Anstieg", heißt es in der Analyse. Seien in den 90er Jahren rund elf Prozent der Menschen in Deutschland einkommensarm gewesen, sei die Quote auf knapp 16,8 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Der Anteil der Bevölkerung in einkommensreichen Haushalten sei von 5,6 Prozent Anfang der 90er Jahre auf knapp 7,5 Prozent im Jahr 2015 gestiegen.

Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sprecher für Arbeitsmarktpolitik und europäische Sozialpolitik der Grünen im Bundestag, bezeichnete die Ergebnisse der Studie als Weckruf für die Bundesregierung. Union und SPD müssten sich "endlich mit den grundlegenden Gründen für sichtbare und verdeckte Armut in Deutschland befassen", sagte er. Die hohe Zahl der sozial und ökonomisch dauerhaft ausgegrenzten Menschen sei eine Schattenseite der guten Konjunktur. "Wenn soziale Mobilität und Chancengerechtigkeit sinken, dann erzeugt das Risse im Fundament unserer demokratischen Gesellschaft."

Die Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, beklagte, Armut werde zum Dauerzustand, "weil Politik für Millionäre statt für die Mehrheit gemacht wird". Über den Kurznachrichtendienst Twitter rief sie zu einem massenhaften "Aufstehen im Ungleichland" auf, um soziale Spaltung zu verringern.

Kluft zwischen Arm und Reich

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, sagte, die Kluft zwischen Arm und Reich dürfe sich nicht noch weiter vergrößern. Dazu seien zielgerichtete Maßnahmen zur Armutsbekämpfung in allen Altersgruppen nötig. Zudem brauche es "mehr Umverteilung durch eine gerechtere Steuerpolitik, die Menschen mit großen Vermögen für das Gemeinwohl stärker in die Pflicht nimmt".

Die Autorin der Studie, Dorothee Spannagel, empfiehlt zur Reduzierung der Diskrepanzen beim Einkommen, die Lohnungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschland zu verringern. Außerdem "müssten von frühester Kindheit an Kinder aus benachteiligten Familien gezielt gefördert werden", sagte sie. Schließlich gelte es, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. Lebe in einem Haushalt mehr als ein Verdiener, sinke das Risiko, dass dieser Haushalt dauerhaft von Armut betroffen sei. Daher empfiehlt Spannagel einen weiteren Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten und einen kostenlosen Zugang dazu.

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