Die Richter am Straßburger Menschenrechtsgerichtshof äußerten keinen Zweifel: Die russischen Behörden sind nicht allen Hinweisen nachgegangen, die zur Festnahme der Hintermänner des Auftragsmords an Anna Politkowskaja hätten führen können.
17.07.2018

Russland hat den Auftragsmord an der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja im Jahr 2006 nach einem Urteil des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs unzureichend aufgeklärt. Ein Staat habe die Pflicht, bei einem Mord allen Hinweisen nachzugehen, erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem am Dienstag verkündeten Urteil. Das sei nicht geschehen. Den Beschwerdeführern - Mutter, Schwester und die zwei Kinder der Enthüllungsjournalistin - sprach das Gericht eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 20.000 Euro zu. (AZ 15086/07)

Politkowskaja hatte in der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta" regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichtet und den russischen Präsidenten Wladimir Putin kritisiert. Am 7. Oktober 2006, Putins Geburtstag, wurde sie im Treppenhaus ihres Moskauer Wohnhauses erschossen.

Vor Gericht mussten sich schließlich fünf Männer verantworten, zwei Brüder, die als Polizeibeamter beziehungsweise als Beamter beim russischen Inlandsgeheimdienst FSB tätig waren, sowie drei weitere Tatverdächtige. Im Mai 2014 verurteilte ein Moskauer Gericht die Männer wegen des Mordes zu langen Haftstrafen, zwei davon lebenslänglich. In einem separaten Verfahren wurde zudem ein hoher Beamter des Moskauer Innenministeriums zu elf Jahren Gefängnis verurteilt.

Auftraggeber blieben im Dunkeln

Die eigentlichen Auftraggeber des Mordes blieben indes im Dunkeln. Die Angehörigen verwiesen auf Spuren zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB und zur tschetschenischen Regierung. Diese wurden von den Behörden aber nicht verfolgt.

Russland hat den Fall damit unzureichend aufgeklärt, urteilte der Menschenrechtsgerichtshof. Die Behörden hätten auch versäumt, Zusammenhänge zwischen der journalistischen Arbeit Politkowskajas und dem Mord zu untersuchen. Sie hätten nur den im März 2013 in Großbritannien unter ungeklärten Umständen gestorbenen früheren russischen Oligarchen und Putin-Kritiker Boris Beresowski als Auftraggeber verdächtigt.

Dokumente, die diesen Verdacht bestätigen, seien aber nicht vorgelegt worden. Spuren, die zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB oder zur tschetschenischen Regierung führten, seien außer Acht gelassen worden. Wegen der unzureichenden Aufklärung und weil das Verfahren viel zu lange gedauert habe, stehe den Angehörigen die Entschädigung zu.

"Wir freuen uns über dieses Urteil, auch wenn es wenig daran ändern wird, dass im Kreml der politische Wille fehlt, den Mord an Politkowskaja wirklich aufzuklären", sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen": "Es ist ein immenses Problem für kritische Journalisten in Russland, dass nach Gewalttaten in den seltensten Fällen die Täter bestraft, geschweige denn Auftraggeber ausfindig gemacht werden."

Amnesty begrüßt Urteil

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte ebenfalls die EGMR-Entscheidung. Die Ermordung von Anna Politkowskaja zeige, welcher Gefahr diejenigen ausgesetzt seien, die in Russland Menschenrechtsverletzungen und Korruption aufdeckten. "Journalisten und Menschenrechtler sind in Russland heute weiterhin Angriffen, Repressalien und Drohungen auch von staatlicher Seite ausgesetzt", sagte Janine Uhlmannsiek, Expertin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International in Deutschland.

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