Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, sieht noch viele Recherchemöglichkeiten ungenutzt.
epd-bild/Juergen Blume
Der Bundestag hat sich mit dem Thema Zwangsadoptionen in der DDR befasst. Im Petitionsausschuss wurden dazu Betroffene und Sachverständige angehört. Die Aufarbeitung des schmerzhaften Themas steht allerdings noch ganz am Anfang.
25.06.2018

Es sind gravierende Vorwürfe: In der DDR sollen Kinder von systemkritischen Eltern zur Zwangsadoption freigegeben worden sein. Andere Mütter zweifeln den Tod ihres Babys an und vermuten, dass der angebliche Säuglingstod von DDR-Behörden nur vorgetäuscht wurde, um ihr Kind in eine andere Familie zu geben. Am Montag befasste sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Thema Zwangsadoptionen und staatlichem Kindesentzug in der DDR. Bei der Anhörung kamen neben Betroffenen auch Historiker und Rechtsexperten zu Wort.

Klar wurde dabei, dass die Aktenlage zu dem für die Betroffenen schmerzvollen Thema dünn ist. Dennoch wolle der Bundestag alles tun, um dieses DDR-Unrecht weitestgehend aufzuklären, sagte der Ausschussvorsitzende Marian Wendt (CDU). Bereits am Dienstag soll das Thema in einer Aktuellen Stunde zur Sprache kommen. Erst Anfang April hatte die "Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR" eine Petition an den Bundestag eingereicht und darin die Aufarbeitung des bislang noch weitgehend im Dunkeln liegenden Themas gefordert.

Keine seriöse Zahl vorhanden

Der Berliner Historiker und frühere Pfarrer, Christian Sachse, betonte, dass es bislang keine seriöse Zahl gebe, wie viele Menschen vom staatlichen Kindesentzug in der DDR betroffen waren. Politisch motivierte Zwangsadoptionen habe es zweifellos gegeben. Auch Fälle von vorgetäuschtem Säuglingstod seien denkbar. Allerdings sei er bislang auf keinen einzigen derartigen Fall gestoßen, sagte Sachse. Auch die brandenburgische Aufarbeitungsbeauftragte, Maria Nooke, bestätigte, dass bisher keine begründeten Verdachtsfälle für vorgetäuschten Säuglingstod in der DDR bekannt seien.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, nannte die unterschiedliche Archivgesetzgebung der Bundesländer als Hürde für die Aufarbeitung. Eindringlich sprach er sich dafür aus, die Vernichtung von jeglichen Dokumenten aus der DDR bundesweit zu stoppen. Um staatlichen Kindesentzug in der DDR aufarbeiten zu können, müssten neben Stasi-Akten auch Dokumente aus der früheren DDR-Jugendhilfe, aus Standesämtern, Kreis- und Bezirksverwaltungen sowie aus Krankenhäusern, die heute oft privatrechtlich geführt werden, gesichtet und miteinander kombiniert werden.

Psychosoziale Betreuung von Betroffenen

Jahn forderte eine Vernetzung der zuständigen Archive in den verschiedenen Bundesländern. Das Stasi-Unterlagengesetz habe gezeigt, wie es möglich ist, "Transparenz und Datenschutz miteinander in Einklang zu bringen", sagte Jahn. Ähnliches müsse nun für den Umgang mit weiteren DDR-Dokumenten geschehen, die in zahlreichen anderen Archiven lagern und teilweise der Vernichtung preisgegeben sind.

Die Berliner Rechtswissenschaftlerin Marie-Luise Warnecke sagte, nirgendwo werde deutlich zu lesen sein, dass einem DDR-Bürger wegen seiner staatskritischen Gesinnung das Kind entzogen wurde. Oft seien andere Gründe angegeben worden. Sie appellierte, finanzielle Mittel für die Erforschung des Themas bereitzustellen. Die Aufarbeitungsbeauftragte Nooke bezeichnete unterdessen die psychosoziale Betreuung von Betroffenen und die Trauerbewältigung als dringend notwendig.

Antworten auf offene Fragen

Der Vorsitzende der "Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR", Alexander Laake, kündigte die Einrichtung einer ersten Anlaufstelle für Betroffene an. Die Ungewissheit über das Schicksal der Kinder sei für die Eltern bis heute "traumatisch und schmerzhaft". Es gehe es vor allem darum, Antworten auf offene Fragen zu bekommen, sagte Laake.

Die vor zwei Jahren von Betroffenen gegründete Interessengemeinschaft zählt nach eigenen Angaben etwa 1.500 Mitglieder. Sie geht von 300 bis 400 Fällen aus, in denen Kinder ihren leiblichen Eltern gegen deren Willen entzogen wurden. Häufig habe es sich laut Interessengesellschaft um Eltern gehandelt, die nach Lesart des SED-Regimes als "asozial" galten oder politisch unliebsam waren.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.