Die Publizistin Barbara Sichtermann verteidigt die Talkshows von ARD und ZDF gegen Kritik. Talkshows seien "Übungen in Toleranz und Gelassenheit", schreibt die 75-Jährige in einem Beitrag für den Fachdienst epd medien.
22.06.2018

Sie trügen dazu bei, "Argumente zu vernehmen und zu verstehen und dabei die eigene Einsicht und Weltsicht womöglich zu erweitern". Sie seien "Beiträge zur Streitkultur", das Genre müsse gepflegt werden.

In den Talkshows bündelten sich die Erwartungen an das Fernsehen, schreibt Sichtermann: "Aktualität, Live-Atmo, Menschelei, Direktheit, Freiheit des Wortes, auch Frechheit des Wortes und schließlich - seitens der Moderation die Bereitschaft und die Fähigkeit, im Dschungel der Phänomene und Meinungen so etwas wie einen Pfad, eine Struktur oder gar einen Garten anzulegen."

"Nur eine Fraktion im großen Stimmengewirr"

In den vergangenen Wochen war mehrfach Kritik an den Talkshows von ARD und ZDF geäußert worden. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, hatte den Sendern vorgeworfen, sie hätten seit 2015 in mehr als 100 Sendungen über die Themen Flüchtlinge und Islam informiert, die Spaltung der Gesellschaft habe in dieser Zeit deutlich zugenommen. Er frage sich, ob eine "talkshowfreie Zeit" der Integration in Deutschland nützlich sein könne.

Sichtermann widerspricht Zimmermanns Behauptung, die Sendungen hätten dazu beigetragen, "die AfD bundestagsfähig zu machen". Die Publizistin schreibt, die Talkshows seien "nur eine Fraktion im großen Stimmengewirr der öffentlichen Meinung, die wahrscheinlich derzeit sogar weniger lautstark wahrgenommen wird, als vor der Erfindung der sozialen Medien". Auch der Vorwurf, es gehe in den Talks immer nur um Flüchtlinge, lasse sich schnell widerlegen.

"Unterschiedliche Blicke auf ein Problemfeld"

Sinn einer Talkshow sei es nicht, "Probleme zu lösen", schreibt Sichtermann. Es genüge, "wenn sie ein Problem in einzelne Aspekte zerlegt und verschiedene mögliche Lösungsstrategien skizziert". Zur Debattenkultur gehöre "die Einsicht, dass es unterschiedliche Blicke auf ein Problemfeld oder ein Reizthema gibt und dass es von Vorteil ist, die Meinung des Andersdenkenden nicht nur zuzulassen, sondern auch anzuhören und sogar zu reflektieren". Dabei müsse man es auch ertragen, "die Meinung des Andersdenkenden im Raum stehenzulassen und womöglich sogar den Applaus des Studiopublikums anzuhören, obwohl man doch weiß, dass etwas anderes richtig ist."

Sichtermann ist Autorin zahlreicher Bücher und erhielt mehrere Auszeichnungen, unter anderen den Theodor-Wolff-Preis für ihr Lebenswerk sowie den Luise-Büchner-Preis für Publizistik. Bis 2015 war sie Jurorin des Grimme-Preises.

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