Blick in den Bundestag
epd-bild/Christian Ditsch
Der frühere Bundestagspräsident Lammert schlägt Debatten vom Sitzplatz im Parlament vor, um die politische Auseinandersetzung zu beleben.
24.05.2018

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat eine mangelnde Debattenkultur im Bundestag beklagt. Es werde zu viel geredet und doziert, sagte er am Mittwochabend bei einer Veranstaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin. Streitgegenstände würden nicht hinreichend deutlich.

Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg pflichtete Lammert bei. Harmonie sei kein Wert an sich. Der zivilisierte Streit als Normalfall der Demokratie sei lange nicht gefragt gewesen. "Das fällt uns heute ein Stück weit auf die Füße", sagte Teuteberg, die seit dieser Wahlperiode dem deutschen Parlament angehört.

"Versuchsanordnung" im Bundestag

Lammert, heute Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, wartete bei der Diskussion mit einem ungewöhnlichen Vorschlag auf: Er riet zum Verzicht auf das Rednerpult im Bundestag und plädierte dafür, dass die Abgeordneten vom Sitzplatz aus diskutieren. An der Debattenkultur sei auch die "räumliche Versuchsanordnung" im deutschen Parlament Schuld, sagte der CDU-Politiker.

Wer im Plenum mit rund 700 Abgeordneten einmal den Weg ans Rednerpult geschafft habe, "fühlt sich geradezu aufgefordert, eine Rede zu halten", sagte Lammert. Der Debattenkultur würde es gut tun, wenn vom Platz aus debattiert würde. Parlamente, bei denen das geschehe, hätten in punkto Debattenkultur "einen Wettbewerbsvorteil".

EKD-Schrift "Konsens und Konflikt"

Lammert diskutierte mit Teuteberg am Mittwochabend in Berlin über das Thema der EKD-Schrift "Konsens und Konflikt". Das im August 2017 erschienene Papier war eine Reaktion der evangelischen Kirche auf die wachsende Zustimmung zu rechtspopulistischen Haltungen in Deutschland. Das Papier der Kammer für öffentliche Verantwortung beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen zur Demokratie und kommt zu dem Schluss, dass die Gesellschaft vielfältiger und das Finden von Konsensen daher schwieriger geworden ist. Gefordert wird darin auch eine andere Streitkultur, die anerkennt, dass Meinungsverschiedenheiten in der Demokratie der Normalfall sind.

Teuteberg plädierte vor diesem Hintergrund auch für einen differenzierten Umgang mit der AfD. Man dürfe sich von der Partei nicht die Agenda vorschreiben lassen, sagte die Bundestagsabgeordnet aus Brandenburg. Sie warnte aber auch vor einem kompletten Ausschluss. Es gebe die Tendenz, dass auf Themen der AfD, auch wenn sie diskussionswürdig seien, nicht reagiert werde, weil sie von der AfD kämen. "Davor warne ich", sagte sie.

Die in der aktuellen Debatte um einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Flüchtlingspolitik wieder aufflammenden Vorwürfe, das Parlament habe sich mit der großen Fluchtbewegung nicht befasst, wies Lammert zurück. Es seien damals im Parlament Dutzende gesetzliche Regelungen geändert worden, sagte er. Das Problem der vergangenen Wahlperiode sei gewesen, dass es eine weitgehend homogene Diskussionslage gegeben habe.

Lammert: In Flüchtlingspolitik waren sich große Parteien einig

Die großen Parteien in der Koalition (CDU, CSU, SPD) seien damals einig gewesen. Die Opposition aus Grünen und Linken habe die Flüchtlingspolitik nicht als zu großzügig, sondern eher zu restriktiv empfunden, erklärte Lammert. Dabei sei die Haltung, diese sei zu großzügig gewesen, nicht nur nicht bedient, "sondern geradezu konterkariert" worden, sagte Lammert. Es hätten "Andockmöglichkeiten" für Bürger gefehlt, die in der Flüchtlingspolitik anderen Meinung gewesen seien.

Die FDP hat als Konsequenz aus der Affäre um mutmaßlich massenhaft fehlerhaft ergangene Asylbescheide einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Flüchtlingspolitik gefordert. Zudem hat die AfD eine Klage zur Flüchtlingspolitik von 2015 vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, unter anderem weil sie bei der Entscheidung zur Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn Beteiligungsrechte des Bundestags verletzt sieht.

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