Nach dem Mord an der Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll in Frankreich haben sich die Europäische Union und das American Jewish Committee (AJC) für ein stärkeres Vorgehen gegen Antisemitismus ausgesprochen.
27.03.2018

"Die französische Justiz reagiert mit Entschlossenheit. Folgen wir alle dem Beispiel und vertreiben den Antisemitismus aus Europa", schrieb Vizekommissionschef Frans Timmermans am Dienstag auf Twitter. Die Europa-Direktorin des ACJ, Simone Rodan-Benzaquen, forderte von der EU neue Schritte gegen antisemitische Hetze im Internet.

Online dächten viele Menschen, "dass sie sagen können, was sie wollen, ohne irgendwelche großen Konsequenzen", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Situation in der virtuellen Realität stehe damit den sehr strikten Gesetzen gegen Antisemitismus in der Wirklichkeit gegenüber.

AJC-Direktorin für stärkeres Engagement

Die AJC-Europa-Direktorin begrüßte die Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und anderen Politikern nach dem Mord. In der Politik seien "Worte fast wie Taten", dennoch müssten mehr Taten folgen, forderte sie. Jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Schulen müssten geschützt werden, zugleich sei klar, dass "nicht jeder einzelne Jude" beschützt werden könne. Auch die Zivilgesellschaft müsse sich stärker engagieren. Bislang gebe es "sehr wenig Solidarität", wenn jüdische Mitbürger attackiert würden, sagte Rodan-Benzaquen mit Blick auf Frankreich und Europa. Deutschland bilde dabei "ein bisschen" eine positive Ausnahme. Generell müsse sich die Politik darüber klar sein, dass der Antisemitismus in Europa "ein riesengroßes Problem" sei.

Der Frankreich-Experte Nino Galetti erklärte in einem epd-Gespräch, dass der Antisemitismus in Frankreich in den vergangenen Jahren zugenommen habe. "Vor zehn, fünfzehn Jahren kamen Übergriffe überwiegend aus der rechtsextremen, teilweise auch der linksextremen Szene", sagte der Leiter des Pariser Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Neu hinzugekommen ist inzwischen eine Szene von überwiegend muslimischen jungen Männern, die antisemitisch auftreten."

"Frankreich ist das drittgrößte Land mit jüdischer Bevölkerung nach Israel und den USA", sagte Galetti. Dort lebten rund eine halbe Million Juden. "Die jüdische Community ist sehr stark, sie ist auch stark assimiliert", erklärte er. "Es gibt aber zunehmend Franzosen, die die Kippa nicht mehr tragen, sondern stattdessen eine Basecap." Da stelle sich die Frage, ob der französische Staat das tolerieren wolle oder ob er jeden Juden, der eine Kippa tragen wolle, dies auch ohne Angst ermöglichen könne.

Antisemitismus im Internet

Die französische Regierung habe erst in der vergangenen Woche, noch vor dem Mordfall, einen nationalen Plan gegen Rassismus und Antisemitismus vorgestellt. "Ein Schwerpunkt ist, dass man vor allem gegen antisemitische und rassistische Hassreden im Internet vorgehen möchte", sagte der Büroleiter der Adenauer-Stiftung. Ein weiterer Schwerpunkt sei die Prävention. Lehrer sollten besser ausgebildet und Themen wie Antisemitismus und Rassismus fester Bestandteil der Lehrpläne werden.

Die 85-jährige Holocaust-Überlebende Knoll war am Freitag in ihrer Pariser Wohnung ermordet aufgefunden worden. Die Staatsanwaltschaft geht laut französischen Medien von Mord mit antisemitischem Motiv aus, zwei Verdächtige sind in Untersuchungshaft. Knoll war nach Angaben ihrer Familie nur knapp der Razzia vom 16. und 17. Juli 1942 entkommen. Bei der "Razzia des Wintervelodroms" wurden etwa 13.000 Juden im Velodrom von Paris festgesetzt. Von dort wurden sie dann in Vernichtungslager deportiert. Knoll hatte kurz zuvor noch aus Paris fliehen können.

Für diesen Mittwochabend hat der französische Zentralrat der Juden, der Conseil représentatif des institutions juives en France (Crif), eine Versammlung angekündigt. Auf dem Pariser Place de la Nation sollten sich so viele Franzosen wie möglich treffen, um Mireille Knoll zu gedenken und ihre Familie zu unterstützen.

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