Die psychischen Folgen ehelicher Gewalt auf Kinder werden nach Auffassung des Psychiaters Khalid Murafi unterschätzt. "Familiengerichte verharmlosen die Auswirkungen von Partnergewalt auf Kinder", sagte Murafi dem Evangelischen Pressedienst (epd).
24.11.2017

Bei Richtern herrsche die naive Vorstellung, dass der Vater "nur" die Mutter misshandle und dem Kind selbst nichts passiere, rügte der Experte aus Anlass des Internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen am Samstag. Während sich die Justiz bei Kindern in Suchtfamilien schnell für eine Inobhutnahme oder einen Sorgerechtsentzug entscheide, falle ihr dies bei Kindern, die Gewalt in der Familie miterleben, schwer.

Dem Kinder- und Jugendpsychiater zufolge bekommen Kinder 80 Prozent der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mit. Diese müssten die Tat nicht zwingend beobachten oder hören, sondern könnten diese auch miterleben, indem sie beispielsweise die Verletzungen der Mutter sehen oder die aggressive Erregung des Vaters spüren.

Gewalterfahrungen traumatisieren Kinder

Gewalt zwischen Partnern traumatisiere Kinder, erklärte Murafi. Wenn die Kinder zum Beispiel in der Schule jemanden schreien hörten, durchlebten sie den Moment der Tat in einem Flashback erneut. "Die Folgen für die Kinder sind dramatisch", betonte Murafi, der auch Chefarzt einer Jugendpsychiatrie ist. Denn ein Kind nehme die Tat anders wahr als ein Erwachsener. Kinder unter zehn Jahren könnten noch nicht differenzieren, ob die Gewalt für das Elternteil lebensbedrohlich ist. "Die Kinder denken ständig, dass ihre Mutter stirbt."

Häufig entwickelten Kinder eine hohe Sensitivität für emotionale Situationen, sagte der Experte. Das Kind beobachte beispielsweise genau, wie sich der Vater verhalte. Um Konflikte zu schlichten, versuche es, die Eltern zu bespaßen und für gute Stimmung zu sorgen. "Kinder fühlen sich für die gesamte soziale Situation verantwortlich", erklärte Murafi. Vor allem Kleinkinder glaubten, dass sie schuld seien an den Auseinandersetzungen der Eltern.

Wie das Kind sich verhalte, variiere sehr stark, fügte der Facharzt hinzu. Manche reagierten gegenüber anderen Kindern selbst gewalttätig, andere verstummten oder würden sehr misstrauisch. "Teilweise fallen die Kinder nach außen gar nicht auf." Diese hätten gute schulische Leistungen und kümmerten sich um ihre Geschwister. Mit etwa 13 Jahren agierten sie wie "kleine Erwachsene", indem sie die Rolle der Mutter einnehmen.

Wer als Kind häusliche Gewalt erlebt hat, habe als Erwachsener ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Suchterkrankungen, sagte Murafi. "Die Kinder müssen schnell geschützt und gestützt werden", betonte der Psychiater.

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