Dem Apotheker wird Körperverletzung vorgeworfen (epd-Bild: Ralf Gerard/JOKER)
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Rund fünf Jahre lang soll ein Bottroper Apotheker zahllosen Patienten minderwertige oder unwirksame Krebsmedikamente verkauft haben.
19.07.2017

In fast 62.000 Fällen sollen die von ihm hergestellten Präparate deutlich weniger Wirkstoffe enthalten haben als verordnet, wie die Staatsanwaltschaft Essen am Mittwoch mitteilte. Sie hat Anklage beim Landgericht Essen erhoben und wirft dem Mann Verstöße gegen Arzneimittelgesetz und Hygienevorschriften, versuchte Körperverletzung sowie Abrechnungsbetrug vor. Patientenschützer forderten schärfere Kontrollen der Schwerpunktapotheken, die individuelle Krebsmedikamente herstellen.

Vom 1. Januar 2012 bis zu seiner Festnahme am 29. November 2016 soll der Apotheker 35 verschiedene Medikamente für die Chemotherapie oder andere Krebstherapien systematisch mit erheblich weniger Wirkstoffen zubereitet haben, als in den Rezepten verschrieben war. Der Angeschuldigte sitzt den Angaben zufolge in Untersuchungshaft. Das Landgericht Essen muss nun über die Zulassung der 820 Seiten starken Anklageschrift entscheiden.

Vorwurf der versuchten Körperverletzung

Die Ermittler hätten beim Vergleich der eingekauften Wirkstoffmengen mit den angeblich abgegebenen Mengen deutliche Abweichungen festgestellt, hieß es. Außerdem seien am Festnahmetag 27 von dem Angeschuldigten eigenhändig hergestellte Präparate sichergestellt worden, die zuwenig Wirkstoffe enthielten. In diesen 27 Fällen sieht die Staatsanwaltschaft zudem eine versuchte Körperverletzung.

Mit den gesetzlichen Krankenkassen habe der Apotheker außerdem die Rezepte zu unrecht als ordnungsgemäß erbrachte Leistungen abgerechnet. Die Staatsanwaltschaft geht von gewerbsmäßigem Betrug bei mehr als 50.000 Rezepten aus. Der errechnete Schadensbetrag für die gesetzlichen Krankenkassen belaufe sich auf rund 56 Millionen Euro.

Stiftung fordert stärkere Kontrollen

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft haben auch viele betroffene Patienten und Hinterbliebene Strafanzeigen wegen Körperverletzung und Tötungsdelikten erstattet.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte schärfere Kontrollen der rund 200 Onkologie-Schwerpunktapotheken bundesweit. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) müsse für engmaschigere Überprüfungen sorgen, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Dortmund. "Stichprobenkontrollen müssen viermal jährlich unangekündigt stattfinden. Bisher wird nur alle zwei bis vier Jahre nach vorheriger Ankündigung kontrolliert."

Brysch regte zudem an, von den Patienten nicht mehr verwendete Medikamente zentral zu sammeln, damit sie nicht erneut weitergegeben werden. Diese Rückläufer könnten dann von einem unabhängigen Labor auf Qualität und Zusammensetzung untersucht werden.

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