Obdachlosencamp am Spreebogen in Berlin
epd-bild/Rolf Zoellner
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt. Dennoch wächst auch hierzulande die soziale Spaltung. Beim zweitägigen Armutskongress in Berlin wurde ein Kurswechsel angemahnt.
27.06.2017

Sozialverbände und Gewerkschaften fordern einen Kurswechsel in der Sozialpolitik. Auf dem zweiten Armutskongress in Berlin warnten sie am Dienstag vor einer wachsenden sozialen Spaltung in Deutschland. Nötig seien eine gerechtere Steuerpolitik, gute Arbeit sowie existenzsichernde Sozialleistungen, erklärten der Paritätische Gesamtverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Nationale Armutskonferenz als Organisatoren des Armutskongresses. Unterstützt werden die Forderungen den Angaben zufolge von 13 weiteren Sozial-, Wohlfahrts- und Fachverbänden sowie von gewerkschaftlichen Organisationen.

Obwohl Deutschland zu einem der reichsten Länder der Welt gehöre und die Wirtschaft wachse, nehme die soziale Ungleichheit zu. "In den unteren Sozialschichten kommt von Wachstum und Reichtum nichts an", kritisierte der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Rolf Rosenbrock. Er forderte ein "konsequentes Umsteuern in der Steuerpolitik". Die derzeit von den Parteien diskutieren Vorschläge zu neuen Steuerkonzepten nannte Rosenbrock "viel zu ambitionslos".

Höhere Erbschaftssteuer nötig

Um eine weitere soziale Spaltung zu verhindern, seien eine höhere Einkommenssteuer für Besserverdienende, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie eine höhere Erbschaftssteuer nötig, sagte der Vorsitzende des Paritätischen: "Während in den letzten Jahren hohe Einkommen, Unternehmensgewinne und große Vermögen steuerlich weitgehend geschützt wurden, wurden Ausgaben für soziale und öffentliche Leistungen zurückgefahren", kritisierte er.

Die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz und Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Barbara Eschen, sprach sich für eine Kindergrundsicherung aus. Diese sollten etwa Hartz-IV-Empfänger bedingungslos und ohne Abzüge erhalten. Mit der Kindergrundsicherung müsse die soziale Teilhabe von Kindern, also die Teilhabe an Freizeit, Kultur, Medien und Bildung gewährleistet werden.

Weiter kritisierte Eschen einen "autoritären Stil" und ein "absolutes Machtgefälle" in den Jobcentern. So würden Wiedereingliederungshilfen verordnet und wer sich nicht daran halte, werde sanktioniert. Häufig werde nicht anerkannt, dass arme Menschen alles Mögliche täten, um ihre Situation zu ändern. Zur Armutsbekämpfung sei zudem ein anderes Verständnis von Armut nötig. Arme würden oft als abschreckendes Beispiel dargestellt. "Sie gelten als die, die es nicht geschafft haben, nicht wollen." Stattdessen sollte die Selbstorganisation der Betroffenen gestärkt werden, betonte Eschen.

500 Experten geladen

Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand forderte ein Ende der prekären Arbeit. "Gerade Beschäftigungsverhältnisse, die immer wieder als Einstieg oder Übergang in gute Arbeit gepriesen werden, sind oft Sackgassen und dauerhafte Fallen für bezahlte Arbeit zu schlechten Bedingungen", sagte die Gewerkschaftlerin. Zudem forderte sie, dass sogenannte Minijobs mit einem Verdienst von 450 Euro im Monat in regulär sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden müssen.

Der zweite Armutskongress findet noch bis Mittwoch unter dem Motto "Umsteuern: Armut stoppen, Zukunft schaffen" in der Bundeshauptstadt statt. Daran nehmen den Angaben zufolge über 500 Experten aus Politik, Wissenschaft, Praxis sowie Journalisten und von Armut betroffene Menschen teil. Den ersten Armutskongress mit dem Titel, "Zeit zum handeln" gab es 2016.

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