Das Dorf Mödlareuth liegt zu einem Teil im Bundesland Bayern und zum anderen Teil im Bundesland Thüringen. 41 Jahre lang verlief die innerdeutsche Grenze mitten durch das Dorf.
epd-bild/Annette Zoepf
Wie viele Menschen durch das DDR-Grenzregime letztendlich ums Leben kamen, wird noch lange unklar bleiben. Zu den Toten an der innerdeutschen Grenze liegt jetzt eine Studie vor, die nach Auffassung ihrer Autoren abschließend Bilanz zieht.
07.06.2017

An der fast 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze sind einer neuen Studie zufolge insgesamt 327 Männer, Frauen und Kinder aus Ost und West durch das DDR-Grenzregime getötet worden. Unter ihnen waren zwischen 1949 und 1989 auch 44 Suizide von Grenzpolizisten und Grenzsoldaten, die im Zusammenhang mit Vorfällen an der Grenze standen. Viele der jungen Grenzsoldaten hätten den Dienst an der Grenze nicht aus freiem Willen verrichtet, manche seien daran zerbrochen, erklärten die Herausgeber des Forschungsbandes, Klaus Schroeder und Jochen Staadt, vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität am Mittwoch in Berlin.

Etwa die Hälfte der meist zivilen Grenztoten war zwischen 18 und 25 Jahren alt. Rund 30 Prozent gehörten zur Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren. Auch 19 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren fielen dem DDR-Grenzregime zum Opfer. Schroeder geht davon aus, dass mit der umfassenden Studie die Aufarbeitung der Todesfälle an der innerdeutschen Grenze abgeschlossen ist. An der DDR-Grenze wurden Menschen erschossen, sie ertranken in Grenzgewässern oder wurden durch Minen und Selbstschussanlagen getötet.

Zwischen 30 und 200 Tote

Hinzu kommen nach bisheriger Forschungslage 139 Tote an der Berliner Mauer. Unklar sei allerdings, wie viele Menschen bei der Flucht über die Ostsee ums Leben kamen. Schroeder geht von knapp 200 Toten aus, die nicht in der aktuellen Studie berücksichtigt wurden. Die Anzahl von Grenzopfern, die vergeblich über andere Ostblockstaaten zu fliehen versuchten, liegt Schätzungen zufolge zwischen 30 und 200 Toten.

Das Forschungsprojekt wurde von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mit 449.000 Euro gefördert. An den Gesamtkosten von 642.000 Euro beteiligten sich auch die Länder Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen. Andere Bundesländer hätten eine Kostenbeteiligung abgelehnt, sagte Schroeder.

Grütters betonte, die Erinnerung an die Schrecken des Grenzregimes an der ehemaligen innerdeutschen Grenze aufrecht zu erhalten, sei zentrales Anliegen bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die neuen Forschungsergebnisse leisteten einen wichtigen humanitären Beitrag, indem Sie den Todesopfern an der innerdeutschen Grenze Namen und Gesicht wiedergäben.

Das jüngste bei der Recherche ermittelte Todesopfer war ein im Juli 1977 im Kofferraum eines Fluchtfahrzeugs erstickter sechs Monate alter Säugling. Das älteste Todesopfer an der innerdeutschen Grenze war ein 81-jähriger Bauer aus dem niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg, der im Juni 1967 irrtümlich in ein Minenfeld geriet. Landminen rissen ihm beide Beine ab. Sein Todeskampf dauerte mehr als drei Stunden. Er verblutete unter den Augen eines DDR-Regimentsarztes, der sich nicht in den verminten Grenzstreifen wagte.

Informationen zum Leben des Opfer

Die Wissenschaftler hatten insgesamt 1.492 Verdachtsfälle überprüft, zu denen es Hinweise auf Todesumstände im Kontext der DDR-Grenzsicherung gab. Das Handbuch enthält Angaben zum Leben und zu den Todesumständen der Menschen, die dem DDR-Grenzregime zwischen Lübecker Bucht und der damaligen Tschechoslowakei zum Opfer fielen.

Der sozialen Zusammensetzung nach handelte es sich bei den Opfern überwiegend um junge Arbeiter, Bauern und Handwerker. Unter den an der innerdeutschen Grenze ums Leben gekommenen Zivilisten lag der Frauenanteil bei etwas mehr als zehn Prozent. Bei ihren Recherchen stießen die Forscher auch auf insgesamt 203 Selbsttötungen bei den DDR-Grenztruppen. Über 44 davon wird im Buch genauer berichtet.

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