Kirchgang - Erlöserkirche München-Schwabing
Kirchgang - Erlöserkirche München-Schwabing
Claudia Keller
Vom hohen Ross gestürzt
Tim Wegner
04.05.2018

Erlöserkirche München-Schwabing, Sonntag, 10 Uhr: Querflöte und Orgel begrüßen die Besucher. Sofort hat man das wohlige Gefühl: Hier hat jemand ­auf einen gewartet. Es bleibt noch ein bisschen Zeit, um die wuchtige Basilika von 1901 auf sich wirken zu lassen: die schönen Jugendstil-Ornamente auf den Kapitellen; das Apsisgemälde, das Jesus nicht am Kreuz zeigt, sondern als Er­löser, der über der Menschheit thront. Die Altarinsel ist breit und wird von drei Seiten von Bankreihen umstanden, so dass die Besucher dicht am Geschehen sein können.

Das Besondere für die Besucherin aus dem Norden aber ist, dass Pfarrer Sebastian Kühnen viele Teile der Liturgie singt: Psalm 34 zu Beginn, das Kyrie sowieso, auch bei der Gabenbereitung das große Lobgebet, das Sanctus und das Agnus Dei. "Das ist typisch ­bayerisch, wir Evangelischen haben uns hier einen Sinn für Gregorianik erhalten", sagt Kühnen später. Er hat eine sonore Stimme, Rhythmusgefühl und ein Bewusstsein dafür, dass zu Bewegung auch Ruhe gehört, um dem Gesagten und Gesungenen nachspüren zu können. So gelingt es ihm, eine konzentrierte, ruhige und feierliche ­Atmosphäre zu schaffen. Pfarrer Kühnen ist ausgebildeter Tanztherapeut, das merkt man. 

Paulus und sein Fall vom hohen Ross

Die Predigt hält er über Verse aus Paulus’ Brief an die Philipper. Der ­Apos­tel schreibt aus dem Gefängnis: Einige "predigen Christus aus Liebe und in guter Absicht", andere aber "aus Neid und Streitsucht, aus Eigennutz und nicht lauter". Neid, Streitsucht, Eigennutz – Paulus benenne hier klar die ­Eigenschaften, die ein friedliches Zusammenleben gefährden, sagt Pfarrer Kühnen. Paulus habe sich ja früher 
auch gut gefühlt, wenn er Christen er­niedrigen konnte. Bis er selbst von ­seinem hohen Ross der Eitelkeit gestürzt und ausgerechnet auf jene angewiesen gewesen sei, auf die er zuvor herabgeschaut hatte.

"Oft führen die im Laufe eines ­Lebens erlittenen Verletzungen dazu, dass Menschen andere abwerten, diskriminieren und manchmal auch zerstören", sagt Kühnen. Paulus habe gelernt, dass der Verzicht auf Gewalt und Abwertung keine Schwäche ist, sondern Stärke. Im Vertrauen auf Christus und die Auferstehung blieb er auch im Kerker standfest und bewahrte sich die Fähigkeit, auf andere zuzugehen. "Davon können wir uns heute eine Scheibe abschneiden", sagt Pfarrer Kühnen. "Für alle, die von Neid und Gier zerfressen sind", betet die Gemeinde später, "lass Solidarität wachsen".

Kontakt

Erlöserkirche Schwabing an der Münchner Freiheit, Germaniastr. 4, 80802 München

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