Arnd Brummer gibt sich in seiner Kolumne der Dichtkunst hin.
Lena Uphoff
15.11.2010

Mein Großvater konnte in Reimen sprechen, ich konnte es leider bisher nicht. Doch nun werd ich alle Grenzen durchbrechen, hoch lebe das hausgemachte Gedicht!

Wenn ich mit unserem achteinhalbjährigen Sohn (auf das halbe Jahr legt er seit neuestem Wert) durch die Gegend fahre und wir dabei der Radiomusik überdrüssig sind, müssen wir uns anderweitig die Zeit bis zur Ankunft vertreiben. Gerne spielen wir Personenraten. "Meine Person ist blond, weiblich, etwa so alt wie Mama und schlank, wer könnte das sein?"

"Meine Person ist blond, weiblich, etwa so alt wie Mama und schlank, wer könnte das sein?"

Meistens kriege ich am Ende doch raus, wen Merlin meint, obwohl der Kreis der Kandidatinnen und Kandidaten meinen Horizont überschreitet. Neben Tanten, Schulkameraden und Lehrerinnen zählen neuerdings auch Fußballstars und Popkünstler zu den Auserwählten. Es wird also immer schwerer. Andererseits wird es Merlin leicht langweilig, wenn ich als Revanchefoul historische Persönlichkeiten wie Heinrich VIII. oder Stalin präsentiere. Die Erfahrung lehrt, dass aus besagten Gründen Personenraten höchstens eine halbe Stunde Fahrt überbrücken kann. Andere Spiele müssen deshalb her.

Neuerdings sind wir aufs Reimen verfallen. Auf vorbeifahrenden Lastwagen, auf Tafeln und Schildern finden wir unser Material. Da steht zum Beispiel: Dreizimmerwohnung zu verkaufen! Ich habe den ersten Versuch und reime: Dann kann der Makler Schampus saufen! Merlin antwortet: Drum werden sich die Leute raufen. Für jeden gelungenen Reim gibt es einen Punkt. Beim Versmaß sind wir nicht so kleinlich, nur schlimmstes Holpern ist uns peinlich. Wir dichten manchmal viele Stunden und fühlen uns der Kunst verbunden. Und kommt dann unser Ziel in Sicht, ist's auch ein Anlass fürs Gedicht.

Wir steigen aus dem Auto aus, die Oma wartet vor dem Haus. Wir grüßen sie und reimen fort, es ist halt unser liebster Sport. Der Oma wird es rasch zu bunt, sie tut's in harschen Worten kund. Wie Onkel Fritz und Tante Rosa zieht sie der Lyrik vor die Prosa. Doch es ist schwer zurückzuwechseln und keine Reime mehr zu drechseln.

Ein Virus, scheint's, hat uns gepackt, ihm zu entkommen bleibt vertrackt.

Unsere Reimerei weist bereits Züge des Krankhaften auf. Wobei ich gestehen muss, dass mich das Leiden noch heftiger im Griff hat als den Jungen. Ich kann eigentlich kaum mehr etwas lesen, ohne mir darauf einen Reim zu machen. Im Supermarkt empfängt mich die Botschaft "Lecker, lecker ­ Leberwurst", stillt den Hunger, nicht den Durst! Fragt mich die Kassiererin: Wollen Sie 'ne Plastiktasche? Antworte ich: Ich bitte Sie, für eine Flasche!

Das Schlimme an dieser Krankheit ist die Gefahr, dass man das Wesentliche an einem Text nicht mehr wahrnehmen kann. Der nötige Ernst verflüchtigt sich. Der Dichtsüchtige interessiert sich lediglich noch für den Reimwert von Worten und Zeilen. Les ich das Wort "Geschäftsbericht", fällt mir nur ein: Den brauch ich nicht!

Oft reagieren Gesunde auf die von lyrischem Durchfall Gezeichneten zunächst freundlich. Ist ihre Reizschwelle aber erreicht, berichten sie von Angehörigen, die auch gereimt hätten: "Wenn Onkel Ewald so richtig einen im Kahn hatte, dichtete er ohne Ende. Tante Gertrud schämte sich dann ganz fürchterlich."

Nur Trunkenbolde dichten! Der Reimkranke versteht die Botschaft, beeindrucken kann sie ihn nicht. Eher wird er so antworten: Ich rede mich in Versen besoffen/und brauche dazu weder Bier noch Wein,/doch habt ihr ein gutes Fläschchen offen,/ so würd ich gern eingeladen sein. ­ Und dichtet der Onkel tatsächlich im Rausch,/so solltet ihr Leute euch dessen nicht schämen./Sollt er lieber prügeln? Bedenket den Tausch!/Wär dies doch der Anlass, sich wirklich zu grämen.

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