Lena Uphoff
15.11.2010

Thommy hat angerufen. Seine Tochter Nadine heiratet. Und er auch. Natürlich nicht seine Tochter, sondern Sabine, die selbst zwei erwachsene Kinder hat und mit der er seit ein paar Jahren zusammen ist. "Wir planen eine Doppelhochzeit, soll ein Riesending werden. Im Juni, wenn man draußen feiern kann."

Vor sechsundzwanzig Jahren gab ich den Trauzeugen bei Thommys erster Eheschließung, mit Inge. Nadine war ein paar Monate alt. Und es geschah am 28. Dezember, einem Montag, im Standesamt einer schwäbischen Kleinstadt. Ich hatte meinen Personalausweis vergessen und bezeugte, was geschah, mit meinem Führerschein.

Wir waren zu neunt, das Paar, Thommys Eltern, Inges Mutter, Inges Trauzeugin mit Mann, Nadine im Kinderwagen und ich. Trauung um halb zwölf, ein Mittagessen um halb eins, Kaffee, Ende.

Thommy und Inge hatten schließlich nur wegen der Steuer geheiratet

Der Standesbeamte sagte eine kurze Ansprache auf, die er im Kurs für angehende Standesbeamte gelernt hatte. "Die vier Säulen der Ehe" oder so ähnlich. Küsse und linkische Umarmungen, Abmarsch zum "Dalmatica", dem Lieblingsjugo des Paares. Irgendein Grillfleisch mit Pommes gab es. Man aß nicht in einem festlich dekorierten Gelass, sondern mitten im üblichen Rahmen der sehr schlichten Gaststätte, während hinter uns einer seine Münzen in den Rotamint steckte und an der Bar ein paar Handwerker ihr Mittagsbier nahmen.

Thommy und Inge hatten schließlich nur wegen der Steuer geheiratet, ansonsten lehnten sie diesen bürgerlichen Quatsch ab. Und das "Theater mit der Kirche", erklärte Thommy, "haben wir uns gespart, weil Inge katholisch ist und ich eh nicht an den ganzen Unsinn glaube." Thommys Vater drückte stumm und konzentriert die Tube mit Grillsoße über seinem Teller aus. Inges Mutter ließ ein Tränchen kullern. Ich blickte auf die Uhr und murmelte, ich müsse jetzt dann zurück in die Redaktion.

"Das Mega-Event meines Lebens."

"Wir haben uns eine tolle Location ausgeguckt", erzählte Thommy mir bei unserem Telefonat, "eine Wallfahrtskirche mit Gasthaus daneben. Sabines Bruder kommt mit seinem Streichquartett. Ihre Schwester ist mit einem Pastor verheiratet. Der traut uns. Und Nadines Freund spielt in einer Band. Die machen am Abend Musik. Es wird was ganz Besonderes. Das Mega-Event meines Lebens." Bekanntlich bin ich allergisch gegen "Mega" und "Event", aber ich wollte jetzt keine Denglisch-Debatte mit Thommy vom Zaun brechen. Ich fragte nur, ob Inge auch komme.

"Na ja, sie hat ein wenig rumgezickt. Aber Alfred, ihr gegenwärtiger Lebensgefährte, hat sie rumgekriegt. Sei ja schließlich auch die Hochzeit ihres einzigen Kindes." Und Nadine, wollte die auch die Doppelhochzeit? "Ich habe sie überzeugt. Ich zahle schließlich den ganzen Spaß. Das wird was ganz Besonderes. Und du bist natürlich mit deiner Familie auch eingeladen."

Vor sechsundzwanzig Jahren hatte Thommys Vater ebenfalls "den ganzen Spaß" bezahlen oder, wie er es sagte, "die Hochzeit ausrichten" wollen. Thommy hatte abgelehnt. Es kam zu einem unglaublichen Krach. Und erst an Weihnachten gelang es Thommys Mutter damals, den Alten zur Teilnahme an der "Farce" zu überreden.

Ich liebe große Feste und schöne Hochzeiten sowieso. Aber ich weiß noch nicht, ob ich an dem Mega-Event in der barocken Wallfahrtskirche teilnehmen werde. Ich würde gerne wissen, was Thommys Vater von der Sache hält. Aber der lebt nicht mehr.

Wie ich mich kenne, werde ich wahrscheinlich doch hingehen. "Nadines, Inges und Sabines wegen", werde ich zu meiner Frau sagen, "denn die können ja nichts dafür." In schweren Stunden muss man solidarisch sein.

Thommys Umarmung, die er neuerdings jedem Freund zuteil werden lässt, werde ich über mich ergehen lassen. Und selbstverständlich werde ich allen gratulieren.

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