Arnd Brummer über Gier
Lena Uphoff
15.11.2010

Was hat sich eigentlich geändert seit dem Advent vor einem Jahr? Und was haben wir im Dezember 2007 vom Jahr 2008 erwartet? Sicher nicht, dass auch außerhalb von Kirchenmauern mit einem Mal "die Gier" der Feind Nummer eins ist. Pflaume Neunmalklug, mit dem ich um Ostern herum zum Abendessen eingeladen war, fand es "köstlich", dass wir anderen am Tisch nicht wussten, was Investmentzertifikate sind und wie schnell man mit ihnen Kasse machen kann. So, wie er das Wort "köstlich" aussprach, klang es bestenfalls wie "liebenswert gestrig", wahrscheinlich hielt er uns aber für schlicht bescheuert.

Dass wir an unserem Tischende über Fußball, Rinderrouladen und einen neuen Roman redeten, passte ins Bild. Spießige Langweiler! Neunmalklugs Miene ließ keinen Zweifel daran zu, was er von uns hielt. Ich versuchte dennoch, ihn ins Gespräch einzubeziehen. Bücher lesen? "Leider keine Zeit! " Kochen? "Ich habe einen Gefrierschrank voller Fertiggerichte und einen megatollen Mikrowellenherd." Fernsehfußball? "Ich jogge jeden Morgen eine halbe Stunde. Für mich heißt Sport: aktiv sein." Er schaute mir dabei ziemlich indiskret auf den gewölbten Bauch.

Letzte Woche traf ich Pflaume auf dem Frankfurter Hauptbahnhof wieder. Er begrüßte mich herzlich. Wie sich herausstellte, reisten wir beide gen Norden. Ob ich was dagegen hätte, wenn er mir Gesellschaft leiste? Natürlich nicht! Ich bin schließlich kein unhöflicher Kerl. Nach wenigen Sätzen über das Wetter zog ich meine Zeitung hoch. "'tschuldigung", murmelte ich, "bin Journalist. Muss auf dem Laufenden bleiben." - "Kein Problem. Muss auch noch was lesen."

Zwischen Gelnhausen und Fulda legte ich die Lektüre aus der Hand und schaute aus dem Fenster. Pflaume tat es mir postwendend nach. Er atmete durch, dann begann er leise: "Darf ich mal was fragen? Bei dem Abendessen damals habt ihr mich wohl für ziemlich durchgeknallt gehalten? Oder vielleicht ein wenig arrogant?" - "Weiß ich nicht mehr genau", wollte ich mich davonschwindeln, denn eigentlich machte er doch einen ganz sympathischen Eindruck, so offenherzig, wie er mich gerade angesprochen hatte. Drum beschloss ich, nicht ganz so unehrlich zu sein und antwortete mit der Gegenfrage: "Ich hatte eher den Eindruck, du hieltest uns für bescheuert und von gestern, weil wir nicht wussten, was Investmentzertifikate sind, oder nicht?"

Pflaume passte als Alias gar nicht mehr

"Stimmt", antwortete Pflaume, zu dem jetzt das lächerliche Alias gar nicht mehr passte, mit dem wir ihn ohne sein Wissen etikettiert hatten. "Stimmt", wiederholte Sven - so hieß er wirklich -, "ich lese zwar auch manchmal das Feuilleton in der Tageszeitung, aber euer Kulturgequatsche hat mich genervt. Ich habe schon Jahre keinen Roman mehr gelesen. Und Leute, die sich eine Viertelstunde darüber unterhalten können, ob an eine Roulade Senf muss, die ticken doch nicht richtig - dachte ich an dem Abend. Falsch. Gedacht habe ich nicht. Ich war, ich fühlte mich ziemlich klein. Und da habe ich dagegengehalten. Ich wollte euch zeigen: Ich hab viel mehr drauf, als ihr überhaupt wisst! " Recht hatte er! So gesehen.

Und dann eröffnete mir Sven, dass er an einem Roman arbeite.

Eine halbe Million Euro steckt da doch mindestens drin!

Über die Gier. Das sei jetzt dran. Er besitze eine Menge Insiderwissen aus den Frankfurter Banktürmen. Er kenne die Szene, die Gespräche in den Bistros und Pubs, "die jahrelang nur um die tollsten Tricks und genialsten Strategien kreisten, wie man aus Scheiße möglichst viel Kohle macht". Er würde in diesem Buch auspacken, meinte Sven. Was ich denn davon hielte? "Kommt drauf an, wie es geschrieben ist."

"Und in welchem Verlag es erscheint. Wenn das in einem großen Haus erscheint, dann müsste doch damit richtig abzusahnen sein. Ein oder zwei Auftritte in einer Talkshow, 300 000 verkaufte Bücher, Filmrechte. Eine halbe Million Euro steckt da doch mindestens drin! Was meinst du?" "Tja, Sven", sagte ich und dachte "Pflaume", "willst du über die Gier schreiben oder willst du an ihr verdienen?" - "Beides", sagte Pflaume, "beides! "

Arnd Brummers Kolumnenbände "Der Fluch des Taxifahrers" (auch als Hörbuch) und "Alles sauber, alles neu" sind bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).

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