Aber was soll man tun, wenn man vor Wut platzen könnte?
15.11.2010

 

Anfangs scheint der Mann nur in einer misslichen Lage zu stecken, dann aber verfolgt man fassungslos, wie sich seine Wut ins Unermessliche steigert. In dem Film "Falling down" spielt Michael Douglas einen Durchschnittsbürger, der an einem heißen Tag im Stau steht. Lärmende Kinder in einem Bus neben ihm, ein Mann, der ins Handy schreit, eine Fliege, die ihm um den Kopf schwirrt, all das macht Bill immer wütender. Nach einer Panikattacke steigt er aus, um zu Fuß weiterzugehen. Sein Unternehmen hat ihn gerade entlassen, er ist geschieden. Seine Tochter hat an diesem Tag Geburtstag, aber er darf sie nicht sehen. Bills Wut wächst, als er auf dem Heimweg mit gestiegenen Preisen, mangelnder Hilfsbereitschaft und Gewalt konfrontiert wird.

Auf seinem Nummernschild steht "D-Fens"

Hat Bill sich zunächst nur mit einer Zeitung gegen die Fliege gewehrt, vermehrt sich mit steigender Wut sein Waffenarsenal. Baseballschläger, Messer, automatische Waffen kommen dazu. Auf seinem Nummernschild steht "D-Fens", das abgekürzte englische Wort für Verteidigung. Schützt Wut vor den Angriffen anderer?

Wut ist ein Gefühl, das von Gereiztheit über dumpfen Groll bis hin zum veritablen Wutausbruch reicht ­ einer Art Explosion, die einen so richtig aus den Gleisen hebt. Aber Wut, das maßlose Feuerwerk der Seele, gilt als uncool. Man muss ­ wie die Italiener sagen ­ "bella figura", eine gute Figur, machen und darf sich nicht gehen lassen. Nur Sophia Loren durfte in ihren Filmen hinreißend ausrasten, geschminkt und ohne die Begleiterscheinungen, die Wütende für ihre verständnislose Umwelt so unerträglich machen und sie gewaltig erschrecken ­ finstere Augen, krebsrotes Gesicht, zusammengebissene Zähne, Kurzatmigkeit, drohende Stimme, geballte Fäuste. Schrei nicht so, sagt man ratlos oder unangenehm berührt, man könnte dich hören. Gott, ist das peinlich! Bloß nicht zeigen, dass es einem den Boden unter den Füßen wegzieht!

Wer wütend ist, versteckt seine Gefühle lieber, als sie zu zeigen. Nur: Lange unterdrückte Wut bahnt sich irgendwann ihren Weg nach außen und dann geht es, nein, eben nicht "zur Sache": zertrümmertes Geschirr, Worte, die nicht zurückgenommen werden können, körperliche Attacken. All das schadet einem selber, weil man, schließlich erschöpft von der eigenen Wut, mit dem Scherbenhaufen zurechtkommen muss, den man angerichtet hat.

Aber Vorsicht! Auch umgekehrt gilt: Beherrscht man sich ständig, weil man Wut und Zorn innerlich als unannehmbar zurückweist, lässt man sich ständig von anderen als Fußabstreifer benutzen und reagiert nur mit einer unbehaglichen Mischung aus Angst, Scham und Schuld, obwohl man eigentlich vor Wut kochen müsste, dann wird man krank. Mangelnde Fürsorge für sich selbst, die Sünde gegen das eigene Menschsein, macht sich unter Umständen sogar körperlich bemerkbar: etwa mit Hautausschlag, Rücken- oder Magenschmerzen... Die Seele, jahrelang missachtet und schikaniert, antwortet mit Melancholie oder gar Depression. Es ist lebensnotwendig, die eigene Wut wahrzunehmen, bevor man daran kaputtgeht oder andere zerstört.

Jesus selber war ab und zu wütend ­ vor allem über eine uneinsichtige, widerständige Umwelt. Seine Wut, sein Zorn sind aber nie bloße Abwehr, sondern zugleich inspirierend und weiterführend. Leute etwa, die ihn dafür kritisieren, dass er am Sabbat einem Kranken hilft und dabei ein Gebot übertritt, herrscht er zunächst an, sagt ihnen, was er denkt, und tut dann, was er für heilsam hält: Er heilt. Wer wütend ist, sollte sich Zeit nehmen, anzuschauen, was das Feuer im eigenen Inneren anfacht. Gut ist es, die körperlichen Reaktionen, die einem Wutanfall vorausgehen, zuerst körperlich abzuleiten. Angestaute Energie muss raus, sonst kommt es zur Explosion: den Lieblingssport betreiben, mit einem Sandsack boxen, ungehört brüllen, weinen...

Wut verbergen braucht man nicht. Andere dürfen mitkriegen, wenn sie einen verletzt haben

Manchmal geht das nicht, weil man der Situation nicht entkommt. Bei einem sich anbahnenden seelischen Vulkanausbruch also tief ein- und ausatmen, mindestens zehnmal, und sich dann fragen: Was bringt mich eigentlich so in Wallung? Welche Stelle in meiner Lebensgeschichte hat der andere getroffen? Wie kann ich mit meinen verletzlichen Seiten besser umgehen? Genauer in sich hineinzufühlen bringt Bewusstseinserweiterung mit sich. Tagebuchschreiben hilft dabei, sich zu erkennen, Gedichte machen, Bilder malen, reden, Musik hören, immer wieder beten, dabei ruhig klagen und zetern. Ein Flächenbrand, dem Gegenstände, viel schlimmer, Menschen zum Opfer fallen, wird so unwahrscheinlicher.

Dann kann man immer noch seinen Kommentar abgeben zu der Attacke anderer und sich selbstbewusst dazu verhalten. Wut verbergen braucht man nicht; andere dürfen schon mitkriegen, wenn sie einen selbst oder einen Dritten verletzt haben. Wut hat Sinn, wenn beide Seiten davon profitieren: die einen, weil sie begreifen, was sie einem antun; die anderen, weil sie ihre Wut, und damit sich selber, besser kennen lernen und so am Ende stärker werden an Leib und Seele.

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