Der Schädel des Häuptlings
Kann man die Verbrechen 
des deutschen Kolonialismus aufarbeiten? Die Kirche 
geht mutig ­weitere Schritte voran
Thomas Meyer/Ostkreuz
26.09.2018

Vorgelesen: Auf ein Wort - Der Schädel des Häuptlings

Wir bitten die Nachfahren der Opfer und alle, deren Vorfahren unter der Ausübung der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben, wegen des verübten Unrechts und zugefügten Leids aus tiefstem Herzen um Vergebung." Mit diesen Worten hat sich der Rat der EKD im Frühjahr 2017 zur Mitverantwortung der evangelischen Kirche für den Völkermord an den Herero und Nama in der damaligen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, bekannt.

Thomas Meyer/Ostkreuz

Heinrich Bedford-Strohm

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Jahrgang 1960, ist seit 2011 Landes­bischof der Evangelisch-Lutherischen ­Kirche in Bayern. Bis November 2021 war er Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Herausgeber des Magazins chrismon. Bevor er Bischof wurde, war er an der Universität Bamberg Professor für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen.

Der Aufstand der Herero und Nama gegen die Kolonial­herren war von den deutschen Kolonialtruppen unter General von Trotha 1904 mit erbarmungsloser Härte niedergeschlagen worden.* Ein Protest von kirchlicher Seite blieb weitgehend aus. Im kulturellen Gedächtnis Deutschlands ist die Kolonialherrschaft mit ihren rassistischen Grundlagen so etwas wie ein blinder Fleck. Es ist heute schwer zu fassen, dass Menschen, die sich Christen nannten, so auf Mitmenschen schauten, die doch alle miteinander geschaffen sind zum Bilde Gottes.

Nirgendwo ist mir der Zynismus, in den solche Einstellungen münden konnten, deutlicher geworden als in der Geschichte, die der anglikanische Erzbischof von Kapstadt, Thabo Makgoba, in einem autobiografischen Buch erzählt hat. Vielen ist er durch seine Predigt beim Schlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags im Reformations­jubiläumsjahr 2017 in Wittenberg bekannt geworden. Sein Urgroßvater, Häuptling Makgoba, hatte das Land seiner Vorfahren lange Zeit tapfer gegen die weißen Kolonialtruppen verteidigt. Bis er durch Verrat aufgespürt, getötet und dann enthauptet wurde.

"Und gratis einen Kaffernschädel dazu"

In den Archiven ist ein Foto von seinem abgeschlagenen Kopf aufgetaucht, das trotz seiner Grausamkeit in dem Buch abgedruckt ist. Bei allem Erschrecken strahlen die Gesichtszüge eine große Würde aus. Umso verstörender sind die Berichte von einem weißen Farmer, einem "Mr. Altenroxel", der den Schädel von Häuptling Makgoba bei sich auf­bewahrte und bei besonderen Gelegenheiten Whisky aus ihm trank. Wo der Schädel heute ist, weiß niemand. Aber seine Spur führt nach Deutschland. Auf einer Homepage, die sich mit der Kolonialvergangenheit der Stadt Freiburg befasste, wird ein Brief von 1908 erwähnt, in dem ein Herr Altenroxel aus Münster Kolonialgegenstände zum Verkauf anbietet, und dazu "gratis einen Kaffernschädel".

Es ist höchste Zeit, dass wir uns in Deutschland intensiv mit der Geschichte des ersten Völkermordes des 20. Jahrhunderts befassen. Noch immer lagern in deutschen ­Museumsarchiven Schädel und andere menschliche Überreste von Einwohnern Afrikas, die zur wissenschaftlichen Untersuchung nach Deutschland gebracht und nie zurückgegeben worden waren. In den Jahren 2011 und 2014 hatte es bereits staatliche Rückgaben menschlicher Überreste an Namibia gegeben. Ende August sind auf Initiative der EKD und des Rats christlicher Kirchen in Namibia weitere 
sterbliche Überreste in würdigem Rahmen und kirchlich-liturgisch begleitet an Namibia übergeben worden.

Aus Rassismus und Menschenverachtung sind heute vielfältige Erfahrungen europäisch-afrikanischer Freundschaft geworden. Das gilt im Hinblick auf Häuptling Makgobas Urenkel Erzbischof Thabo Makgoba wie auch die mit ihm verbundenen kirchlichen Netzwerke. Vor der Aufarbeitung der Vergangenheit muss niemand Angst haben. Sie ist die Voraussetzung für neue Beziehungen und neue Gemeinschaft. Vom rechten Rand sind Forderungen nach einer "erinnerungspolitischen Wende" zu hören. Machen wir uns dagegen für den Erhalt der Erinnerungskultur ­unseres Landes stark. Es wird diesem Land guttun.

 

*Anmerkung der Redaktion: Ursprünglich stand an dieser Stelle der Satz "Hunderttausende Herero wurden 1904 in die Wüste getrieben, wo unzählige verdursteten." Alle Zahlenangaben zur Bevölkerungszahl der Herero sind aber nach derzeitigem Erkenntnisstand der Redaktion mit großer Vorsicht zu behandeln. Durch amtliche (auch militäramtliche) Statistiken oder historische Studien überprüfbare widerspruchsfreie genaue Zahlen scheint es nicht zu geben. Auf der Grundlage des vorliegenden Materials dürfte die Zahl der Herero Anfang des 20. Jahrhunderts, das heißt zum Zeitpunkt der Schlacht am Waterberg im August 1904, zwischen 70.000 und 100.000 gelegen haben.

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