20.10.2010

Wenn am Ewigkeitssonntag, auch Totensonntag genannt, in unserer Gemeinde die Namen, Geburts- und Todesdaten der im zurückliegenden Jahr verstorbenen Gemeindeglieder verlesen werden, höre ich wie viele der Gottesdienstbesucher aufmerksam zu. Da höre ich den Namen eines im hohen Alter verstorbenen Mannes, erinnere mich an den weißhaarigen Spaziergänger mit Stock, zucke zusammen, wenn ein erst wenige Jahre zurückliegendes Geburtsdatum auf den Tod eines kleinen Kindes hinweist. Viele persönlich eingeladene Angehörige sind dabei. Sie suchen Trost im Gottesdienst, denken an den Verstorbenen, machen vielleicht noch einen Besuch am Grab.

Das kirchliche Gedenken am Ewigkeitssonntag wie auch der Volkstrauertag eine Woche zuvor gehören zu unserer Kultur. Im öffentlichen Gedenken kommt der anhaltende Respekt vor der Würde des Verstorbenen zum Ausdruck. Ist das noch zeitgemäß? Muss das so sein? Und wenn es der Verstorbene ganz anders gewollt hat oder engste Angehörige es ganz anders wollen?

Das "liberalste Bestattungsgesetz Deutschlands"

Verschiedene Bundesländer haben in den letzten Jahren das Bestattungsrecht diskutiert, zum Teil auch geändert. Vor einigen Wochen brüstete sich gar ein Landessozialminister, das "liberalste Bestattungsgesetz Deutschlands" schaffen zu wollen. Die Stichworte der Diskussion -­ Aufhebung von Sarg- und Friedhofszwang, der Friedhof als Privatbetrieb, die verstreute Asche, die Urne zu Hause -­ sind immer die gleichen. Auch das Argument hat sich nicht verändert: das Bestattungsrecht müsse der Vielfalt individueller Wünsche und Anschauungen besser Rechnung tragen.

Doch ist der Respekt vor der Würde des Verstorbenen, der auch in der Bewahrung traditioneller Vorstellungen von Totenruhe zum Ausdruck kommt, wirklich etwas, über das der Einzelne, beispielsweise in einem Testament, verfügen kann? Zu schnell, so meine ich, wird diese Frage bejaht. Denn weder lebt noch stirbt der Mensch für sich allein. Ihr Tod, sein Tod reißt eine Lücke ­ manchmal auch im Leben von Menschen, die gar nicht zum engsten Familienkreis gehörten. Soll aber dem trauernden Kollegen, der guten Freundin ein Ort zum Trauern genommen werden, weil ein Angehöriger nun die Urne zu Hause aufbewahrt? Und gar nicht ausdenken möchte man sich den Streit in einer Familie, wer nun die Urne mit nach Hause nehmen darf. Wenn ein Mensch stirbt, erleidet die Gemeinschaft seiner Mitmenschen, genauer wohl die vielen kleinen Gemeinschaften, in die der Verstorbene eingebunden war, einen Verlust.

Die Möglichkeit, einen Ort des Trauerns zu haben, sollte nicht privatisiert werden

Die Möglichkeit, einen Ort des Trauerns zu haben, sollte nicht privatisiert werden. Friedhöfe sollten von den Kommunen oder von den anerkannten Religionsgemeinschaften getragen werden. Dabei ist den Glaubensüberzeugungen und Beerdigungsritualen religiöser Minderheiten, etwa den der vielen Muslime in unserem Land, Rechnung zu tragen. Aber der Friedhof als Privatbetrieb mit Billigangeboten für jene Beerdigungen, die die Sozialkassen bezahlen, ist eine schlimme Vorstellung. Für mich gilt dies auch für die Urne zu Hause. Sie nimmt anderen Menschen den Ort der Trauer. Wer die Urne eines Angehörigen zu Hause aufbewahrt, nimmt aber auch sich selbst die Möglichkeit, den Ort des Trauerns bewusst aufzusuchen ­ und ihn wieder zu verlassen, um sich im Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit dem Leben neu zuzuwenden.

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