Wolfgang HuberRolf Zöllner/epd-bild
20.10.2010

Welche Dichte der Erinnerungen: In diesem Jahr haben wir der Befreiung der Konzentrationslager, des Kriegsendes und der ersten Schritte des Neubeginns gedacht. Am 18./19. Oktober jährt sich das Gedenken an die Stuttgarter Schulderklärung.

"Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden."

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) blickte damals zurück auf die Zeit des Nationalsozialismus und bekannte "in einer Solidarität der Schuld" mit dem deutschen Volk: "Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden." Dem Bekenntnis, "nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt zu haben", folgte der Wunsch, den Neuanfang in ökumenischer Gemeinschaft mit den anderen Kirchen machen zu können. Die anwesenden Kirchenvertreter aus der Ökumene nahmen die Stuttgarter Erklärung positiv auf, doch in der deutschen Öffentlichkeit wurde diese zumeist als politische Anerkennung der Kollektivschuld missverstanden. Man warf den Kirchenvertretern vor, zu sehr die eigene und zu wenig die Schuld der anderen zu betonen. Doch nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass mit dem bis heute aktuellen Stuttgarter Schuldbekenntnis trotz aller Defizite ein Neubeginn ermöglicht wurde.

Unter den Briefen, die ich als Ratsvorsitzender der EKD in diesem Jahr erhielt, sind viele, in denen es um das Thema Schuld geht. So war in einem der Vorwurf zu lesen, dass "die evangelische Kirche überall Schuld sammelt, um diese dann auf den Köpfen der Bundesbürger abzuladen". Genau so ist es nicht. Die Kirche "sammelt" nicht Schuld, sondern sie erkennt sie und weist Menschen darauf hin. Sie bekennt Schuld ­ auch ihre eigene. Sie muss dies tun, wann immer sie sieht, dass die Gleichheit der Menschen vergessen, Verletzungen der Gerechtigkeit verschwiegen, die Freiheit der Kinder Gottes verachtet wurde oder wird. Sie kann dies tun, weil sie weiß: Auch sie selbst ist nicht fehlerlos und heilig, sondern sie lebt von der Barmherzigkeit Gottes. Aufrichtige Schuldbekenntnisse sind keinesfalls Zeichen der Schwäche. Sie sind vielmehr eine Kraftquelle und führen tiefer in das Evangelium hinein.

Neben dem Erinnern ist mir an diesen Tagen das Danken wichtig.

Dessen werde ich gewiss, wenn ich mich an die Stuttgarter Erklärung erinnere. Ich behalte es auch im Gedächtnis, wenn wir im gleichen Monat den Erntedanktag am 2. Oktober und danach den Tag der Deutschen Einheit feiern. Neben dem Erinnern ist mir an diesen Tagen das Danken wichtig. Nicht der Stolz auf das, was wir selbst geschafft haben, prägt diese Tage. Sie sind vielmehr bestimmt von dem Dank dafür, dass wir von Gott geschaffen sind.

Wir sollten deshalb nicht zulassen, dass der "Dank" gestrichen wird: dass etwa nur noch von einem Erntefest die Rede ist oder dass der Tag der Deutschen Einheit vermeintlich wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fällt.

Die Tage des Dankens und der Erinnerung an die Geschichte der Schuld gehören zusammen. Das Schuldbekenntnis von 1945 und die Anerkennung Gottes als des Schöpfers der Welt, des Spenders der Ernte wie des Befreiers aus Unterdrückung sind miteinander verknüpft. Daraus schöpfen wir Hoffnung. Deshalb heißt auch die Bitte im Schlusssatz der Stuttgarter Schulderklärung: "Veni, creator spiritus ­ komm, Heiliger Geist!"

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