Rebellisch sein? Das trägt man heute so
Kaum hat man eine eigene Haltung, ist man schon ein Rebell.
Tim Wegner
28.02.2019

Neulich wurde im Fernsehen der Chef einer österreichischen Schuhfirma, Heini Staudinger, 65, von einem Reporter devot befragt über seine menschenfreundliche Art des Wirtschaftens. Ihm war das Lobgetue sichtlich fad. Staudinger: "Kaum bist ein Tag net deppert, bist schon ein Rebell."

Recht hat er! Guckt sie euch an, die sogenannten Rebellen. Der Rentner Helmut S., der ARD und ZDF nicht mehr so gut findet, macht sich zum "GEZ-Rebellen". Der ehemalige Heimleiter Armin R. nennt sich auf seiner Homepage "Der Pflege-Rebell". Und der pensionierte Studienrat Ludwig V. aus Bonn, der an den Rechtschreib­regeln von 1990 festhält, wird als "Rebell der alten Schule" gefeiert. Kann man rebellisch nach "alter Schule" sein? Muss der Rebell – vom Duden übersetzt mit Revoluzzer oder Auf­rührer – nicht ein Junger sein, der auf die ­Schule pfeift? Und ist man noch rebellisch, wenn man es selbst auf seine Homepage schreibt? Niemals hätte Martin Luther seine Thesen ­unterschrieben mit "Der Kirchenrebell".

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".

Er ist auf den Hund gekommen, der Rebell. Im harmlosen Fall ist er ein Wichtigtuer, der seine Kommaregeln nicht umlernen oder mit dem alten Diesel in die Innenstadt fahren will. Im bedenklicheren Fall ist er ein Wutbürger. Über­trieben? Als ich neulich ein neues Portemonnaie suchte, wollte mir der Ladenbe­sitzer eines ohne Kreditkartenfach andienen. "Ich bin ein Rebell, ich lehne mich gegen die ­Abschaffung des Bargeldes auf", raunte er verschwörerisch. Bestimmt zahlt der auch keine GEZ-Gebühr.

Falls doch ein Jugendlicher "Rebell" werden will, kann er oder sie sich auf "wikiHow" beraten lassen, "Ein Rebell sein": "Du könntest zum Beispiel einen Irokesenschnitt tragen und dazu eine dicke Nerdbrille kombinieren." Nein, das ist keine Unterseite von H & M. Das ist der Ausverkauf der Rebellion. Da wundert mich nicht, dass dieser junge Mann so unrebellisch aussieht. Wilhelm Otto Klaus Schultze, 23, will ­Bürgermeister werden. Wäre doch nett, wenn ein paar Ältere ihn wählen. Dann können sie von mir aus auch diesen Irokesenschnitt tragen. Mit Nerdbrille.

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