Fulbert Steffensky, Theologe am Vierwaldstättersee in Luzern fotografiert.Sophie Stieger
20.10.2010
Kantate
Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.
Kolosser 3,16

"Euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott", sagt Paulus am Anfang des Kapitels, in dem unser Text steht. Weiter sagt er: "Einmal wird die Herrlichkeit dieses verborgenen Lebens offenbar werden." Wie schön, es gibt schon Stellen, wo sich das Inkognito lüftet und ein Vorschein des Glanzes sichtbar wird. Es geschieht zum einen im Erbarmen, in der Vergebung, in der Freundlichkeit und Sanftheit des "neuen Menschen". Zum andern geschieht es im Danken und im Singen der Gemeinden: "Mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen."

Ja, wir sind nicht Produkte unserer selbst, wir haben uns nicht selbst erschaffen, wir müssen uns nicht selbst verehren und lieben, sondern wir verdanken uns. Die Sucht, sich selber zu genügen und Meister seiner selbst zu sein, Zwang und Verbissenheit sind böse Geschwister, so wie Dank, Freiheit und Heiterkeit gute Geschwister sind. Danken ist nicht ganz leicht, weil man den Grund des Dankens nicht immer und manchmal gar nicht am Leben selber ablesen kann. Danken ist eine Form des Glaubens. Im Dank deutet man die Welt besser, als sie ist. Man liest die Schönheit in sie hinein. Im Dank deutet man auch sich selber besser, als man ist. Man liest sich mit den Augen Gottes, der uns schon gemeint und geborgen hat im Schicksal jenes Christus. Das Danken zu lernen, ist wichtiger als jede Moral. Moral muss eine Herkunft haben, sonst hält sie sich nicht lange. Ihre beste Mutter ist der Dank. Wer dankt, schlägt nicht. Wer dankt, benutzt nicht. Wer dankt, zerstört nicht.

Manchmal geht der Dank langsam, und kommt nur in der Sprache daher, die schon alle kennen und sprechen. Das aber ist nicht seine eigentliche Sprache. Die Muttersprache des Dankes sind die Lieder und die Musik. Der Dank tanzt ­ darum kommt er mit der gewöhnlichen Sprache nicht aus. Im Lied umtanzt er die Güte, die ihn geboren hat. Die Lieder gehen mit unserem Herzen durch, wie manchmal ein junges Kalb mit dem Hirtenbuben durchgeht. In den Liedern kann unser Mund oft viel mehr, als unser Herz schon kann. Und manchmal schleifen die Lieder das müde Herz hinter sich her, bis es wieder auf den eigenen Beinen stehen kann. Die Lieder und die Musik sind die Vorspiele des ewigen Lebens, so hat es einst Augustin gesagt. Wer hat je eine Predigt ein Vorspiel des ewigen Lebens genannt? Oder den Religions- oder Konfirmandenunterricht? Und so halte ich denn die Musik und die Lieder für wichtiger als alle Predigten und Lehren. David hat Saul nicht durch Unterweisungen oder therapeutische Ratschläge geheilt, sondern mit seinem Saitenspiel. Ich ärgere mich, wenn von Liedern nur die eine oder andere Strophe gesungen wird, und ich finde es falsch, wenn der musikalische Beginn des Gottesdienstes als Orgelvorspiel bezeichnet wird. Es ist ein Vorspiel des ewigen Lebens, aber nicht das Vorspiel zum Gottesdienst. Das sollten all jene bedenken, die im Rahmen des sicher notwendigen Sparens immer zuerst an der Kirchenmusik sparen wollen ­ besonders am Sonntag Kantate. Notwendig und nützlich sind Lieder und Musik zwar auf den ersten Blick nicht. Aber vielleicht ist überhaupt das Schönste, was wir im Leben haben, nicht unter die Kategorien der Nützlichkeit zu verrechnen: die Küsse, die wir tauschen; die Gedichte, die wir lesen; oder die Blumen, die ich einer geliebten Frau schenke.

Dies alles kann man nicht unter Nützlichkeitsgesichtspunkten verrechnen. Es sind pure unnütze und unentbehrliche Schönheiten. Aber es ist Zeit, dass die Kirche in einer Welt des Profitierens und Funktionierens für die nutzlosen Schönheiten eintritt, sie sind am meisten gefährdet. \