Johanna HabererPrivat
20.10.2010
Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr
Denn wir wissen, wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, zerbrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. Denn darum seufzen wir auch und sehnen uns danach, dass wir mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet werden (...). So sind wir denn allezeit getrost und wissen: Solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern von dem Herrn, denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. (...) Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeglicher empfange, wie er gehandelt hat bei Lebzeiten, sei es gut oder böse.
2. Korinther 5,1-10

Texte wie diese ­ solche Texte der Freiheit ­ haben in der Geschichte des Christentums leider eine unrühmliche Karriere gemacht: heilige Kriege, bei denen Tausende Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens niedergemetzelt wurden. Das waren christliche Selbstmordkommandos im Mittelalter, die mit dem himmlischen Palast Gottes vor dem inneren Auge weder das eigene noch gar das Leben anderer wertschätzten.

Die "Lebzeiten", so die missverstandene Botschaft des Apostels Paulus, sind mehr oder weniger schmerzhaft und lästig. Der Glaube eine Sache des blinden Vertrauens auf Gott und auf alle die Zeugen, die Jesus selbst als auferstandenen Christus gesehen hatten. Dann aber, nach dem Tod, wandelt sich Gottesferne in Gottesnähe, Glauben in Schauen. Unsere innere Behausung wird von der Hütte zum Palast und wir werden Zeugen sein, wie Gott alle Rätsel und Geheimnisse, alle offenen Fragen unseres Lebens und unserer Welt löst. Solche Texte, die eine unbändige, vitale Hoffnung atmen, werden brandgefährlich, wenn sie in die Gefangenschaft von politischen Machtinteressen geraten.

Die katholische Kirche begann im Mittelalter, dieses andere Leben mit kirchlichen Zollhäuschen zu besetzen, und sie bot Gottes Freiheit beim letzten Gericht als käufliche Ware auf dem Markt des Ablasses feil. Es war dieser Handel mit dem Jenseits, der Martin Luther und die aufatmende Power der Reformation auf den Plan rief. Und es war die befreiende Erkenntnis der Reformatoren, dass wir diese Texte wieder lesen können, ohne das Schlagwort von der "Jenseitsvertröstung" zu provozieren. Paulus träumt den Traum von Freiheit und Wahrhaftigkeit. Und Christus hat ihm diesen Traum geschenkt. Paulus empfiehlt uns eine Art Doppelleben. Zum einen leben wir im Diesseits, in Zweifel und Depression und in der Ungewissheit. Zuweilen erleben wir Unrecht, Hass und Verzweiflung. Aber bei alledem kann sich unserem Geist eine neue Dimension eröffnen. Christen haben die Hoffnung auf ein letztes Zuhause, indem die Liebe Gottes ganz nahe und deutlich zu spüren ist. Und sie haben die wahnsinnige Hoffnung, dass es einen Ort und eine Zeit gibt, wo sich die Geschicke aller Menschen klären. Wenn man die Vorstellung vom letzten Gericht von allen kirchlichen Drohungen befreit, dann kann man spüren, dass es die gewaltigste und schönste und wichtigste Vision der Weltgeschichte ist: Unrecht wird nicht Unrecht bleiben und die Wehrlosen werden nicht wehrlos und die ums Leben Betrogenen werden Fülle erfahren. Denn Gott gibt sich nicht zufrieden mit all dem Elend, das wir uns gegenseitig antun, sondern er wird Recht schaffen und Klarheit. Das Krumme wird er gerade richten, das Niedergedrückte aufrichten und das Verwirrte zurechtrichten.

Diese Rede vom letzten Gericht heißt, dass wir Menschen die Hoffnung haben, dass wir am Ende heil werden und unser Leben begreifen. Mit dieser Hoffnung im Herzen lässt sich das irdische Leben gelassen und aufrecht bestehen. Da geht es nicht um Jenseitsvertröstung oder Leibfeindlichkeit, sondern um das tiefe Wissen, dass ein Licht auf allen Dingen liegt.