Fulbert Steffensky, Theologe am Vierwaldstättersee in Luzern fotografiert.Sophie Stieger
29.04.2011
Palmarum
Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.
Philipper 2,5-11

Wer ist Christus? Die Antworten auf diese Frage waren in der Geschichte des Christentums nie eindeutig, sie sind es nicht einmal in der Bibel. Jede Antwort ist ein Bekenntnis. Jedes Bekenntnis ist abhängig vom Bekenner. Seine Leiden, seine Wünsche und Ängste, seine Blindheit sind darin eingewickelt. Das macht die Lebendigkeit eines Bekenntnisses aus. Die Aussagen über Christus verlieren da ihre Kraft, wo sie als objektive verstanden werden, von jedem zu machen, unüberholbar und unberührt von den Schicksalen und Zeitläufen.

Eines ist allen Aussagen gemeinsam: In die Gesichtszüge Christi sind Gesichtszüge Gottes eingetragen. „Er war in göttlicher Gestalt“, sagt Paulus. Die Grundzüge Gottes, die Morphologie Gottes sind in seiner Gestalt erkennbar.

Unsere ausgedachten Götter haben, was uns fehlt

So beschreibt Paulus an Christus diesen Gott: Er hat das Glück seiner Gottheit nicht wie ein Beutestück gekrallt. Er erniedrigte sich und duckte sich in Menschengestalt, nein, schärfer: in Knechtsgestalt. Er starb unseren eigenen Tod; nein, schärfer: er verbarg sich bis in den Tod des Verbrechers am Galgen. In Christus hat Gott gelernt, wohin er gehört, zu jenem Lumpengesindel, das ihn braucht und das ihn erkennt.

Die Götter, die wir uns ausdenken, haben all das, was uns selber fehlt: unsere Kargheit machen wir zu ihrem Reichtum. Unsere Wunden machen wir zu ihrer Unversehrtheit.

Unsere Niederlagen machen wir zu ihren Siegen. Dieser kleine König im Stall von
Bethlehem und der ans Kreuz gehängte Verbrecher sind der große Einspruch gegen die Gottesbilder des ungetrübten Glanzes und der ungebrochenen Macht. Macht euch kein Bildnis! Tut diese falschen Bilder von den unberührbaren Göttern weg!

Das Wort „Gott“ ist in der Geschichte der Menschheit ein verschlüsselter Text, man kann ihn auf viele Weisen auslegen. Die Figur und das Schicksal Christi sind die Lesart, die Christen bindet:

Gott zecht mit den Armen und schläft bei ihnen

Gott ist unkenntlich geworden südlich von Jerusalem, versteckt im kleinen König, geboren im Stall. Er meldet sich nicht unter dem Namen der Macht und des blendenden Glücks. Der Unverwundbare hat den Wall seiner Burg geschleift. Hungrig nach der Nähe der Menschen ist er auf ihre Straßen gegangen und an ihre Zäune. Er duckt sich am Feuer mit den halbwilden Hirten, er zecht mit den Armen. In der Nacht schläft er bei ihnen, den Kopf auf einem Stein.

Dieses Kind in Bethlehem ist das Fleisch gewordene Bilderverbot, der Mann am Kreuz ist die neue Kenntlichkeit Gottes. Gott ist kenntlich geworden im kleinen König, geboren im Stall.

Sein Name ist Habenichts, Flüchtling, Todgeweihter. Ein geheimnisvoller Gott, der die Tränen nicht trocknet, die seine Armen weinen; der die Wunden nicht heilt, die das Leben schlägt. Ein geheimnisvoller Gott, der nicht weicht aus dem Hunger der Brotlosen, aus der Qual der Gefolterten und den das Leben aufs Kreuz legt wie andere auch.

Sein Grundname ist Emmanuel, der Gott mit uns und in unseren Schicksalen. Er hat sein Gesicht aufgedeckt im Gesicht Christi. Er wohnt in unserem Glück und in unseren Schmerzen, ein Gott, der sich nicht in sich selbst verkrallt, in seinen Glanz und seine Absolutheit; der nicht geizig sein eigenes Glück bewacht, sondern ausströmt in die Welt der Kälte.

Seit Gott die Gestalt unserer Knechtschaft angenommen hat, ist alles eigentlich geworden: das Brot und das Wasser, das Glück und die Wunden, das Gelingen des Lebens und seine Zerstörung. Nichts ist gleichgültig. Der Glaube an diesen Gott ist das Gegengift gegen jeden Zynismus.

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