Viele Menschen kennen das Gefühl, einer Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Sie ahnen, dass sie nicht genügend vorbereitet sind, nicht ausreichend Kraftreserven haben oder einfach kein Talent dafür. Es gibt skrupulöse Menschen, die vor allem und jedem Angst haben und sich gar nichts zutrauen. Und es gibt die Selbstsicheren, die sich für alles und jedes ausgerüstet fühlen. Ihnen sind solche Gefühle der Unsicherheit vollkommen fremd. Sie nehmen jede neue Aufgabe ohne Zögern an, weil ihnen gar nicht die Herausforderungen in den Sinn kommen, an denen sie scheitern könnten. Ich selbst hoffe, mich eher in der Mitte zwischen übertriebener Selbstsicherheit und übertriebenen Bedenken zu befinden und einigermaßen richtig einzuschätzen, ob ich für eine Aufgabe die richtigen Voraussetzungen mitbringe. Schließlich gibt es ja auch die Möglichkeit, etwas dazuzulernen.
Christoph Markschies
In kirchlichen Zusammenhängen kann man oft erleben, was man in der Literaturwissenschaft "topische Bescheidenheit" nennt: Es gehört zum guten Ton, bescheiden aufzutreten. Wer gefragt wird, ob er ein kirchliches Amt übernehmen möchte, sollte tunlichst nicht antworten: "Ja, das mache ich gern. Denn ich kann es auch." Sondern besser: "Lieber nicht. Nur, wenn es unbedingt sein muss. Denn eigentlich gibt es doch viele andere, die es besser können als ich."
Formeln der Demut sind selten geworden
Solche Art der Bescheidenheit hat eine lange Tradition. Sie wird nicht nur den großen Bischöfen der antiken Christenheit zugeschrieben, beispielsweise Ambrosius von Mailand. Der soll sich sogar, wie manche andere Amtskollegen, nach der Wahl versteckt haben, um seiner Kirche nicht im Bischofsamt dienen zu müssen. Eine solche deutlich artikulierte Bescheidenheit findet sich als literarische Form auch in vielen biblischen Texten, in denen Gott Menschen zu bestimmten Aufgaben beruft. So erklärt der Prophet Jeremia: "Ach, Herr Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung."
Heute sind solche Formeln der Bescheidenheit selten geworden. Wem im Wirtschaftsleben eine Stelle angeboten wird, sollte sie tunlichst nicht mit Worten ablehnen, wie sie in der Bibel und in der Kirche üblich sind. Die Aufgabe dürfte dann in aller Regel einem anderen angeboten werden. Manche Menschen finden auch, dass man in kirchlichen Zusammenhängen inzwischen auf solche ritualisierte Bekundungen von Bescheidenheit verzichten sollte. Ich finde das nicht, denn in solchen Formeln wird deutlich, wie groß häufig die Aufgabe ist, die einem da übertragen werden soll.
Wer seit einer Reihe von Jahren predigt, wird, je nach Temperament, amüsiert oder leicht erschreckt auf seine ersten Versuche zurückschauen und dem Satz des Jeremia etwas abgewinnen können: Es tut dem Predigen tatsächlich gut, über etwas mehr Erfahrung zu verfügen. Und andererseits wird aus solchen Formulierungen ritualisierter Bescheidenheit deutlich, dass wir ohne den Beistand des Heiligen Geistes viele Aufgaben überhaupt nicht angemessen ausführen könnten. Woher sollen wir die Kraft finden, Sünden zu vergeben oder traurigen Menschen Trost zuzusprechen?
Jeremia hört als Reaktion auf seine Unsicherheit kein billiges "Du schaffst das schon". Sondern die göttliche Zusage, dass er seinen schwierigen Weg nicht allein gehen muss. Dass Gottes Geist ihn stärken und kräftigen wird. Bescheidene und sensible Menschen wissen nicht nur, was ihnen für eine Aufgabe fehlt, sie können auch leichter spüren, dass sie in ihrer Unsicherheit nicht allein sind.
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