Geboren in der DDR
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"Es war nicht alles schlecht"
16.10.2019

Liebe Dorothea,

überrascht es dich, wenn ich dir sage, dass es mir geht wie deiner Interviewpartnerin Sophie Kirchner - und ich kaum mit meiner Familie über die DDR-Zeit gesprochen habe? Vielleicht liegt es daran, dass die DDR schon Geschichte war, als ich gerade erst anfing, meine Umwelt so richtig zu begreifen. Ich habe die Zeit vor der Wende nicht mehr bewusst erlebt, hatte kein Pionierhalstuch und habe nie erfahren müssen, dass es eine Grenze gibt, über die man nicht gehen darf. Wenn zum Beispiel meine Oma von "hüben" und "drüben" sprach und dabei mit dem Kopf vage Richtung Hügel zeigte, der unser kleines südthüringisches Dorf auf einer Seite begrenzte, dann dachte ich, sie meint bloß Bayern, das direkt dahinter beginnt - und nicht "den Westen" als Ganzes. 

Heute denke ich mehr über Ost und West nach, was nicht nur mit diesem Blog zu tun hat, sondern auch mit dem Mauerfall-Jubiläum. Fast täglich erscheint in unserer Zeitung und auf Sächsische.de ein Artikel dazu. "Junge Frauen aus Ostdeutschland haben sich seit der Wiedervereinigung zur flexibelsten, mobilsten und am besten ausgebildeten Bevölkerungsgruppe der Republik entwickelt", lese ich zum Beispiel in einem Text über Ostfrauen, der fragt, ob diese das Rollenmodell der Zukunft seien. Fast 65 Prozent der Frauen in Sachsen arbeiten heute, erfahre ich, das ist der Spitzenwert in Deutschland. Im Osten gibt es auch mehr weibliche Führungskräfte und allgemein kehren Frauen nach der Geburt eines Kindes häufiger in Vollzeit in den Beruf zurück. 

Wäre das heute auch so, hätte es die Teilung Deutschlands nie gegeben? In der DDR war gesetzlich festgeschrieben, so heißt es im Artikel weiter, "dass eine Eheschließung die Frauen nicht an der Ausübung eines Berufes hindern durfte und die Öffnungszeiten von Krippen und Kitas, die früh und in großer Zahl gebaut wurden, sich nach den Arbeitszeiten der Mütter richten mussten". Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal so deutlich schreiben würde, aber: Es war nicht alles schlecht. 

Fast zeitgleich während ich das tippe, sagt mein Kollege, der mir gegenüber sitzt (und die DDR gut zehn Jahre länger erlebt hat als ich), denselben Satz am Telefon - versprochen, das ist gerade kein dramaturgischer Trick. Und er schiebt sogar scherzhaft noch eine Begründung nach, die - ich gebe es neidvoll zu - ein wenig cooler klingt als meine oben zitierte Statistik zu berufstätigen Frauen: "Polikliniken und Partykeller und Sambalita selbst gemacht!" 

So gehen übrigens viele von uns Ossis mit dem Thema DDR um: mit viel Humor. "Dafür bin ich '89 nicht auf die Straße gegangen" sagen wir zum Beispiel, wenn gerade irgendwas, auch etwas völlig Banales, irgendwie Mist ist. In der Kantine ist das vegetarische Gericht heute wieder nur Grießbrei? "Dafür bin ich '89 nicht auf die Straße gegangen!"

Sambalita gibt es heute übrigens immer noch, noch so ein Ost-Produkt, das überlebt hat. Wenn du dich fragen solltest, wie man ausgerechnet in der DDR einen Maracuja-Likör selbstmachen konnte, wo es schon kaum Bananen gab: Die Leute waren eben erfinderisch

Lass es dir schmecken!

Deine Dominique

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