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Maria und Joseph wandern durchs Quartier
Meine schönste Geschichte von diesem Weihnachtsfest handelt davon, wie die Pandemie nicht nur lähmt, erzürnt und ermüdet, sondern manchmal auch wunderbare neue Ideen wirklich werden lässt. Um das zu erleben, musste ich gar nicht weit reisen, sondern nur am Krippenspiel meiner Kirchengemeinde im Quartier teilnehmen.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
07.01.2022

Die St. Markus-Kirche in Hamburg-Hoheluft ist eine architektonische Kostbarkeit. Sie gehört zu den „Notkirchen“, die Otto Bartning nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut hat. Während des langen Lockdowns bin ich hier besonders gern in den Gottesdienst gegangen. Das passte: Lockdown in der Notkirche.

Das Problem dieser Kirche: Für Heiligabend unter Corona-Einschränkungen ist sie viel zu klein. Deshalb hatte die Gemeinde schon beim vorvergangenen Weihnachten umgestellt: Kein Gottesdienst in der Kirche, sondern ein Krippenspiel draußen im Stadtteil. Dazu brauchte es bestimmt einigen Mut. Denn nirgends sind Veränderungen schwieriger durchzusetzen als an Heiligabend. Aber dafür sind Krisen schließlich da: Sie eröffnen Chancen, wenn man den nötigen Mut aufbringt. Manchmal ist der Mut der Verzweiflung.

Da es so gut gelungen war und so dankbar aufgenommen wurde, hat die Gemeinde es ein zweites Mal versucht. Diesmal habe ich mit meiner Familie teilgenommen. Gerade noch rechtzeitig hatten wir uns angemeldet: Mehr als 800 Menschen konnten leider nicht teilnehmen. Zur zugewiesenen Zeit erschienen wir auf dem Kirchplatz. Freundliche Ehrenamtliche und metallene Gatter brachten uns an den richtigen Ort. Unsere Daten wurden aufgenommen. Wir wurden in Gruppen von zwanzig Personen eingeteilt. Eine Frau aus der Gemeinde mit ihrer Tochter übernahm die Führung, in der Hand einen Stab mit einem beleuchteten Stern.

So gingen wir durch die Straßen der Nachbarschaft. Ungefähr alle fünf Minuten hielten wir vor einem Balkon an. Dann ging jeweils ein kleiner Scheinwerfer an, Konfirmandinnen und Konfirmanden traten vor und spielten eine Station der Weihnachtsgeschichte: wie ein Gebot vom Kaiser ausging – Maria und Joseph auf Wanderschaft – Hirten auf dem Feld – Engel erscheinen – Friede auf Erden – ein Kind wird geboren. Am Ende ging es in die Kirche für ein „O du fröhliche“, den Segen und eine Kollekte.

Beim Nachhauseweg überlegte ich, welche Arbeit in diesem Krippenspaziergang gesteckt haben mag: eine Route auswählen, die abwechslungsreich ist und die alle bewältigen können, Ehrenamtliche gewinnen, die bei scheußlichstem Wetter mehrere Stunden an Heiligabend dafür sorgen, dass alles reibungslos funktioniert, das Stück mit den Jugendlichen einüben. Und wir sprachen darüber, was uns besonders gut gefallen hat. Das waren zwei Dinge. Zum einen, dass das Krippenspiel einfach gut war – der Geschichte treu, innig, manchmal auch heiter – und dass die Jugendlichen ihr Spiel sichtbar ernst genommen haben. Zum anderen, dass wir sahen, wie viele Gruppen von Heiligabendpilgern vor und nach uns ebenfalls durch unsere Nachbarschaft zogen – wir waren nicht allein in der nasskalten Dunkelheit.

Ich finde, dass daraus eine Tradition werden könnte, auch wenn Corona vorbei sein sollte, irgendwann einmal.

P.S.: „Gebrochene Flügel“ – bei diesem Deutschlandfunk-Essay von Burkard Reibartz über Engel in der modernen Poesie durfte ich mitwirken. Hier kann man es nachhören.

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