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Warum es nicht mal so machen wie die Engländer?
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
01.12.2018

In den Herbstferien war ich in London und habe im „Globe-Theatre“ eine Aufführung von „A Winter’s Tale“ gesehen. Die ganze Anlage des Hauses ist historisch, aber keine Touristen-Attrappe. Im Parkett gibt es keine Sitz-, sondern nur Stehplätze. Es war also mit jüngeren Londonern gefüllt, was der Sache von vornherein etwas Bewegliches gab. Dann die Aufführung selbst: kein Bühnenbild, keine aufwendigen Kostüme, sondern nur das Sprechen und Spielen des Stücks. Aber was heißt hier „nur“? Der wunderbare Text wurde exzellent gesprochen, das Ensemble spielte mit Lust. Als deutscher Gast fragte ich mich irgendwann unruhig: Wo ist eigentlich die Video-Wand geblieben? Warum kommen keine Stromgitarren zum Einsatz? Wann fangen endlich alle an, zu schreien und sich ausziehen? Nichts davon geschah, auch blieben an diesem Abend sämtliche Körperflüssigkeiten hübsch dort, wo sie hingehören. Trotzdem war es schön und inspirierend.

Wenige Wochen darauf in einem deutschen Kleinstadttheater. Es wurde „Ein Sommernachtstraum“ gegeben. Aber was heißt hier „gegeben“? Das Stück wurde in ein tristes Großraumbüro verlegt, Hauptrequisite war ein Fotokopierer. Der Text wurde nicht gesprochen, sondern gebrüllt, durchgängig und durcheinander. Das Ensemble spielte nicht, sondern hockte entweder erstarrt an Bürotischen oder rannte panisch herum. Der Gipfel bzw. Tiefpunkt dieses Stücks Regietheater war erreicht, als sich eine Figur in das unterste Papierfach des Fotokopierers entleerte. Obwohl es keine Pause gab, war danach ein Großteil der Zuschauer hinausgegangen, auch ich. Man muss es ja nicht so machen wie die Engländer (wer kann das schon?), auch bin ich bereit, mich auf vielerlei, auch Schräges und Abseitiges einzulassen, aber wenn ich schon in eine Shakespeare-Aufführung gehe, möchte ich doch den Eindruck vermittelt bekommen, dass Regisseur und Ensemble vor dem Text doch noch etwas mehr Respekt haben als vor ihren eigenen Einfällen.

Wieder ein paar Wochen später habe ich im Hamburger Schauspielhaus „King Lear“ gesehen. Vieles war schräg, laut, wild, verdreht, wütend, hart, schockierend, aber doch angemessen angesichts der krassen Tragik dieses Stücks. Wie sollte denn eine Inszenierung dieses Werks nicht schreien? Nur war hier eben ein exzellentes Ensemble am Werk, das die Ideen der Regisseurin mit Leben füllte und auf der Bühne beglaubigte. So kann es auch gehen. Ob es jedoch sinnvoll war, an den Schluss einen Fremdtext zu setzen, der die Flüchtlinge von heute zu einer Art utopischer Avantgarde zu erklären schien, kann ich allerdings nicht beurteilen. Es war akustisch kaum zu verstehen.

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