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Abgehängt und aufbewahrt
Es gab eine große Empörung – zu Recht –, als vor wenigen Jahren bekannt wurde, dass in einigen evangelischen Kirchtürmen Glocken mit NS-Symbolen und -Inschriften hängen und immer noch zum Gottesdienst läuten. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat sich inzwischen anderen erregungsträchtigen Themen zugewandt. Doch Kolleginnen und Kollegen von mir haben sich um eine seriöse Aufarbeitung bemüht. Jetzt sind erste Ergebnisse öffentlich geworden.
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
10.06.2021

Berechtigte Empörung kann ein wichtiger Anfang sein. Aber sie verpufft, wenn sie nicht zu nachhaltiger Aufarbeitung führt. Das gilt auch für die schrecklichen „NS-Glocken“. Vor drei Jahren habe ich mit der Evangelischen Akademie Loccum eine Tagung dazu veranstaltet. Eine wichtige Erkenntnis war für mich damals: Wie schwer es überhaupt ist, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was in Kirchen zu hören und zu sehen ist; wie wichtig saubere Inventarisierung und ein arbeitsfähiges Archiv sind. Eine andere Einsicht lautete für mich: Das eine ist eine allgemeingültige kirchliche Verständigung, dass solche Glocken keinen Dienst mehr in einer Kirche tun dürfen; das andere ist, einen solchen Fund zu nutzen, um mit der betroffenen Kirchengemeinde und ihrem Gemeinwesen Aufarbeitung zu betreiben.

Etwas Aktuelles zum ersten Punkt: Die Evangelische Landeskirche der Pfalz hat vor wenigen Wochen ein Kirchengesetz erlassen. Es bestimmt, dass Glocken mit problematischen Symbolen und Inschriften aus dem Dienst genommen werden müssen. Das ist ein unmissverständliches, notwendiges Signal. Das Gesetz skizziert zudem ein verbindliches Verfahren, wie mit solchen Fällen umzugehen ist und stellt finanzielle Unterstützung in Aussicht. Sinnvoll ist aber auch, dass das Gesetz nicht eine Lösung für jeden Einzelfall dekretiert, sondern den betroffenen Kirchengemeinden die Freiheit lässt, eigene, angemessene Lösungen zu erarbeiten.

Etwas Aktuelles zum zweiten Punkt: Auf der Glocke der Philipp Melanchthon-Kapelle in Rudow, 1935 erbaut und im Süden Berlins gelegen, waren NS-Symbole entdeckt worden. Daraufhin wurden von der Dreieinigkeitskirchengemeinde und der Landeskirche die notwendigen Schritte ergriffen: 1. Die Glocke wurde abgenommen. 2. Ihre Geschichte wurde von einer unabhängigen Historikerin erforscht. 3. Die Ergebnisse wurden öffentlich gemacht. 4. Die Glocke wurde ins Museum Neukölln verbracht. 5. Dort kann sie als Gegenstand der historischen und politischen Bildung dienen.

Leicht wird all dies gewiss nicht gewesen sein. Solche Prozesse sind immer mühsam und kompliziert, mit Erschrecken und Scham verbunden – über den Sündenfall selbst und über das lange Schweigen danach. Zudem brauchen sie ihre Zeit, in diesem Fall etwa dreieinhalb Jahre, viel Engagement vor Ort, eine gute Begleitung durch die Landeskirche und eine konstruktive Zusammenarbeit mit nichtkirchlichen Partnern. Aber es lohnt sich – leider mehr denn je.

Zu empfehlehn ist die sehr interessante, 36seitige Broschüre von Beate Rossié über „Die Philipp Melanchthon-Kapelle in Berlin-Rudow und ihre Glocken“. Man kann sie für eine Schutzgebühr von drei Euro bestellen bei Pfarrerin Marion Gardei, der landeskirchlichen Beauftragten für Erinnerungskultur: m.gardei@ekbo.de.

P.S.: Eine Million Porzellangefäße – über ein einmaliges Vorhaben spreche ich mit der Berliner Konzept- und Porzellankünstlerin Uli Aigner. Man kann die neue Folge meines Podcasts über die Website von reflab.ch oder Spotify hören.

P.P.S.: Endlich – wir haben eine schöne neue Website: Kulturbüro der EKD (ekd-kultur.de)

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