Foto: Jan Philipp Hahn
Ein Versuch, miteinander zu reden
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
17.11.2018

Am Tag danach fielen mir tausend kluge Sätze ein, die ich hätte sagen können. Am Tag danach war ich aber auch nicht wirklich schlauer, nur müder. Denn diese Debatte war anstrengend – gedanklich, körperlich. Sie ging mir unter die Haut und in die Knochen.

Dabei war die Diskussion, die Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, und ich mit den AfD-Bundestagsabgeordneten Martin Renner und Marc Jongen geführt haben, ganz zivil. Die Moderation war fair. Man hörte sich zu und ließ sich ausreden. Beim Publikum meldete sich hier und da Unmut, aber die Empörungswellen blieben vergleichsweise flach. So kann man es miteinander versuchen.

Die beiden AfD-Politiker hatten in einer langen Stellungnahme unsere Thesen zur kulturellen Integration kritisiert. Das ist ihr Recht. Allerdings hatten sie auf unsere Gegenfrage, worin denn die deutsche Identität substantiell bestehe, die sie so beschwören, wenig zu sagen. Dazu sei ein Papier in Vorbereitung. Warten wir es ab. Auch auf unsere zweite Rückfrage, wie die AfD denn praktisch und konkret mit Zuwanderern umgehen wolle, wenn sie Integration für falsch halte und Assimilation erzwingen wolle, kam erst ein langes Schweigen und dann die Ankündigung, das sähe man dann. Darauf möchte ich lieber nicht warten.

Anschließend ging es natürlich um den Islam. Mir war es wichtig, zwei Dinge zu unterscheiden: die legitime, notwendige Kritik des Islamismus und die pauschale Abwertung ganzer Menschengruppen mit der Behauptung, diese seien von ihrem Wesen her demokratieunfähig. Ähnliches hat der klassische deutsche Konservatismus über Juden und Katholiken gesagt. Viele europäische Nachbarn haben so – und zwar mit nachvollziehbaren Gründen –   über uns Deutsche gedacht. Dagegen möchte ich die anstrengende Hoffnung setzen, dass Veränderung möglich ist – bei anderen und uns selbst. Sie erfüllt sich nicht von allein, man muss sich intensiv einsetzen.

Unsere Demokratie hat einen großen, robusten Magen. Sie kann und muss auch falsche, seltsame, radikale Positionen verdauen. Die Grenze aber, die unbedingt zu beachten ist, heißt: Gewalt. Wenn Islamisten Terrorakte planen und durchführen, wenn Rassisten Flüchtlingsunterkünfte angreifen, wenn Rechts- oder Linksextremisten Repräsentanten der jeweils anderen Seite bedrohen oder einen Bürgerkrieg herbeifaseln, endet das Gespräch. Dann muss die Polizei die Auseinandersetzung übernehmen. Vorher aber müssen wir, so denke ich, uns dem Gespräch stellen, auch wenn es anstrengend ist, wenig oder nichts bewirkt, man selbst mäßig dabei aussieht und erst am Morgen danach weiß, welche klugen Sätze man hätte sagen sollen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.

Kolumne