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Ein Denkmal für die Mission
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
19.09.2019

Es ist unsere Entscheidung. Die Zeit bis zur Eröffnung des Humboldt Forums im Berliner Schloss könnten wir nach Berliner Art mit Maulen und Motzen füllen. Doch das dürfte lang und langweilig werden. Oder wir schauen uns nach Orten um, an denen seine Themen schon jetzt zu studieren sind. Das möchte ich vorschlagen und die Aufmerksamkeit auf einen Berliner Ort richten, der schon längst die Frage nach einer anderen Globalisierung im Stadtraum gegenwärtig hält. Auf dem Bethlehemskirchplatz, in der Nähe der Friedrichstraße, gab es einmal eine Kirche, die 1737 für evangelische Glaubensflüchtlinge aus Böhmen errichtet worden war. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie schwer verletzt, in der brutalen Nachkriegsmoderne dann „nachgesprengt“ und abgetragen. Verschwunden, vergessen – dabei ist diese Kirche gerade heute der Erinnerung wert ist.

Von der Bethlehemskirche aus wurde eine Mission betrieben, die manches Klischee sprengt. Sie war nicht einfach ein Teil des deutschen Kolonialismus, sondern wollte sich in ganz neuer Weise mit fremden Kulturen verbinden. Es war vor allem Karl Gützlaff (1803-1851), der dadurch für manche Aufregung sorgte. Ohne eine große Institution, sondern als Einmann-Missionar zog er nach Macao, China und Korea. Dort wird er noch heute als erster protestantischer Missionar verehrt. Er wollte nicht ganze Länder und Völker für seinen Glauben gewinnen, sondern einzelne, einfache Menschen ansprechen. Dazu versuchte er, ihnen in Sprache, Kleidung, Ernährung und Lebensweise gleich zu werden. Chinesisch lernte er so: „Ich baute mir ein Haus von Brettern, nahm drei oder vier Chinesen, die lahm waren, auf, so waren sie den ganzen Tag bei mir und redeten ihre Landessprache, und so wurde ich mit ihrer Sprache bekannt.“ Nicht nur in China trug er landestypische Gewänder. Auch bei Heimatbesuchen ging er wie ein Mandarin gekleidet durch die Straßen. Man kann sich vorstellen, welches Aufsehen dies erregte. Ein richtiger Skandal war es, als er 1850 in Berlin einen Vortrag mit einem Fürbittengebet endete, in dem er für das chinesische Volk und seinen Kaiser betete. Ein Zeitzeuge erklärte: „Gützlaff ist kein Deutscher mehr, sondern durch und durch mit dem chinesischen Volk verwachsen.“ (Dass er im Opiumkrieg eine problematische Rolle gespielt hat, sei zumindest erwähnt.)

Zum Glück ist die Bethlehemskirche nicht ganz verschwunden. An ihrer Stelle steht jetzt eine Stahlskulptur, die ihre Struktur maßstabstreu nachbildet. Der spanische Konzeptkünstler Juan Garaizabal hat sie geschaffen. Die Wände hat er sinnigerweise offengelassen und durchlässig gestaltet. 2012 wurde dieses Kunstwerk errichtet. Eigentlich sollte es nach einem halben Jahr abgebaut werden. Dass es immer noch steht, ist aber nicht einer Unachtsamkeit der so geschätzten Berliner Stadtverwaltung geschuldet, sondern dem Engagement eines Unterstützerkreises zu verdanken. Denn es ist ein Denkmal für sehr eigentümliche Stadt- und Welt-Geschichten. Solange das Humboldt Forum noch nicht fertig ist, kann man sich von ihm anregen lassen. Übrigens, ein paar Spenden zum endgültigen Erwerb werden noch gesammelt.

P.S.: Hier noch ein Hinweis auf etwas zum Lesen, ganz kostenfrei, aber hoffentlich nicht umsonst: ein zwölfseitiges Special über „Kolonialismus und Mission“, in das ich einige Arbeit hineingesteckt habe, weil es ein wichtiges und interessantes Thema ist. In einer normalen Zeitung wäre so etwas undenkbar. Zum Glück aber gibt es die Zeitung „politik&kultur“ des Deutschen Kulturrats (Dachverband deutscher Kulturverbände). Man muss nur hier klicken, etwas herunterscrollen und bei der Ausgabe 09/2019 den pdf-Download betätigen.

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