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Eine Debatte mit der AfD und ein Film über US-Evangelikale
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
09.11.2018

Am kommenden Montag habe ich eine Debatte mit Vertretern der AfD. Und das kam so: Für die evangelische Kirche habe ich – gemeinsam mit vielen anderen – an der Erarbeitung von 15 Thesen zur kulturellen Integration mitgewirkt. Wir wollten eine Debatte anstoßen. Mitglieder der Bundestagsfraktion der AfD haben diesen Impuls aufgenommen und eine ausführliche, kritische Stellungnahme verfasst. Dann haben Marc Jongen und Martin Renner, die kultur- und medienpolitischen Sprecher, Olaf Zimmermann, den Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der die Entstehung dieser Thesen moderiert hat, und mich zu einer Diskussion in einem Gebäude des Bundestages eingeladen. Wir haben überlegt und dann zugesagt. Denn das genau wollen wir: eine offene und kritische Debatte über wesentliche Fragen unserer Gesellschaft. Dazu gehört auch die Diskussion mit Amtsträgern, Mitgliedern oder Wählern der AfD. Es scheint offenkundig, dass Teile dieser Partei rechtsextreme Positionen vertreten. Das kann aber nicht heißen, dass wir uns der politischen Auseinandersetzung verweigern. Unsere Gesellschaft krankt in meinen Augen daran, dass sich viele Gruppierungen nur in ihren eigenen Gesprächskreisen bewegen. Daran können wir kein Interesse haben. Wie diese Debatte verlaufen wird, ob eine Verständigung möglich ist, ob meine Beiträge halbwegs sinnvoll geraten – das alles weiß ich nicht. Mal sehen, ich nehme es als Trainingsgelegenheit, denn in Zukunft dürften eher mehr solcher Gespräche nötig werden als weniger. Ich werde berichten…

Ein Blick über den Ozean: Junge Evangelikale

Nun aber zu etwas ganz anderem bzw. durchaus Verwandtem. Die US-Amerikaner haben gewählt und ihrem Präsidenten ein zwiespältiges Ergebnis beschert: eine Zurückweisung im Repräsentantenhaus und eine Bestärkung im Senat. Eine große Rolle haben dabei die Evangelikalen gespielt. Mächtige Vertreter eines konservativen – man könnte bei einigen auch sagen: fundamentalistischen Protestantismus haben treu zu „ihrem“ Präsidenten gestanden. Dabei haben sie den Eindruck zu vermitteln versucht, sie wären ein geschlossener Block. So erscheint es einem ja auch, wenn man von Deutschland aus nach Amerika schaut.

Doch man sollte sich nicht täuschen lassen. Die US-Evangelikalen sind vielfältig und gegensätzlich. Die gar nicht evangelikale, sondern liberale „New York Times“ hat sich nun die Mühe gemacht, nach langer Recherche und vielen Gesprächen ein Gruppenporträt junger Evangelikaler zu zeichnen. Viele von ihnen zeigen sich darin von der rechtsextremen Politisierung des Christentums durch ältere, weiße Prediger abstoßen. Viele von ihnen sind selbst nicht weiß. Auch sie pflegen eine intensive Frömmigkeit, aber politisch lassen sie sich nicht so leicht vereinnahmen. Und die rigide Moral der Alten wollen sie nicht mehr für sich gelten lassen. Ein extrem lesenswerter Artikel!

Evangelikalismus im Kino - ausnahmsweise

Die Polarisierung in den USA zeigt sich übrigens auch darin, dass die Evangelikalen in den großen Medien und in der Popkultur kaum vorkommen. Und wenn, dann als Karikatur. Nun kann man seit einigen Monaten bei Netflix einen Film anschauen, der es einmal wagt, die Frommen im Lande als Menschen ernst zu nehmen. „Come Sunday“ erzählt die Geschichte des jungen schwarzen Erweckungspredigers Carlton Pearson, der der Nachfolge des überaus beliebten und einflussreichen Oral Roberts werden soll. Doch dann kommen ihm Zweifel an seiner eigenen unerbittlichen Himmel-und-Hölle-Theologie. Als er in einer Predigt die Existenz der Hölle leugnet, bricht selbige los... Ich will hier nichts verraten, nur dass der Film sich lohnt. Auch wenn er kein absolutes Meisterwerk ist, manchmal die handelsübliche Dramaturgie ziemlich klappert und alles auf ein liberales „happy ending“ hinausläuft. Eindrucksvoll aber gelingt es dem Film, seine Figuren und deren Frömmigkeit, die uns so fremd erscheinen, als echte Menschen mit echten Fragen darzustellen. Und wie Martin Sheen, der menschenfreundlichste Schauspieler der Welt, den alten Oral Robertsons, den ich nur als harten Fundamentalisten zu kennen meinte, als einen tragischen Mann darstellt, dem man seine Sympathie nicht ganz versagen kann – das ist hohe Kunst.

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